Ein Gespräch mit Rick Poynor, Autor des Buchs »David King: Designer, Activist, Visual Historian«

Wir haben mit Rick Poynor gesprochen, einem britischen Autor und Herausgeber im Bereich Grafikdesign und visuelle Kommunikation. Poynor hat im vergangenen Jahr ein bedeutendes neues Buch über David King veröffentlicht, das wir auf der WSWS rezensiert haben: »David King: Designer, Activist, Visual Historian« (Yale University Press, 2020).

Der 2016 verstorbene Designer, Redakteur, Fotohistoriker und Archivar David King widmete sein Leben und seine Kunst der Wahrheitsfindung über die russische Oktoberrevolution 1917, die Entartung der Sowjetunion im Stalinismus und die Rolle von Leo Trotzki, der 1940 von der stalinistischen Geheimpolizei ermordet wurde.

Im Laufe eines halben Jahrhunderts designte und publizierte King zahlreiche herausragende Werke, die diesen historischen Fragen gewidmet sind, darunter »Trotsky: A Documentary« (1972); »How the GPU Murdered Trotsky« (1977); »Trotsky: A Photographic Biography« (1986); »The Commissar Vanishes: The Falsification of Photographs and Art in Stalin’s Russia« (1997); »Ordinary Citizens: The Victims of Stalin« (2003) [Deutsche Ausgabe: »Ganz normale Bürger – Die Opfer Stalins« (2012)]; »Red Star Over Russia: A Visual History of the Soviet Union« (2009) [Deutsche Ausgabe: »Roter Stern über Russland – Eine visuelle Geschichte der Sowjetunion« (2010)]; und »Russian Revolutionary Posters: From Civil War to Socialist Realism, from Bolshevism to the End of Stalinism« (2012) [Deutsche Ausgabe: »Russische revolutionäre Plakate – Bürgerkrieg und bolschewistische Periode, sozialistischer Realismus und Stalin-Ära« (2012)].

In einem Interview mit der World Socialist Web Site sagte King 2008: »Vor 40 Jahren gab mein großes Interesse an der Wahrheit über die wirklichen Ereignisse in der russischen Revolution und der Sowjetunion den Anstoß dazu, dass ich begann, Material zu sammeln. Anhand von Bilddokumenten wollte ich herausfinden, was passiert war, wollte visuelle Beweise sammeln.«

David North bemerkte 2016 in seinem Nachruf auf King, dass dieser zwar nie Mitglied der Socialist Labour League (später Workers Revolutionary Party), der britischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, der trotzkistischen Bewegung, gewesen sei. Er hatte aber »großen Respekt vor ihrer theoretischen Arbeit und politischen Aktivität in der Arbeiterklasse. Mit großem Interesse verfolgte er die Untersuchung über den Mord an Leo Trotzki, die das Internationale Komitee 1975 in die Wege leitete. Zu dem Band ›Wie die GPU Trotzki ermordete‹, der 1977 erschien, steuerte er seine Mitarbeit und zahlreiche Fotos aus seiner privaten Sammlung bei.«

Wir schrieben in unserer Rezension von »David King: Designer, Activist, Visual Historian«:

Poynors Buch gibt einen umfassenden und gewissenhaften Überblick über die Geschichte und die Entwicklung von Kings Arbeit im Print-Medienbereich.
Er präsentiert Kings bedeutendste Projekte als Grafikdesigner, Art Director, visuellem Redakteur, Historiker und Autor und verbindet sie mit sorgfältigen Recherchen über sein Leben und seine Karriere, einschließlich Interviews mit denjenigen, die mit ihm zusammengearbeitet haben. So zeigt Poynor in beeindruckender Weise Kings nachhaltigen Beitrag zur grafischen Kommunikation über fast 50 Jahre.

Es folgt das Interview mit Rick Poynor, das im November 2020 auf Englisch erschien.

