Perspektive

Herrschende Klasse in den USA will Arbeitslosenhilfe kürzen

Vor dem Hintergrund der Massenarmut und der sozialen Verwerfungen, die durch die Corona-Krise ausgelöst wurden, verstärkt das US-amerikanische Establishment seine Kampagne zur Kürzung der Arbeitslosenhilfe, um die Arbeiter wieder in Niedriglohnjobs zu zwingen.

Am vergangenen Mittwoch kündigte der republikanische Gouverneur von Montana an, dass er die Teilnahme des Bundesstaates am 300-Dollar-Zuschuss für Arbeitslose vorzeitig beenden und sich im nächsten Monat aus dem Programm zurückziehen werde. Die wöchentliche Zuzahlung von 300 Dollar wurde als Teil des im März verabschiedeten 1,9-Billionen-Dollar-Konjunkturprogramms der Biden-Regierung eingeführt und läuft in den gesamten USA am 6. September, also in weniger als vier Monaten, aus. Nach der Ankündigung aus Montana erklärten zunächst South Carolina und dann Arkansas, dass sie ebenfalls die Arbeitslosenunterstützung des Bundes vorzeitig beenden werden.

Doch eine wichtige neue Etappe in dieser Kampagne wurde mit der Veröffentlichung des Arbeitsmarktberichts am Freitag eingeleitet. Im Vorfeld des Berichts hatten offizielle Medienumfragen unter Ökonomen die Schaffung von einer Million neuer Arbeitsplätze vorausgesagt – eine Zahl, die in der amerikanischen Nachkriegsgeschichte fast ohne Beispiel ist.

Hunderte von Menschen warten in einer Schlange auf Tüten mit Lebensmitteln in einer Lebensmitteltafel in der St. Mary's Church in Waltham, Massachusetts, 2020. (AP Photo/Charles Krupa)

Der Bericht zeigt, dass die USA im April 266.000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben, was im historischen Vergleich eine beachtliche Zahl ist, aber 700.000 Arbeitsplätze unter dem liegt, was die Medienumfragen unter Ökonomen ergaben.

Doch trotz der Tatsache, dass niemand erklären konnte, wie die Ökonomen die Zahl derart falsch eingeschätzt hatten, wurde der Bericht sofort in einer Kampagne verwendet, die so straff choreographiert war, dass sie im Voraus ausgearbeitet zu sein schien.

Eine Stunde nach der Veröffentlichung des Berichts machte die größte Lobbygruppe der amerikanischen Unternehmen, die US-Handelskammer, den Anfang und forderte in einer Erklärung, die staatliche Arbeitslosenhilfe zu streichen. Sie schrieb: „Der enttäuschende Arbeitsmarktbericht macht deutlich, dass die Bezahlung von Menschen, die nicht arbeiten, einen stärkeren Arbeitsmarkt dämpft.“

Weitere Regierungen in anderen Bundesstaaten signalisieren nun, dass auch sie die Verteilung von Bundeshilfen einstellen werden. Indiana und Arizona haben angedeutet, dass sie ebenfalls eine Streichung der staatlichen Arbeitslosenhilfe ins Auge fassen, und andere Bundesstaaten wie Florida haben angekündigt, dass sie den Zugang zu den Leistungen wieder einschränken wollen.

Das Vorhaben, den 300-Dollar-Bundeszuschuss zur Arbeitslosenversicherung zu streichen, wird bedeuten, dass Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen von Familien mit völliger Mittellosigkeit konfrontiert sein werden.

Letzten Monat zeigte eine neue Studie, dass die Armutsquote in den USA auf 11,7 Prozent gestiegen ist, von 10,3 Prozent im März 2020, und damit den höchsten Stand seit Beginn der Pandemie erreicht hat.

