Flutkatastrophe: Über 100 Todesopfer in NRW, Rheinland-Pfalz und Belgien

Schwere Unwetter und heftige Regenfälle haben zu schweren Verwüstungen und bislang mindestens 93 Todesopfern in Rheinland-Pfalz (50) und Nordrhein-Westfalen (43) geführt. In Belgien kamen mindestens neun Menschen ums Leben.

Die tatsächliche Todeszahl könnte noch weitaus höher liegen. Berichten zufolge werden derzeit 1300 Menschen vermisst. Am Freitagmorgen erklärte der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD): „Man muss im Moment feststellen, mit dem Leerlaufen von Kellern stoßen wir immer wieder auf Menschen, die ihr Leben gelassen haben in diesen Fluten, sodass ich über die Zahl, wo wir dann am Schluss in etwa landen werden, gar nichts sagen kann.“ Es sei eine Katastrophe und die Situation bleibe dramatisch.

Nach tagelangen Regenfällen stiegen die Pegelstände von Rhein, Ruhr, Mosel und anderen kleinen Flüssen und Bächen. Sie verwandelten sich teilweise in reißende Flüsse und überschwemmten ganze Ortschaften und Städte. Das Wasser stieg teilweise so schnell, dass sich die Bewohner nicht mehr in Sicherheit bringen konnten.

Besonders schwer betroffen ist der Kreis Ahrweiler in der Eifel/Rheinland-Pfalz. Der Ort Schuld gleicht einem Ort der Zerstörung. Vier komplette Häuser wurden hier von den Wassermassen weggerissen, viele andere sind beschädigt und akut einsturzgefährdet.

Durch die Wassermassen der Ahr zerstörte Häuser in Schuld (AP Photo/Michael Probst)

Die eigentlich kleine Ahr, ein linker Nebenfluss des Rheins, wurde durch den heftigen Regen zu einem reißenden Strom. Hunderte Häuser entlang des Flussbetts wurden beschädigt. Mindestens 19 Tote gab es im Kreis Ahrweiler. Über 30 Menschen werden noch vermisst. Noch ist nicht bekannt, ob sie verreist oder anderweitig untergekommen sind oder ob auch sie von den Wassermassen und den zerstörten Häusern mitgerissen wurden.

Viele Menschen mussten stundenlang auf den Dächern ihrer Häuser ausharren, bis sie aus der Luft gerettet werden konnten. Stromausfälle und Störung der Kommunikation für Telefone und Mobiltelefone erschweren die Situation für die betroffenen Menschen. Angehörige, Freunde und Bekannte haben Probleme zu erfahren, was mit ihnen nahestehenden Menschen passiert ist. Zeitweise waren selbst die Notrufnummern nicht erreichbar.

Von Seiten der Behörden gab es entweder keine Warnungen oder sie kamen so spät, dass sich die Bewohner nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.

Ein Betroffener aus Ahrweiler berichtete der WSWS, dass er und seine Familie erst zwei Stunden vor den Überschwemmungen gewarnt wurden. Die Sandsäcke, die sie erhielten, waren ohne Sand. Auf Grund der herannahenden Wassermassen war es der Familie nicht mehr möglich, selbst noch Sand aufzutreiben. Binnen Kürze waren der Keller und der untere Bereich des Hauses komplett überschwemmt.

Während der deutsche Wetterdienst in vielen Gebieten vor erneutem Starkregen warnte, wurden Tausende evakuiert. Im Trierer Stadtteil Ehrang wurden 2.000 Menschen evakuiert, darunter ein Krankenhaus und ein Altenheim.

Aus dem Raum Köln-Bonn in Nordrhein-Westfalen wurden bisher mindestens 20 Todesopfer gemeldet. Mehrere Menschen starben in überfluteten Kellern. In Köln fand die Feuerwehr eine 72jährige Frau und einen 54jährigen Mann in einem mit Wasser vollgelaufenen Keller. Allein im Kreis Euskirchen gab es 15 Tote. Drei weitere Todesopfer meldete die Polizei aus Rheinbach.

Nahe der Stadt Euskirchen befindet sich die Steinbach-Talsperre. Sie droht überzulaufen und gefährdet zahlreiche Orte in der näheren Umgebung.

Auch in Solingen und im Kreis Unna gab es zahlreiche Todesopfer. Die Städte Hagen im Ruhrgebiet und Wuppertal im Bergischen Land sind ebenfalls sehr stark von den Überschwemmungen betroffen. Im Hochsauerlandkreis ist praktisch die ganze Stadt Altena überschwemmt. In Altena starb ein Feuerwehrmann, der gerade noch an der Rettung von Menschen beteiligt war. Er wurde von den Wassermassen mitgerissen. Ein weiterer Feuerwehrmann verlor sein Leben bei einem Einsatz in Werdohl.