* * *

David Walsh: Vielen Dank für dieses Gespräch und für das Buch.

Rick Poynor: Ich danke Ihnen für die Rezension. Sie haben wirklich die Hauptelemente herausgegriffen.

DW: Ich war beeindruckt von dem Buch, es ist stilvoll und klug gestaltet. Ich denke, es ist ein großes Kompliment zu sagen, dass es seinem Protagonisten – David King – würdig ist.

RP: Ich habe an dem Buch zusammen mit dem Designer Simon Esterson gearbeitet, der ebenfalls ein Bewunderer von David Kings Arbeit ist. Wir beide verehren Kings Werk schon seit Jahrzehnten. Ich wusste von Anfang an, dass ich mit jemandem zusammenarbeiten würde, der das Material von einem visuellen Standpunkt aus versteht. Eine wichtige Überlegung für uns beide war, durch das Design des Buchs den Geist von Davids Arbeit und sogar bis zu einem gewissen Grad das Erscheinungsbild seiner Arbeit zu vermitteln, ohne in ein Pastiche zu verfallen, das lediglich alle seine bevorzugten grafischen Mittel nachahmt.

Ich hätte mich sehr gewundert, wenn David dem Buch zugestimmt hätte. Ich wollte es schon lange schreiben und beschloss, mit ihm ein Treffen über etwas anderes zu arrangieren und ihm dann die Idee eines Buchs unterzuschieben und zu sehen, ob er es in Betracht ziehen würde. Aber ich rechnete fest damit, dass er, zumindest beim ersten Mal, sagen würde: »Ich bin zu beschäftigt, ich möchte Bücher über andere Themen machen, nicht über mich.« Ich hätte es noch einmal versuchen müssen, und vielleicht hätte er schließlich zugestimmt.

Das Traurige und Ironische daran ist, dass wir, weil er gestorben ist und nicht an dem Buch mitarbeiten konnte, am Ende frei waren, das Werk offener und ehrlicher zu interpretieren, als es sonst vielleicht möglich gewesen wäre.

DW: Könnten Sie für unsere Leser etwas über Ihren eigenen Hintergrund erzählen?

RP: Ich bin Schriftsteller, aber auch ein sehr visueller Mensch. Ich war kurz davor, an der Universität Kunst zu studieren, entschied mich dann aber für Kunstgeschichte. Ich habe schon als Teenager angefangen, in Kunstgalerien zu gehen. Als ich mit Mitte 20 merkte, dass ich nicht den großen britischen Roman schreiben würde, begann ich mit dem Journalismus, und das war ein großes Glück, denn es stellte sich heraus, dass ich dafür geeignet war.

Ich fand Gefallen an dem Handwerk, über die Begegnungen und Interviews, die ich mit Menschen hatte, zu berichten und die Geschichte zu erzählen. Ich hatte immer einen Standpunkt, und nach ein paar Jahren, in denen ich den Job gelernt hatte, wurde ich immer sicherer darin, meine eigene Sicht der Welt durch Journalismus und kritisches Schreiben zu erkunden.

Während ich als stellvertretender Redakteur eines Architektur- und Designmagazins namens Blueprint mit Sitz in London arbeitete, gründete ich Eye, eine vierteljährlich erscheinende internationale Zeitschrift für Grafikdesign. Simon Esterson war damals der Designer von Blueprint. Das war 1990 und es ist unglaublich, dass Eye immer noch als unabhängiges Magazin erscheint. In Blueprint und Eye sind viele meiner frühen Texte erschienen.