Schon jetzt wurde einer großen Zahl von Arbeitslosen die Leistung ohne Erklärung gestrichen. Andere haben es derweil einfach aufgegeben, Anträge zu stellen, weil sie die Nase voll haben von den verworrenen, veralteten und häufig überlasteten bundesstaatlichen Arbeitslosensystemen. In vielen Staaten werden diejenigen, die ein Jahr lang Hilfe erhalten haben, laut CNBC einer automatischen Überprüfung durch die staatlichen Behörden unterzogen, die oft ihre Zahlungen verzögert, senkt oder ganz einstellt.

Während der Pandemie sind außerdem Millionen von Menschen zu Hause geblieben und aus dem Arbeitsleben ausgeschieden, um sich um ein Kind oder einen älteren Verwandten zu kümmern, oder um ein gesundheitlich gefährdetes Familienmitglied vor einer Infektion zu schützen. Vielen dieser Familien und anderen, die einfach keine Arbeit finden, hat die verlängerte staatliche Arbeitslosenhilfe es ermöglicht, sich gerade so durchzuschlagen. Die Arbeitslosenhilfe war absichtlich im Spätsommer letzten Jahres auslaufen gelassen worden, während die Trump-Regierung und beide Parteien im Kongress darüber verhandelten, um wie viel der bisherige wöchentliche Betrag von 600 Dollar gekürzt werden sollte.

Das Ziel der Medienkampagne der Konzerne, die Arbeitslosenhilfe zu kürzen, ist es, eine vorsätzliche und brutale Politik, die zu Armut und Elend für eine große Zahl von Menschen führen wird, irgendwie als unvermeidliche Notwendigkeit zu vermarkten, die notwendig ist, um den „wirtschaftlichen Aufschwung“ zu verteidigen.

Am Freitag enthüllte dann die Redaktion des Wall Street Journal, des Sprachrohrs der rücksichtslosesten Elemente der Finanzaristokratie, unverblümt die wirklichen Ziele, die der Absicht zugrunde liegen, die Leistungen für Arbeitslose zu kürzen.

Unter Hinweis auf die jüngsten Lohnerhöhungen in einigen Branchen stellte die Zeitung fest: „Das Risiko besteht darin, dass sich diese Lohnerhöhungen in den Erwartungen verankern und zu einer allgemeineren Inflation führen“ (Hervorhebung hinzugefügt). Die politische Lehre daraus ist, die staatlichen Beschränkungen hinsichtlich des Angebots zu lockern. Das bedeutet die Abschaffung der staatlichen Prämie, nicht zu arbeiten.“

Wie üblich sagt das Wall Street Journal krass und offen, was andere Teile des politischen Establishments leise und zu sich selbst sagen: Die Löhne dürfen auf keinen Fall steigen, denn wenn die Löhne der Arbeiter steigen, wächst der Reichtum der Reichen langsamer!

Diese Unterdrückung der Löhne war der zentrale Leitgedanke jeder Regierung, der Demokraten wie der Republikaner, seit Jimmy Carter. Dieser hatte eine künstliche Rezession im Namen der Bekämpfung der „Inflation“ initiiert, eine Politik, die unter Reagan fortgesetzt wurde. Von der Clinton-Regierung, die das soziale Sicherheitsnetz unter dem Slogan „Schluss mit der Wohlfahrt, wie wir sie kennen“ zusammengestrichen hat, über die Bush-Jahre bis hin zu Obamas Verlängerung der 50-prozentigen Lohnkürzung für neu eingestellte Autoarbeiter im Jahr 2009 und der Trump-Regierung haben die Löhne weiter stagniert.

Jetzt, inmitten der größten Gesundheitskrise in der amerikanischen Geschichte, wendet sich die herrschende Klasse an die Arbeiter und sagt: Ihr könnt für Armutslöhne arbeiten, oder ihr könnt verhungern!

Die unausgesprochene Prämisse in der Argumentation des Wall Street Journal und anderer ist, dass es einfach nicht genug Geld gibt, um die Löhne substanziell zu erhöhen oder all jene zu bezahlen, die nicht arbeiten können. Das ist eine Lüge!