Das benachbarte Belgien ist ebenfalls von der Flut betroffen. Die Armee wurde in vier von zehn Provinzen eingesetzt, um sich an Evakuierungen und Such- und Rettungsaktionen zu beteiligen. Neun Menschen wurden bisher als tot bestätigt, alle im Osten des Landes nahe der deutschen Grenze. Eine Person kam in der Stadt Eupen ums Leben, fünf in Verviers und eine in Pepinstar.

In der Provinz Limburg gab es zahlreiche Evakuierungen, unter anderem in der Grenzstadt Roermond, wo Berichten zufolge 5.000 Einwohner in Sicherheit gebracht wurden. Weiter südlich, in Maastricht, wurden ebenfalls tausende Menschen evakuiert. Die belgische Wasserbehörde warnte vor einem Rekordhochwasser der Maas, das große Teile der Provinz Limburg mit ihren fast 900.000 Einwohnern überschwemmen würde.

Die Behörden haben auch einen Evakuierungsbefehl für die Einwohner der Stadt Lüttich erlassen, die fast 200.000 Einwohner hat. Sie forderten diejenigen, „die noch die Möglichkeit haben, zu evakuieren, auf, dies zu tun, wenn sie sich in einer Zone in der Nähe des Flusses Maas befinden“.

Menschen in Lüttich werden mit Schlauchbooten gerettet (AP Photo/Valentin Bianchi)

Der Höhepunkt des Hochwassers wird erst am Freitag erwartet. Die Überschwemmung wurde zum Teil durch die schlechte Funktionsfähigkeit der Monsin-Dammbrücke in der Stadt verursacht. Sie wurde in den 1930er Jahren erbaut und wird seit einem Jahr renoviert. Nur zwei der sechs Tore sind derzeit in Betrieb. Dadurch konnte der Damm keine ausreichende Wassermenge ablassen, die stattdessen das Stadtzentrum überflutete.

Es besteht die Befürchtung, dass ein Baukran in der Gegend durch die Überschwemmung weggerissen werden könnte und beim Sturz ein Stromkabel durchtrennt, das mehrere Wasserpumpstationen versorgt. Die Stromversorger haben am Donnerstag vorsorglich den Strom zu dieser Leitung abgeschaltet.

Der wallonische Wasserverband warnte die Bevölkerung in sieben Gemeinden der Region davor, Leitungswasser zu konsumieren, „auch abgekochtes“. In den Strom- und Gasnetzen gebe es „Störungen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß“, teilte Resa, der wichtigste Energieverteiler in der Provinz Lüttich, mit.

Das ungeheure Ausmaß der Schäden und die hohe Zahl an Todesopfern, die in den folgenden Tagen mit Sicherheit noch steigen wird, hat mehrere Gründe. Es ist eine Folge der vom Kapitalismus geschaffenen Klimakrise, die zu immer heftigeren Wetterschwankungen führt – extreme Hitze und Dürre auf der einen Seite, extremer Regen und Überflutungen auf der anderen Seite. Und ist es ein Ergebnis der seit Jahrzehnten vernachlässigten und heruntergekommenen Infrastruktur.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde nichts bzw. nicht ausreichend investiert in die Sicherheit von Dämmen und den Hochwasserschutz, obwohl es immer wieder zu heftigen Überschwemmungen gekommen ist. Stattdessen wurden hunderte Milliarden Euro den Konzernen und Banken zur Verfügung gestellt und die Ausgaben für das Militär enorm gesteigert.

Die gleichen Politiker, die für diese Politik verantwortlich sind, heucheln nun ihre Anteilnahme. Der Ministerpräsident von NRW und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet reiste am Donnerstag nach Altena und Hagen, um finanzielle Hilfen des Landes in Aussicht zu stellen. Das sind die bekannten leeren Versprechungen. Auf zugesagte Hilfen für frühere Katastrophen warten viele Menschen bis heute.

Auch die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, besuchte zusammen mit Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz das besonders stark betroffene Bad Neuenahr-Ahrweiler. Scholz, der seinen Urlaub unterbrochen hatte, zeigte sich erschrocken über die „gewaltige Zerstörung, die die Natur angerichtet hat“.

Als Zeichen der Trauer würden die Flaggen an öffentlichen Gebäuden in Rheinland-Pfalz am Freitag auf Halbmast hängen, teilte Dreyer mit. „Die Schäden dieser Katastrophe sind beispiellos“. Viele Menschen hätten alles verloren und leider nehme auch die Zahl der Toten zu. „Ein erster Hoffnungsschimmer in dieser schlimmen Stunde“ sei jedoch die Zusage des Bundes, den betroffenen Menschen schnell helfen zu wollen. Sie danke Scholz „für das starke Signal der Solidarität“.

Wo die Solidarität von Scholz und der gesamten herrschenden Klasse liegt, ist bekannt. Im Zuge der sogenannten Corona-Rettungspakete wurden hunderte Milliarden auf die Konten der Großkonzerne und Superreichen transferiert, die nun wieder aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden sollen. Auch der Militärhaushalt wurde allein in den letzten vier Jahren unter Scholz um mehr als zehn Milliarden Euro aufgestockt und soll nach den Bundestagswahlen weiter steigen.

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