Nach sieben Jahren bei Eye ließ ich die Redaktion hinter mir, um mich wieder auf das Schreiben zu konzentrieren. Der Journalismus blühte noch, sogar in den frühen Tagen des World Wide Web. Es gab viele Designmagazine, die gute Honorare zahlten. Ich schrieb für amerikanische Magazine und konnte mir so eine freiberufliche Existenz aufbauen. Gleichzeitig wurde ich durch Vorträge an Universitäten und Kunstschulen allmählich in die akademische Welt hineingezogen. Ich wurde Gastprofessor am Royal College of Art in London. Wie überlebt man als Autor in der bildenden Kunst? Oft, indem man andere Dinge tut: Vorträge halten, unterrichten, Ausstellungen kuratieren. Ich habe eine Reihe Bücher veröffentlicht.

An zwei Tagen in der Woche bin ich jetzt Professor für Design und visuelle Kultur an der University of Reading. Ich habe das, was die Amerikaner »Festanstellung« nennen würden, und einen regelmäßigen Gehaltsscheck. Der Job kam zu einer Zeit, als die Möglichkeiten zum Schreiben versiegten, weil Publikationen geschlossen wurden und die Gehälter stagnierten oder sanken. Ich wurde älter, und das Schreiben über Design ist ein Spiel für junge Leute, wenn es heutzutage überhaupt noch eine realisierbare Karriere ist.

DW: Welche Themen oder Fragen haben Sie im Laufe dieser Jahrzehnte in den Bann gezogen?

RP: Ich habe viel über die Geschichte des britischen Grafikdesigns geschrieben. Ich fühle mich immer zu experimentelleren Formen der Praxis hingezogen. In Bezug auf das David King-Buch ist mir eine Sache besonders wichtig: Ich war sehr an Grafikdesignern interessiert, die das Medium Design als einen Kanal oder eine Plattform nutzten, um ihre eigenen Ideen auszudrücken. Die konventionelle Vorstellung ist, dass ein Designer oder eine Designerin angestellt wird. Der Auftraggeber hat eine Botschaft, die er kommunizieren möchte, und beauftragt einen Designer damit, sie gut aussehen zu lassen, ihr ein hohes Maß an Wirkung zu verleihen und eine Verbindung zu einem Publikum herzustellen.

All das machen Designer auch, das sind ihre Kernkompetenzen, aber einige von ihnen finden Wege, das Medium Design als eine Möglichkeit zu nutzen, etwas Persönlicheres und Herausforderndes über die Welt zu sagen.

In der britischen Designszene ist David King meiner Meinung nach das perfekte Beispiel für diese Tendenz. Er beginnt als Grafikdesigner, bekommt einen Job als Designer beim Sunday Times Magazine, einer farbigen Wochenendbeilage, und wird schnell zum visuellen Journalisten – es geht also schon um mehr als nur Design. Er dachte in redaktionellen Inhalten und Themen, die er selbst recherchieren und gestalten konnte. Und er nutzte seine Chance beim Magazin, um herauszufinden, wie man vor allem visuelle Geschichten erzählt (obwohl er sich auch als ziemlich guter Autor entpuppte).

Mehrere meiner Bücher handeln von Designern, die einen Weg gefunden haben, einen eher schriftstellerischen Ansatz zu wählen. Eines handelt von einem holländischen Grafikdesigner, der jetzt in seinen 80ern ist, Jan van Toorn, eine sehr einflussreiche Figur in diesem Bereich. Seine frühen Arbeitsjahre, in den 1960er Jahren, waren seine politische Erziehung. Er war in seinen 40ern, bevor er seine wahre Richtung als Designer entdeckte. Er ist ein Linker, mit einem hohen Verständnis für kulturelle und politische Theorie. Seine Entwürfe waren brechtianisch und disruptiv. Er nutzte seine Projekte als Medium für Kritik an der niederländischen Politik und Gesellschaft. Kollegen warfen ihm vor, zu persönlich, zu eigenwillig, nicht distanziert genug oder nicht »objektiv« genug zu sein. Van Toorns Arbeit, wie auch die von David King, zeigt, dass »Neutralität« im Design eine Illusion ist.

