Die Flutkatastrophe in Westdeutschland, Belgien und einem Teil der Niederlande nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Am Samstagmorgen ist die Zahl der Todesopfer in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen auf über 130 angestiegen - allein im Kreis Ahrweiler gab es mindestens 90 Tote - und stündlich kommen neue hinzu. Tausende Menschen gelten noch als vermisst.
In Belgien kamen durch die Überflutungen mindestens 23 Menschen in der Region um Lüttich/Liège ums Leben, wie die Nachrichtenagentur Belga am Freitag berichtete. Auch hier werden noch viele Menschen vermisst.
Auch in der südniederländischen Stadt Maastricht sind 10.000 Menschen evakuiert worden. Es bestehen Befürchtungen, dass die Maas so stark über die Ufer tritt, dass Wohnviertel überschwemmt werden.
Aufgrund des mit dem Hochwasser verbundenen Stromausfalls sind viele Mobiltelefone nicht funktionsfähig, weil ihre Akkus nicht mehr aufgeladen werden können. Ganze Gemeinden sind abgeschnitten, weil auch die Straßen, Brücken und Bahngleise unpassierbar sind. Die Flutwasser haben sie unter- bzw. überspült und zerstört.
Schwer betroffen sind die Gemeinden entlang der Ahr, einem westlichen Nebenfluss des Rheins südlich von Bonn, zu einem Teil in Rheinland-Pfalz und zum andern in NRW gelegen. Der Ort Schuld im Kreis Ahrweiler, der an mehreren Ahrschleifen liegt, ist zu einem großen Teil zerstört. An vielen anderen Orten entlang der Ahr sind die Häuser überflutet, teilweise oder ganz zerstört oder einsturzgefährdet. Die Menschen haben weder sauberes Trinkwasser noch elektrischen Strom.
Ein besonders tragischer Fall ereignete sich in Sinzig, das an der Mündung der Ahr in den Rhein gelegen ist. Hier sind infolge des Hochwassers zwölf Menschen in einem Wohnheim für Behinderte gestorben. Sie lebten in einem Haus des Vereins Lebenshilfe Kreisvereinigung Ahrweiler. Durch den starken Anstieg der Ahr in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurde das Erdgeschoss des Wohnheims geflutet. Die schwer behinderten Menschen wurden nicht rechtzeitig evakuiert und konnten sich nicht selbst retten.
In Rheinland-Pfalz stieg bis Freitagnachmittag die bisher bekannte Zahl von Todesopfern auf 63. Allein aus dem Kreis Ahrweiler wurden mindestens 362 Verletzte gemeldet. Es ist zu befürchten, dass diese Zahlen weiter steigen werden. Aus Ahrweiler werden nicht nur fehlender Strom und Trinkwasser, sondern außerdem eine zerstörte Gasleitung gemeldet. Es könnte laut Gasversorger mehrere Monate dauern, bis sie repariert werden kann.
Im benachbarten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind bis jetzt offiziell 43 Tote infolge des Hochwassers gemeldet worden. Auch hier befürchtet man, dass die Zahlen weiter ansteigen werden.
Besonders kritisch ist die Situation unter anderem in Erftstadt-Blessem in der Nähe von Köln. Hier sind mindestens drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg eingestürzt. Rettungskräfte versuchen Menschen aus diesen Häusern zu bergen, haben aber selbst Probleme, sie zu erreichen. „Wir gehen von mehreren Toten aus, wissen es aber nicht“, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU).
Die Erft, normalerweise ebenfalls ein kleiner Fluss, ist durch die Regenfälle enorm angestiegen und hat sich in einen reißenden Strom verwandelt. Hinzu kommt, dass bei einem See der Damm gebrochen ist, so dass sich eine Flutwelle bildete. Auch weite Landflächen sind überflutet, und die Ernte auf den Feldern der Bauern ist vernichtet. Die Betroffenen, die es aus ihren Häusern schafften, werden in Notunterkünften von freiwilligen Helfern versorgt. Dort jedoch verstärkt sich die Gefahr einer Covid-19-Infektion.
Ein anderer Krisenpunkt ist der Kreis Euskirchen. Dort besteht immer noch die Gefahr, dass der Damm der nahegelegenen Steinbachtalsperre bricht, so dass die nahe gelegenen Orte flutartig überschwemmt werden könnten. Ein Teil der Bewohner wurde deswegen bereits am Donnerstag evakuiert. Auch bei anderen Talsperren ist die Lage kritisch.
Auch die Landkreise Aachen und Düren wurden von schweren Unwettern und heftigen Regen heimgesucht. In Nordrhein-Westfalen sind 23 Kommunen von den Überflutungen des Hochwassers betroffen. Auch Städte wie Köln, Trier, Solingen, Hagen, Leverkusen, Aachen sind betroffen. Das Ausmaß der Schäden ist noch nicht zu beziffern.
