Die Grünen und die CDU Baden-Württembergs haben vergangene Woche ihren 162-seitigen Koalitionsvertrag vorgestellt. Sie setzen damit das Regierungsbündnis unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) fort, das seit Mai 2016 regiert. Das Papier ist eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse.
Zum einen sollen die Milliardenbeträge, die als „Coronahilfen“ an Konzerne und Banken bezahlt wurden, auf Kosten der Bevölkerung wieder hereingeholt werden. Bereits im Vorwort heißt es, dass „der finanzielle Spielraum im Haushalt […] sehr klein ist. Wir müssen in den kommenden Jahren noch sehr viel genauer abwägen: Welche Ausgaben müssen und wollen wir tätigen? Und welche können wir uns erst einmal nicht mehr leisten?“
Zum anderen will die Landesregierung in enger Zusammenarbeit mit Konzernvorständen und Gewerkschaften die Transformation der Autoindustrie vorantreiben und zehntausende Arbeitsplätze vernichten. In Baden-Württemberg mit 11 Millionen Einwohnern befindet sich jeder vierte Arbeitsplatz der deutschen Fahrzeugindustrie. Rund 235.000 Beschäftigte arbeiten direkt für Hersteller und Zulieferer.
Die Koalition aus Grünen und CDU in Baden-Württemberg gilt als Modellprojekt für eine mögliche Bundesregierung. Um die wachsende Opposition gegen den geplanten Sozialabbau und die Profite-vor-Leben-Politik in der Coronapandemie zu unterdrücken, plant sie, die Ausgaben für Polizei und Justiz weiter zu erhöhen.
Polizei und Justiz werden „personell und technisch“ kräftig weiter gestärkt, der öffentliche Raum breiter überwacht. Der Einsatz von Bodycams wird ausgeweitet. Das Landesamt für Verfassungsschutz wird gestärkt, der „behördenübergreifende Informationsaustausch auf Landes- und Bundesebene“ intensiviert und die Beobachtung von Organisationen, die die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gefährden, ausgeweitet.
Die arbeiterfeindliche Zielrichtung findet sich an verschiedenen Stellen des Koalitionsvertrags. Bereits zu Beginn des Kapitels „Wirtschaft und Arbeit“ wird die Richtung vorgegeben. Die Koalition setzt „auf die Kraft des freien Wettbewerbs“ und ein breites Bündnis aus „Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Gesellschaft“.
Der „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ soll dazu genutzt werden, „die Gewerkschaften, die Wissenschaft, Fachverbände und die Nutzerinnen und Nutzer verstärkt“ einzubinden, um „durch Arbeitszeitgestaltungen auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten“ und durch „eine Weiterbildungsoffensive […] den Transformationsprozess in den Betrieben“ voranzutreiben. Die Koalition werde die „ambitionierten Pläne der Automobilhersteller für die Umstellung ihrer Produktion auf batterieelektrische Pkw“ mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen.
Im Klartext bedeutet das: Tausende gut bezahlte Arbeitsplätze in der Automobil- und Zulieferindustrie werden abgebaut und die Arbeiter auf die Straße gesetzt.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann selbst gilt im Autoland Baden-Württemberg nach zehn Jahren im Amt als Liebling der Autobosse, die die schrecklichen Folgen der Corona-Pandemie nutzen, um lange geplante Umstrukturierungen und Massenentlassungen durchzusetzen.
Allein im letzten Jahr wurde der Abbau von mehreren Zehntausend Stellen in der Autoindustrie angekündigt, davon bis zu 15.000 beim Automobilzulieferer ZF. Auch bei Daimler sollen bis zu 30.000 Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer fallen. Experten gehen davon aus, dass in den nächsten 18 Monaten rund 15 Prozent der Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie auf dem Spiel stehen – das sind etwa 130.000. Laut einer aktuellen Studie des Ifo-Instituts sind sogar bis zu 221.000 Arbeitsplätze bedroht.
Auch in der Flüchtlingspolitik steht der Koalitionsvertrag für eine Verschärfung der bisherigen Politik. So sollen Asylsuchende „schnell Klarheit über ihren weiteren Verbleib in Deutschland“ erhalten. Deshalb werden die Erstaufnahmeeinrichtungen bzw. Ankerzentren weiter ausgebaut, um „die Asylverfahren noch während des Aufenthalts in der Erstaufnahme zum Abschluss zu bringen“. So sollen die Flüchtlinge isoliert, überwacht, eingeschüchtert und zur „freiwilligen“ Rückkehr getrieben werden.
Kretschmanns Regierung hatte schon 2019 insgesamt 2648 Asylsuchende abgeschoben und 2020 während der Pandemie weitere 1383 Geflüchtete deportiert. In den beengten und unhygienischen Flüchtlingsunterkünften breitete sich das Coronavirus rasend schnell aus. Anstatt die Lager aufzulösen, wurden die Migranten dort eingesperrt und von der Bundeswehr bewacht.