Van Toorn kannte auch Kings Arbeit. Er erzählte mir, dass er einmal in der Woche zum Amsterdamer Hauptbahnhof ging, um die Sunday Times und das Sunday Times Magazine zu holen, weil er die Art und Weise, wie Michael Rand und David King mit den Bildern umgehen, liebte.

Wie ich in dem Buch zu zeigen versuche, ist King ein Vorbild für den Grafikdesigner als eine neue Art von Autor. Gerade Designer können von einem so vielschichtigen und faszinierenden Werk eine Menge lernen.

DW: Wann und wie hat sich Ihr Interesse an seiner Arbeit entwickelt?

RP: Ich habe ihn in den frühen 1990er Jahren kennengelernt. Ich besuchte ihn von Zeit zu Zeit in dem Haus in London, wo Sie auch waren. Und wie Sie wissen, war es wie ein privates Museum – vollgepackt mit Schätzen aus seiner Sammlung russischer revolutionärer Grafiken, Publikationen und Fotografien. Er führte einen herum, zeigte Plakate von Dmitrij Moor oder anderen und sagte dann: »Das kann einfach nicht sein! Ich habe Jahre damit verbracht, danach zu suchen.« Er nahm mich in seine Bibliothek mit und zeigte seine Exemplare von UdSSR im Bau, und er hatte jede Ausgabe, in allen fünf Sprachen, in denen sie publiziert wurde.

Als ich die Zeitschrift Eye herausgab, zeigte er mir Material, das schließlich in »The Commissar Vanishes« auftauchte und mit der Fälschung von Kunst und Fotografie unter Stalin zu tun hatte. Ich beauftragte ihn, für Eye einen kurzen Artikel zu diesem Thema zu schreiben, der den Titel »Brushed Out of History« [Aus der Geschichte getilgt] trug.

Der Artikel präsentierte zwei Beispiele stalinistischer Retuschen, David schrieb vielleicht 400 Wörter. Es war der erste Text von ihm, den ich gesehen hatte. Er war fast wie von einem altmodischen, mit der Schreibmaschine hämmerndem, leicht verbissenen Zeitungsjournalisten geschrieben. Er hatte Schwung und Elan. Kein Wort zuviel und jeder Satz war extrem lebendig.

Erst später, als ich für das Buch recherchierte, verstand ich, wie er die Sammlung zusammengestellt hatte. Er war absolut unermüdlich, schickte Briefe und Wunschlisten an Buchhandlungen in ganz Amerika, in ganz Europa, um alle Ausgaben der USSR im Bau zu ergattern, die er noch nicht hatte. Er benutzte Duplikate und Triplikate, um sie gegen fehlende Exemplare zu tauschen. Das ist nur ein Beispiel für eine Publikation, die er zusammenstellte. Er hat das in allen Bereichen gemacht.

Er war erregbar und es war aufregend, in seiner Nähe zu sein. Er liebte es, seine Begeisterung zu vermitteln. Jeder, der ihn traf, wurde in seinen Bann gezogen und war fasziniert von dem, was er tat.

»Demonstrate!«, Plakat von David King für die Anti-Apartheid-Bewegung (1978) [Photo: David King]

DW: Welchen Stellenwert und welche Reputation hat David King aus Ihrer Sicht heute in Designkreisen, wenn überhaupt?

RP: Das ist ein wichtiger Punkt. King hat während seiner zehnjährigen Tätigkeit für das Sunday Times Magazine einen großen Einfluss ausgeübt. Erst als ich für das Buch recherchierte und in alten Design-Jahrbüchern nachschaute, wurde mir bewusst, wie viele Preise er für seine Arbeit an der Zeitschrift gewonnen hat. Diese Auszeichnungen teilte er sich oft mit Michael Rand, der der Art Director war – David war der Art Editor. Sie scheinen sich sehr gut verstanden zu haben; wenn sie einen Stapel Fotos vor sich hatten, waren sie sich offenbar völlig einig, wie diese Bilder in der Zeitschrift verwendet werden sollten.