In vielen Regionen sprechen die Menschen von den schwersten Schäden seit dem Zweiten Weltkrieg. Überall wird jedoch von einer grandiosen Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander berichtet.
Die Flutkatastrophe folgte auf mehrere Wochen intensiver, anhaltender Regenfälle. In den engen Tälern der Eifel, der Region um Köln, im Bergischen Land und im Sauerland verwandelten sie kleine, schmale Bäche innerhalb von Stunden in reißende Ströme.
Die Ursachen sind sowohl in der Klimakrise, als auch in mangelnder Vorsorge zu suchen. Wissenschaftler warnen seit langem vor den Auswirkungen des Klimawandels, der zum Beispiel in Kanada und im Westen der USA für eine ungekannte Hitze und Dürrezeit sorgt. Gleichzeitig ist in Europa eine massive Starkregenperiode auf die erwärmte Atmosphäre zurückzuführen, die deutlich mehr Feuchtigkeit als bisher aufnehmen kann. Als weitere Ursache gelten Veränderungen des Jetstreams, die ebenfalls durch den Klimawandel verursacht wurden und zur Folge haben, dass Tiefdruckgebiete tagelang in derselben Region bleiben.
Das belgische Königliche Meteorologische Institut meldete einen Rekordniederschlag in den letzten 48 Stunden in Lüttich, nahe der deutschen Grenze, mit mehr als 271 mm in Jalhay und 217 mm in Spa. David Denehauw, der Leiter der meteorologischen Vorhersagen, sagte auf Twitter, dass diese Werte „statistisch einmal in 200 Jahren eintreffen. Normalerweise messen wir in diesen Gebieten 100 mm im Juli.“
Seit einigen Jahren häufen sich die Hochwasserkatastrophen. Sie sind für Forscher, Geographen und Städteplaner längst kein neues Thema mehr. Es wäre durchaus möglich, solchen Naturereignissen den Schrecken zu nehmen und durch Vorbeugemaßnahmen zu verhindern, dass sie sich in tödliche Katastrophen verwandeln.
Dafür gibt es auch Beispiele: So wurde in der sächsischen Stadt Grimma an der Mulde nach den großen Flutkatastrophen von 2002 und 2013 vor drei Jahren eine Hochwasser-Schutzanlage gebaut, die aus zahlreichen Fluttoren und einer mehrere Kilometer langen Schutzmauer besteht, die zwölf Meter tief in die Erde reicht. Unter der Stadt gibt es ein komplexes Kanalsystem, das große Wassermassen aufnehmen und ableiten kann. Innerhalb von zwei Stunden kann die Innenstadt dicht abgeriegelt werden.
Aber solche Anlagen sind bisher eine große Seltenheit. Regierungspolitiker haben sich nach den bisherigen Jahrhundertfluten – wenn überhaupt – auf die großen Flüsse konzentriert. Aber auch in den kleineren Tälern sind sich viele Bürgermeister seit Jahren der Gefahren bewusst und durchaus bereit, Vorbeugemaßnahmen zu treffen. Allein den Kommunen fehlt schlicht das nötige Geld dafür.
Zwar setzt die Regierung Dutzende Milliarden Euro dafür ein, Konzerne, Banken und Aktionäre im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie schadlos zu halten. Massive Kriegsvorbereitungen, Auslandseinsätze und moderne Waffensysteme werden finanziert. Die Bundeswehr wird aufgerüstet, und die Regierung tätigt Investitionen in Cyberspace und Weltraumkriege. Aber für die elementare Sicherheit der Bevölkerung ist kein Geld vorhanden.
Die Ursachen dieser jüngsten Flutkatastrophe sind im kapitalistischen System zu suchen. Die Kapitalistenklasse ist seit Jahrzehnten unfähig und unwillig, irgendetwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, weil dies ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen beeinträchtigen würde.
Auch in der Coronavirus-Pandemie hat sie ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leben demonstriert. Sie hat die Ausbreitung des Virus bewusst zugelassen, um die Profite der Unternehmen und Superreichen sicherzustellen. Mit der gleichen Gleichgültigkeit hat sie notwendige Ausgaben in die soziale Infrastruktur abgelehnt. Sie betrachtet derartige Ausgaben als einen unzulässigen Eingriff in ihren eigenen Reichtum.
Die Antwort der Arbeiterklasse auf diese Politik des sozialen Mordes muss der bewusste Kampf für Sozialismus sein. Billionen von Dollar müssen in soziale Infrastrukturprojekte zum Schutz der Bevölkerung im internationalen Maßstab und in den Übergang zu erneuerbaren Energien investiert werden. Eine solche Politik erfordert die Übernahme der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und die Organisation des gesellschaftlichen Lebens auf der Grundlage sozialer Bedürfnisse, nicht des privaten Profits.