Afghanistan droht nach zwei Jahrzehnten imperialistischer Besatzung eine „humanitäre Katastrophe“

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), Antonio Guterres, hat vor einer „humanitären Katastrophe“ in Afghanistan gewarnt. Etwa 18 Millionen Menschen, d.h. fast die Hälfte der Bevölkerung, brauchen zum Überleben dringend humanitäre Unterstützung.

Guterres erklärte: „Einer von drei Afghanen weiß nicht, wo er seine nächste Mahlzeit herbekommen wird. Mehr als die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren werden voraussichtlich im nächsten Jahr unter akuter Unterernährung leiden.“

Die UN haben für Afghanistan 1,3 Milliarden Dollar humanitäre Hilfe vorgesehen, von denen jedoch nur 39 Prozent vorhanden sind. Es besteht die dringende Notwendigkeit, weitere Gelder zur Verfügung zu stellen, um Lebensmittel ins Land zu bringen, bevor in ein paar Monaten der Winter beginnt und der Schnee die Straßen blockiert.

Ein afghanisches Binnenflüchtlingskind sucht auf einer Müllhalde in Kabul nach Plastik und anderen Gegenständen, die als Brennstoff dienen könnten. Laut Statistiken der UN ist Afghanistan eins der ärmsten Länder der Welt. Kinder sind täglich mit extremer Armut und Gewalt konfrontiert. Aufgenommen am Sonntag, dem 15. Dezember 2019 (AP Photo/Altaf Qadri)

Guterres' Äußerungen verdeutlichen die Tatsache, dass trotz der umfangreichen Berichterstattung der Mainstreammedien über die Evakuierung von Ausländern und Afghanen, die mit den USA und ihren Verbündeten zusammengearbeitet haben, kaum etwas über die wirtschaftliche und soziale Zerstörung des Landes selbst berichtet wurde.

Vor dem US-Krieg und der Besatzung ab 2001 hatte die CIA in dem ärmsten Land Asiens bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten geheime Operationen organisiert, die von regionalen und lokalen Stellvertretern durchgeführt wurden. Die Invasion Afghanistans war bereits lange vor den Anschlägen am 11. September geplant, die lediglich als Vorwand dienten. Ihr Ziel war nicht der „Krieg gegen den Terrorismus“, sondern die Durchsetzung von Washingtons geostrategischen Interessen: die Kontrolle über ein Land, das an die ölreichen ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaspischen Becken und China angrenzt, um die Vorherrschaft der USA über Zentral- und Südasien zu sichern.

Afghanistan selbst verfügt über beträchtliche, noch unerschlossene Bodenschätze, die zwischen einer und drei Billionen Dollar wert sind.

Der Krieg, der für diese räuberischen Ziele geführt wurde, war ein Angriffskrieg, vertuscht durch massive Lügen, und hatte keinen Rückhalt in der Bevölkerung der Nato-Staaten, geschweige denn in Afghanistan selbst. Er verstieß gegen das Völkerrecht und führte zu zahlreichen anderen Verbrechen, darunter Massaker an Zivilisten, „außerordentliche Überstellung“ und Folter, Guantanamo Bay und CIA-Geheimgefängnisse.

Der Überfall und die Besatzung haben die USA mindestens zwei Billionen Dollar gekostet, die afghanische Wirtschaft zerstört und die Bevölkerung in Armut gestürzt. Im Jahr 2020 lag das Land auf Platz 169 der 189 ärmsten Länder der Welt auf dem Index der menschlichen Entwicklung des UN-Entwicklungsprogramms. Jetzt droht ihm durch das Vorgehen der USA und der anderen imperialistischen Mächte ein weiterer Wirtschaftseinbruch.

Die amerikanische Regierung hat die afghanischen Devisenbestände im Wert von neun Milliarden Dollar eingefroren, die sich auf amerikanischen Banken befinden, sodass die Taliban nur Zugang zu 0,1 bis 0,2 Prozent der internationalen Reserven des Landes haben. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, an dem die USA eine kontrollierende Beteiligung besitzen, sowie der US-Finanzdienstleister Western Union, der weltweit zweitgrößte Anbieter von Geldtransfers, haben den Betrieb in Afghanistan eingestellt. Der IWF hat außerdem einen erst vor Kurzem gewährten Kredit in Höhe von 340 Millionen Dollar aus Sonderziehungsrechten eingefroren.

Die afghanische Währung hat zehn Prozent an Wert verloren, weil die physische Zufuhr an US-Dollar, die ihren Wert bisher gestützt hat, abrupt aufgehört hat. Die meisten Banken blieben geschlossen, und vor den wenigen geöffneten stehen lange Schlangen von Kunden, die ihre Ersparnisse abheben wollen. Deshalb haben die Taliban die Maximalsumme, die abgehoben werden kann, auf umgerechnet 200 Dollar pro Woche begrenzt.

Angesichts des anhaltenden Wertverlusts der Währung wird mit stark steigenden Preisen gerechnet. Aufgrund der Befürchtung von Engpässen in den kommenden Monaten sind sie bereits gestiegen. Verschärft wird die Situation von einer schweren Dürre – der zweiten in drei Jahren –, die zum Verlust von 40 Prozent der Feldfrüchte und „verheerenden Folgen“ für die Viehzucht geführt hat. Die Preise für Linsen sind um mehr als das Doppelte gestiegen, die Preis für Pflanzenöl, Kichererbsen und Bohnen um 25 Prozent.