Des Weiteren bekennt sich der Koalitionsvertrag klar zur Bundeswehr. So soll die Bundeswehr vermehrt im Inneren sichtbar werden und ihre Einsätze im Inneren ausbauen.
Die massive Staatsaufrüstung dient nicht etwa dem Kampf gegen „rechtsextreme Terrornetzwerke“, wie die Grünen an mehreren Stellen in ihrem Wahlprogramm suggerieren. In Wirklichkeit fürchten die Grünen und die wohlhabenden Mittelschichten, für die sie sprechen, die wachsende soziale Opposition von Arbeitern und Jugendlichen und eine politische Abrechnung mit ihrer reaktionären Politik. Deshalb ihr penetranter Ruf nach einer starken und hochgerüsteten Polizei.
Die CDU hatte bei der Landtagswahl vom 14. März das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Die Wahlniederlage war das Ergebnis der rechten Politik der grün-schwarzen Koalition, die eine Politik der Sozialkürzungen, der Staatsaufrüstung und der Durchseuchung verfolgt hatte. Dass die Grünen diese Regierung trotz der Niederlage der CDU fortsetzen, ist auch ein Signal für die Bundespolitik. Die Partei bereitet sich darauf vor, die nächste Regierung anzuführen.
Nach dem aktuellen Stand der Umfragen wäre nicht nur ein Bündnis mit der Union unter Baerbock als Kanzlerin, sondern auch eine Ampelkoalition mit SPD und FDP – ebenfalls unter grüner Führung – möglich.
Bei der Bekanntgabe der Kanzlerkandidatur Baerbocks kritisierten die beiden Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck die Politik der Großen Koalition mit keiner Silbe, die für inzwischen fast 85.000 Corona-Opfer verantwortlich ist. Stattdessen versprachen sie einen anderen Politikstil, eine „andere politische Kultur“ und „ein neues Verständnis von politischer Führung“. Mit anderen Worten: dieselbe Politik in neuer Verpackung.
Die Politik der Großen Koalition stößt in der Bevölkerung auf starke Ablehnung. Das beschränkt sich nicht auf die Bundesebene, sondern richtet sich auch gegen die Landesregierungen, an denen die Grünen in elf von 16 Ländern beteiligt sind.
Die Zeit schrieb Ende März: „Was sich in diesen Tagen bemerkbar macht, ist eine bislang ungekannte Systemskepsis in den systemstabilisierenden Teilen der Bevölkerung. Ein Vertrauensverlust bei denjenigen, die der Politik bislang vertrauten.“ Spiegel-Redakteur Dirk Kurbjuweit wirbt dafür, dass die „hochdisziplinierten Grünen der nächste Stabilitätsanker der Bundesrepublik werden“ und die „abgewirtschaftete“ CDU ablösen.
Auch außenpolitisch setzen die Grünen bei der Aufrüstung und der militärischen Aggression gegen China und Russland Maßstäbe. Die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) fasste ein groß aufgemachtes Baerbock-Interview wie folgt zusammen: „Grüne Kanzlerkandidatin plädiert für die Zusammenarbeit mit Amerika, die Eindämmung Chinas und eine härtere Haltung gegenüber Russland.“
Im Bundestagswahlprogramm, das die Grünen vor zwei Wochen vorstellten, verpflichten sie sich auf die Fortsetzung der rechten und militaristischen Politik der Großen Koalition. Sie versprechen mehr Geld für Aufrüstung und Krieg, einen stärkeren Unterdrückungsapparat im Inneren und wirtschaftliche „Reformen“, um den deutschen Kapitalismus gegen seine internationalen Kontrahenten zu stärken.
In Sachen rücksichtsloser Durchsetzung kapitalistischer Interessen wollen die Grünen ebenfalls Vorreiter sein. Die FAZ kommentierte die Kandidatur Baerbocks zufrieden: „Sie sprach nicht nur über grüne Kernthemen, sondern auch über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und den Mittelstand.“
Die Corona-Pandemie hat nicht nur alle Gegensätze des Kapitalismus auf die Spitze getrieben, sondern auch den Charakter der Grünen klarer gezeigt. Wie die anderen kapitalistischen Parteien stellen sie in der Pandemie die Interessen und Profite der Wirtschaft über die Gesundheit und das Leben der Menschen.
Die einzige Partei, die dieser rechten Politik mit einer fortschrittlichen Perspektive entgegentritt, ist die Sozialistische Gleichheitspartei. Sie tritt zu den Bundestagswahlen an, um eine internationale Arbeiterpartei aufzubauen, die der kapitalistischen Barbarei – Durchseuchung, Sozialabbau, Krieg und Umweltzerstörung – eine sozialistische Gesellschaft entgegenstellt, die nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht den Profitinteressen der Reichen organisiert ist.