Die Designer kannten King bis in die 1980er Jahre hinein sehr gut. Sie kannten seine Penguin-Buchcover, seine politischen Plakate, seine Cover für das Magazin City Limits. Ende der 1980er Jahre konzentrierte er sich viel mehr auf seine Sammlung. Seine enorme Fotosammlung wurde zu einem Geschäft. Er lieferte Bilder der Russischen Revolution und der Sowjetzeit an Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunkanstalten und Bildungsverlage.

Allmählich zog er sich vom Design zurück. Er verlor langsam das Interesse daran, ein Designer zu sein. Er wollte sich nicht an das computerbasierte Design anpassen. Er hatte Ausstellungsprojekte und Buchprojekte, an denen er arbeiten musste, sowie die Fotothek. Dadurch geriet er in der Designwelt aus dem Blickfeld, und das störte ihn nicht sonderlich. In der Tate Modern in London gab es einen Raum mit wechselnden Exponaten aus der David King Collection. Seine Arbeit war sichtbar, aber für ein anderes Publikum.

Ein Teil der Absicht des Buches ist es, ihn wieder ins Blickfeld zu rücken, zu zeigen, wie ein Bereich seiner Arbeit zum nächsten führt, und dass es eine direkte Beziehung zwischen David King, dem visuellen Journalisten, und David King, dem Sammler und visuellen Historiker, gibt – das sind keine unterschiedlichen Menschen. Die Phasen seiner Karriere folgen einer Logik: vom Journalismus über den Aktivismus bis hin zur Geschichte.

Sunday Times Magazine, 19. April 1970, Lenin Teil 2, von David King und Brenda Jones [Photo: Sunday Times Magazine]

DW: Diese Prozesse sind miteinander verwoben. Die Welt und die politischen Verhältnisse veränderten sich, mit der Auflösung der Sowjetunion und all dem Geschwätz über das Ende der Geschichte und das Scheitern des Sozialismus. Mit anderen Worten, er änderte die Konturen seines Lebens, als sich die Welt in gewisser Weise veränderte. Ich denke, es hat auch eine Rolle gespielt, dass er wegen seiner politischen und historischen Interessen und Ansichten in Ungnade gefallen ist.

Ich halte ihn für einen außergewöhnlichen Künstler und eine künstlerische Persönlichkeit. Er hat ein einzigartiges Gesamtwerk geschaffen. Ich denke, er sollte deutlich bekannter sein, als er es ist. Ihr Buch hat mich auf vieles aufmerksam gemacht, was ich noch nicht kannte, zum Beispiel Plakate und Alben.

RP: Ich denke, die Zeiten sind jetzt günstiger, um zu würdigen, was er geschaffen hat. Wir leben in einer Ära des Protests. Jüngere Designer verstehen Kings Plakate auf Anhieb. Sie sind auf visueller Ebene begeistert, aber auch durch den Geist des politischen Protests und der Opposition, den die Plakate vermitteln. Und ich glaube nicht, dass das der Fall gewesen wäre, wenn wir uns in den späten 1990er Jahren unterhalten hätten. Da haben Sie absolut Recht. Schon Mitte der 1980er Jahre konnte David erkennen, dass sich die Zeiten geändert hatten.

Das war die lange Zeit der konservativen Regierung, die für Linke bedrückend war. David spürte das auch. Es gab ein Gefühl der Dringlichkeit bei der Linken Ende der 70er Jahre. Dann kam 1979 [Premierministerin Margaret] Thatcher, und das gab den Linken Anfang der 80er Jahre einen neuen Sinn und Zweck, weil sie gegen den aufkommenden Thatcherismus kämpften. Als Thatchers Regierung begann, politische Schlachten zu gewinnen, darunter der berühmte Bergarbeiterstreik 1984–1985, war es, als würde die Linke zermalmt werden. Mitte der 80er Jahre verspürte auch David ein Gefühl der Niedergeschlagenheit über den Zustand der Politik.