Laut Reliefweb litten bereits vor der aktuellen Krise 3,1 Millionen Kinder an Unterernährung. In der Provinz Ghor waren im Dezember 2020 15,9 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren akut unterernährt, 3,4 Prozent davon litten an schwerer akuter Unterernährung, der tödlichsten Form des Hungers. Ganze 45,5 Prozent der Kinder waren unterentwickelt oder chronisch unterernährt.

Laut der Asiatischen Entwicklungsbank lebten im Jahr 2020 fast die Hälfte der Bevölkerung, darunter mehr als ein Drittel aller Beschäftigten, von einem Einkommen unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist so arm, dass sie sich Grundgüter wie angemessene Ernährung nicht leisten kann. Weitere Millionen Menschen leben nur knapp oberhalb der Armutsgrenze.

Etwa 70 Prozent der Bevölkerung leben als Bauern auf einer Fläche, von der nur 12 Prozent für Ackerbau und 46 Prozent für Viehzucht geeignet sind. Mehr als 40 Prozent der Erwerbsbevölkerung sind entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt.

Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre, und der Arbeitsmarkt wächst jedes Jahr um 400.000 Menschen. Abgesehen von Posten beim Staat und dem Militär gibt es hauptsächlich schlecht bezahlte Tagelöhner- oder Gelegenheitsarbeit, sodass junge Männer kaum eine Alternative zu den vom Ausland unterstützten militanten Gruppen oder kriminellen Banden haben, die vor allem im Drogenschmuggel aktiv sind.

Laut der Weltbank werden fast 75 Prozent der Staatsausgaben von anderen Regierungen oder internationalen Organisationen finanziert. Die Taliban haben zwar erklärt, sie würden Regierungsangestellte wie Gesundheitsexperten und die Streitkräfte weiterhin bezahlen, allerdings ist unklar, wie sie dies tun wollen. hunderttausenden Afghanen droht deshalb der Verlust ihrer Lebensgrundlage.

Fast 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kommt aus Entwicklungshilfe und hat oft die lokale Wirtschaft geschwächt. Dies und die Unsicherheit, Dürren und Naturkatastrophen haben den Warlords und Drogenbossen in die Hände gespielt, da verarmte Bauern ihr Heil in Mohnanbau und Opiumhandel suchen.

Das Vermögen des Landes befindet sich in den Händen einiger weniger Familien, die von der immensen Zunahme an ausländischen Militärverträgen und ihrer Kontrolle über die Wirtschaft profitiert haben. Die reichsten zehn Prozent der afghanischen Bevölkerung kontrollieren die Wirtschaft und die Regierung.

Gleichzeitig hat der Krieg, der größtenteils im Süden und Osten des Landes geführt wurde, zu erheblichen Unterschieden bei Einkommen, Reichtum und wirtschaftlichen Chancen zwischen dem Süden und dem Norden Afghanistans geführt.

Vier Jahrzehnte Konflikt und deren Folgen haben Afghanistan zu einem der Länder gemacht, aus denen die meisten Flüchtlinge auf der Welt kommen. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk sind die Afghanen die Bevölkerung auf der Welt, die am längsten vertrieben und enteignet wurde; ganze drei Viertel der Bevölkerung wurden im Lauf ihres Lebens zu Binnenflüchtlingen oder flüchteten ins Ausland.

Die große Mehrheit der afghanischen Flüchtlinge lebt in Pakistan oder dem Iran – jeweils drei Millionen gemeldete und nicht gemeldete. Viele weitere leben in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Deutschland oder anderen europäischen Staaten, außerdem in den USA, wo die Zahl in den letzten Jahren jedoch stark gesunken ist, nachdem die Trump-Regierung die ohnehin schon geringe Zahl an Flüchtlingsaufnahmen noch weiter verringert hat. Letztes Jahr akzeptierten die USA nur noch 604 afghanische Flüchtlinge.

Laut einem Bericht von Amnesty International vom August 2020 gibt es in Afghanistan selbst weitere vier Millionen Binnenflüchtlinge. Sie haben kaum Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Trinkwasser oder Gesundheitseinrichtungen, leben in bitterer Armut, in unzureichenden Wohnungen und leiden unter Ernährungsunsicherheit und unzureichendem Zugang zu sanitären Einrichtungen. Durch die Pandemie ist diese Situation noch gefährlicher geworden. Die Gesundheitsversorgung und Behandlung in öffentlichen Einrichtungen ist zwar kostenlos, doch viele Familien können sich nicht einmal die Fahrt zum Krankenhaus leisten.

In den letzten Tagen meldete das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), dass seit Januar angesichts der schlechteren Sicherheitslage in Afghanistan nach dem Rückzug der Nato-Truppen und dem Vormarsch der Taliban weitere 360.000 Menschen aus ihrer Heimat fliehen mussten.

Die Auswirkung dieser verheerenden Bedingungen auf das Bewusstsein der afghanischen Bevölkerung war die Ursache für den schnellen Zusammenbruch von Washingtons Marionettenregime, nachdem US-Präsident Joe Biden den Rückzug der US-Truppen angekündigt hatte. Der schnelle Untergang von Ashraf Ghanis Regierung kann nur durch das Ausmaß der Verbrechen erklärt werden, die gegen das afghanische Volk verübt wurden: Seine Gesellschaft wurde zerstört, etwa 170.000 wurden direkt durch den Krieg getötet und weitere 360.000 indirekt durch Krankheit, Unterernährung und Landminen.

Die Verantwortlichen für diese Verbrechen von weltgeschichtlichem Ausmaß bleiben ungestraft und bekleiden höchste Machtpositionen in den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und anderen Zentren des Imperialismus.

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