Und doch erreichen die Börsenindizes immer neue Höhen. Tatsächlich stiegen sowohl der Dow Jones als auch der S&P 500 am Freitag nach der Veröffentlichung des April-Arbeitsmarktberichts auf neue Rekordwerte oder nahe an diese heran.

Der endlose Anstieg der Aktienmärkte, angeheizt durch die Politik des billigen Geldes der Fed, hat das Vermögen der Unternehmensoligarchen auf ein noch nie dagewesenes Niveau aufgeblasen, mit der Schaffung einer ganz neuen Schicht von „Zentimilliardären“, die ein Vermögen von über 100 Milliarden Dollar besitzen.

Zwischen März 2020 und April 2021 ist das Vermögen der US-Milliardäre – etwa 700 Einzelpersonen – laut dem Institute for Policy Studies um 1,62 Billionen Dollar auf insgesamt über 4,56 Billionen Dollar angestiegen. Das ist etwa das Vierfache des Vermögens, das die untere Hälfte der US-Bevölkerung, 165 Millionen Menschen, besitzt.

Das weitere Wachstum des Aktienmarktes und des Reichtums der herrschenden Klasse hängt letztlich von der künstlichen Unterdrückung der Löhne und der Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse ab. Jede substanzielle Lohnerhöhung für Arbeiter, insbesondere für diejenigen, die am wenigsten verdienen, droht diese Abläufe zu stören und die aufgestauten Forderungen der Arbeiter nach einer Umkehrung des jahrzehntelangen Rückgangs ihrer Einkommen zu entfesseln. Dies muss vom Standpunkt der herrschenden Klasse aus mit allen Mitteln verhindert werden, auch durch die Streichung der Arbeitslosenhilfe.

Das ist der Grund, warum Biden, der gerade das größte Militärbudget in der Geschichte beantragt hat und den amerikanischen Kapitalismus auffordert, Billionen von Dollar im „Wettbewerb“ mit China einzusetzen, nach seinem Amtsantritt schnell sein Wahlkampfversprechen aufgegeben hat, den Mindestlohn von seinem absurd niedrigen Niveau von 7,25 Dollar pro Stunde anzuheben.

Das Argument, dass der Gesellschaft der Wohlstand fehlt, um den Arbeitern einen anständigen Lohn und Arbeitslosengeld zu zahlen, ist absurd. Nicht nur die Arbeitslosenunterstützung muss fortgesetzt und ausgeweitet werden, auch der Mindestlohn muss sofort auf mindestens 25 Dollar pro Stunde angehoben werden.

Arbeiter initiieren bereits Streiks und andere Maßnahmen, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen, von Volvo-Truck-Arbeitern in Virginia bis zu Kohlebergarbeitern in Alabama, Stahlarbeitern in Pennsylvania und anderen Staaten. Diese Kämpfe müssen ausgeweitet und den Händen der Gewerkschaften entrissen werden, die in den letzten 40 Jahren die Angriffe der herrschenden Klasse auf Arbeitsplätze und Löhne erleichtert haben, indem sie Streiks blockierten und Zugeständnisse in Verträgen erzwangen.

Es wird immer deutlicher, dass das Privateigentum an den riesigen Vermögen der Konzern- und Finanzoligarchen eines der größten Hindernisse für die Befriedigung jeglicher Grundbedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung ist – sei es Hilfe für die Arbeitslosen und Armen, anständige Löhne und Arbeitsbedingungen oder die öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen, die notwendig sind, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen.

Deshalb müssen die Oligarchen um diesen Reichtum erleichtert werden, damit er zur Befriedigung dringender sozialer Bedürfnisse umgelenkt werden kann. Damit eine solche Politik durchgeführt werden kann, muss eine revolutionäre Führung in der Arbeiterklasse aufgebaut werden, die sich auf ein sozialistisches Programm stützt, um die kapitalistische Ausbeutung ein für alle Mal zu beenden.

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