Lubetkin & Tecton, Plakat von David King für das Museum of Modern Art, Oxford 1982 [Photo: David King]

Später in den 80ern kam die Zeit von Glasnost, die seine Sammlungsarbeit in Schwung brachte. David hatte all dieses Material und plötzlich wandten sich Zeitungen und Fernsehsender an ihn als Quelle für Bilder zur russischen und sowjetischen Geschichte, als sie sich mit Perestroika und Glasnost und der Gorbatschow-Ära auseinandersetzten.

Im Laufe der 1990er Jahre geriet dieses Thema jedoch aus der Mode. Er kämpfte damit, die Bücher, die er machen wollte, zu veröffentlichen, bis zu »The Commissar Vanishes«, dieser außergewöhnlichen Geschichte, die er in seiner eigenen Sammlung entdeckte – so beschrieb er es. Er ging zwischen all seinen sowjetischen Bildern hin und her, und langsam fügte er diese visuellen Geschichten der stalinistischen Fälschungen zusammen. Ein paar von ihnen waren schon vor »The Commissar Vanishes« in anderen Publikationen erschienen, aber er untersuchte das Phänomen gründlicher, als es jemals jemand vor ihm getan hatte.

1997, als »The Commissar Vanishes« herauskommt, hat er eine Geschichte, die die Welt hören will. Es gab ein internationales Interesse daran und ab diesem Zeitpunkt nahm seine Bucharbeit wieder Fahrt auf. Dann kommt »Ganz normale Bürger«, und diese Phase der Veröffentlichung gipfelt 2009 in »Roter Stern über Russland«, das ich als eines seiner besten Werke, vielleicht sein Meisterwerk, betrachte.

»The Great Purges«, von Isaac Deutscher und David King für Blackwell 1984 [Photo: Blackwell]

DW: Um das Thema zu wechseln: Wenn Sie von Kings Fähigkeit sprechen, ein Foto auf eine bestimmte Weise zu sehen, anders als andere es sehen können, wirft das auch die Frage nach der künstlerischen Intuition auf. Intuition, das sind Wahrheiten, die in der Vergangenheit entdeckt und gelernt wurden und die in die Sphäre des Unbewussten übergegangen sind, so dass sie dem Künstler scheinbar spontan zur Verfügung stehen.

RP: Das ist wirklich interessant. Was ich als Forscher gerne von David oder von Leuten aus seinem Milieu gehört hätte, ist eine Theorie darüber, wie man eine visuelle Erzählung auf dem Blatt konstruiert. Was bedeutet es, ein besseres Bild oder das »beste« Bild im Gegensatz zu einem minderwertigen auszuwählen und es dann mit anderen Bildern in einer Weise zusammenzubringen, die die Geschichte mit visueller Kraft und einem Gefühl von Dramatik erzählt? Wir sind vielleicht in der Lage, diese Qualitäten auf der Buchseite zu erkennen, aber wie hat die Person, die das Layout macht, in diesem Fall David, diese Fähigkeit erworben, und was waren die leitenden Prinzipien, sowohl ästhetisch als auch intellektuell?

Ich habe einige Nachforschungen in diese Richtung angestellt, aber ich habe keine definitiven Antworten erhalten. Es gibt eine Passage in dem Buch, in der ein Fotograf namens Red Saunders, selbst ein Linker, der für das Sunday Times Magazine arbeitete, davon erzählt, wie er mit Rand und King in einem Raum sitzt und sie Saunders’ Bilder an die Wand projizieren. Es sind 35-Millimeter-Farbdias. Sie haben sie in einem Karussell und gehen sie einfach durch, eines nach dem anderen. Während Red die Geschichte erzählt, sagen sie: »Nein ... nein ... nein ... ja ... nein ... das ist eine Doppelseite ... nein ...« Sie machen das sehr schnell zusammen, und sie scheinen sich bei diesen Entscheidungen völlig einig zu sein, ohne dass sie darüber reden oder einen Grund nennen müssen. Es ist, als hätten sie die Eigenschaften eines guten Bildes so verinnerlicht, dass es zu einer Art stillschweigendem Wissen geworden ist. Sie gehen tatsächlich intuitiv vor.

David King in seinem Studio 1992 (Foto: Guy Hearn) [Photo]

Es ist möglich, diese visuellen Geschichten im Nachhinein zu zerlegen und zu erklären, warum dieses Bild mit jenem zusammenpasst, wie es zum nächsten führt und was diese Sequenzen bedeuten. Das heißt nun nicht, dass David selbst auf diese Weise über seine Arbeit hätte sprechen wollen. Er hätte es wahrscheinlich für langweilig und unnötig gehalten – sprechen die Bilder nicht für sich selbst?

Natürlich tun sie das, aber ich frage mich, ob eine kritische Geschichte des Handwerks der Verwendung von Fotografien in Printmedien geschrieben werden kann, ob wir genug darüber wissen können, um über »Intuition« als Erklärung hinauszugehen. Das ist für ein zukünftiges Projekt. David King ist sicherlich ein hervorragendes Beispiel für jemanden, der sowohl ein Bildforscher als auch ein Bildbearbeiter war, mit einem entschiedenen, intuitiven Gespür dafür, wie man sein Material gestaltet.

DW: Wie war die Reaktion auf das Buch?

RP: Designer, die das Buch anschauten, haben erstaunlich positiv darauf reagiert. Sie lieben das Material und die Art und Weise, wie es in dem Buch zusammengebracht ist. Wir haben ein paar Rezensionen bekommen, vielleicht nicht so viele, wie ich mir erhofft hatte, aber es ist ja auch noch nicht so lange her. Einige von ihnen werden später in Magazinen und Zeitschriften erscheinen. Die beste Werbung, die wir bisher bekommen haben, war seltsamerweise in Amerika.

David King in der Tate Modern, 2009 (Fotografiert von David North)

Die Zeitschrift Interview fragte mich, was ich gerne machen würde, und ich schlug vor, Judy Groves, Davids Arbeitspartnerin und enge Freundin, zu interviewen. Wir nahmen ein langes Gespräch auf.

DW: Was sind Ihre eigenen politischen Ansichten?

RP: Meine Position ist absolut links, sagen wir es mal so. Andererseits war ich noch nie Mitglied einer Partei. Ich habe über diese Frage mein ganzes Erwachsenenleben lang nachgedacht. Als ich jung war, kamen die Ideen, die mich am meisten begeisterten, aus einer nicht unbedingt kompatiblen Mischung aus revolutionärem Surrealismus und Anarchismus. Ich unterstütze die Notwendigkeit von sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und Fairness für alle und die Umverteilung von Reichtum, wie auch immer das erreicht werden könnte. Die kolossale Ungleichheit zwischen den Geringverdienern und der neuen Klasse der Milliardäre ist außerordentlich schädlich für uns alle. Ich weiß nicht, wie wir das angehen können.

Ich verzweifle daran, wie die britische Parteipolitik sich mit den Themen beschäftigt, die mir am wichtigsten sind. Die Labour Party enttäuscht immer wieder. Wir sind weit entfernt von einem fairen Verhältniswahlrecht. Meine natürliche Heimat wäre bei den Grünen, wenn sie in Großbritannien überhaupt eine ernsthafte politische Vertretung hätten. Der Klimanotstand ist unsere schwerwiegendste und besorgniserregendste Herausforderung. Deshalb bleibe ich ein bündnisfreier Linker.

Informationen über Rick Poynors Buch unter: https://www.davidkingdesigner.com.
Drei Bildbände von David King sind auf Deutsch im
Mehring Verlag erschienen.

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