Erst vor drei Monaten, an seinem letzten Arbeitstag als Außenminister der Trump-Regierung, verurteilte Mike Pompeo Chinas Umgang mit der muslimischen Minderheit der Uiguren im Xinjiang im Westen Chinas als Völkermord. Beweise für diese Anschuldigung legte er nicht vor, ebenso wenig eine Rechtfertigung für die Bezeichnung „Völkermord“, die impliziert, dass China die Uiguren gezielt auslöschen will.
Im Februar berichtete Foreign Policy, dass Anwälte, die in den letzten Wochen der Trump-Regierung mit einer Untersuchung des Außenministeriums befasst waren, zu dem Schluss kamen, dass es nicht ausreichend Hinweise gebe, um die Maßnahmen der Kommunistischen Partei Chinas in Xinjiang als Völkermord zu bezeichnen. Sie warnten, „Der Einsatz des V-Wortes ohne gesicherte rechtliche Basis birgt auch das Risiko, dass der Begriff politisch missbraucht und seine Aussagekraft unterhöhlt wird“; schließlich wurde der Begriff für die schlimmsten Fälle von Massenmord benutzt, zum Beispiel für den Mord an die Millionen Juden in den Konzentrationslagern der Nazis.
Diese Einwände wurden pauschal zurückgewiesen, erst von Pompeo und, nach ihrem Amtsantritt, von der Biden-Regierung. Im Wahlkampf griff Biden Trump sogar dafür an, dass er zu weich gegenüber China sei, auch in der Frage von Menschenrechten. Im August 2020 behauptete sein Wahlkampfteam in einer Erklärung, dass die massenhafte Internierung von Uiguren, wofür es keine Beweise gibt, „Völkermord“ darstellten – ein Vorwurf, den der neue US-Außenminister Antony Blinken umgehend bekräftigte.
Erstaunlich schnell sind die US-Medien aktiv geworden und haben eine Propagandaschlacht entfesselt mit reißerischen Geschichten über das Leben in den Internierungslagern in Xinjiang, Forderungen nach einem US-Boykott der olympischen Winterspiele in Beijing und nach einer härteren Gangart gegenüber der herrschenden Kommunistischen Partei Chinas. Das Gejammere über den „Völkermord“ an den Uiguren soll die öffentliche Meinung hinter die eskalierende Konfrontationspolitik Bidens gegen China und die militärische Vorbereitung auf Krieg bringen.
Ein Kommentar in der Washington Post vom 19. April, „Chinas Leugnung von Völkermord geht in seine dritte Phase“, zeigt, wie haltlos die Anschuldigungen der USA sind. Die Post weist Beijings Dementis kategorisch zurück und hält unverfroren, ohne den geringsten Beweis, an der langen Liste von Anschuldigungen fest: eine Million Uiguren in schrecklichen Lagern, zerstörte Moscheen, zwangssterilisierte Frauen, uigurische Kinder, die in staatliche Einrichtungen verbracht werden. „Die chinesischen Kommunisten versuchen eine ganze Kultur auszulöschen, eine Lebensweise, ein Volk“, schreibt die Post.
Zweifellos wendet das Regime der KPCh Polizeistaatsmethoden gegen Opposition in Xinjiang an, wie sie es auch in ganz China tut, insbesondere gegen die Arbeiterklasse. Zwei Jahrzehnte lang hat die KPCh ihren eigenen „Krieg gegen den Terrorismus“ geführt gegen uigurische Separatisten, die in China Anschläge verübt haben. Beijing tat das mit Unterstützung Washingtons, anfänglich der Bush-Regierung, die unter dem Banner des „globalen Kriegs gegen den Terror“ Unterstützung für ihr kriminelles Vorgehen suchte.
Niemand sollte den Beteuerungen der USA, in Sorge um die demokratischen Rechte der Uiguren oder wem auch immer zu sein, Glauben schenken. Washington hat schon unzählige Male die „Menschenrechte“ im Sinne der strategischen Interessen des US-Imperialismus instrumentalisiert. Mit Unterstützung der Bush-Regierung wurde die Ostturkestanische Muslimische Bewegung (ETIM), eine uigurische Separatistengruppe, zur terroristischen Organisation erklärt. 2020, als die Trump-Regierung ihre Propaganda für die „Rechte der Uiguren“ hochfuhr, entfernte das Außenministerium die ETIM kommentarlos von seiner Liste terroristischer Organisationen.
Woher also hat die Washington Post ihre Liste der Grausamkeiten? „Wir wissen davon dank der Reporterin Gulchehra Hoja und ihren Kollegen von Radio Free Asia, einigen beharrlichen Akademikern sowie von Dutzenden von Überlebenden und Exilanten, die mutig ausgesagt haben“, erklärt die Post. Nichts weiter. Keine Beweise, keine harten Fakten. Der Rest des Artikels ist ein Loblied auf Hoja, die als „Terroristin“ hingestellt werde und deren Familie wegen ihrer Aktivitäten zu leiden habe.
Nicht eine einzige grundlegende Frage wird gestellt, geschweige denn beantwortet.
Wer ist Gulchehra Hoja? Zwei Jahrzehnte hat sie für Radio Free Asia gearbeitet, ein Propagandainstrument des US-Außenministeriums, nachdem sie China verlassen hatte, wo sie als Journalistin für die staatlichen Medien arbeitete. Sie hat enge Beziehungen zu uigurischen Exilgruppen, auch zum Weltkongress der Uiguren und der American Uyghur Association, die die Gründung eines unabhängigen Ostturkestan fordern.
Hoja genießt ersichtlich das Vertrauen und die Wertschätzung höchster Stellen im amerikanischen Staatsapparat. Im März 2019 wurde sie als die uigurische Exilantin für ein Treffen mit Außenminister Mike Pompeo ausgesucht, als Vertreterin der Familien, deren Angehörige in Lagern in Xinjiang festgehalten werden. Im November 2019 wurde ihr für ihre Reportagen über die „Menschenrechtskrise“ in Xinjiang die Magnitsky-Auszeichnung für Menschenrechte verliehen und in Jordaniens Liste der 500 einflussreichsten Muslime der Welt aufgenommen.
Was ist Radio Free Asia? RFA wurde in den 1950er Jahren von der CIA gegründet und finanziert, um amerikanische Propaganda in Asien zu verbreiten. Dies ist auch heute noch die Hauptaufgabe von RFA, auch wenn es, nachdem die weltweiten schmutzigen Operationen der CIA ans Licht gekommen waren, dem Außenministerium unterstellt wurde. Nominell ist es unabhängig, wird aber vom US-Kongress finanziert und beaufsichtigt.
Die RFA und Hoja arbeiten eng mit der National Endowment for Democracy (NED) zusammen. Sie wurde 1983 gegründet, um für den US-Imperialismus wichtige Aktivitäten fortzusetzen, die durch den schlechten Ruf der CIA ins Zwielicht geraten waren. Die NED erwarb geriet ihrerseits schnell in Misskredit, weil sie überall auf der Welt rechte proamerikanische Organisationen finanzierte und die so genannten „Farbenrevolutionen“ in den ehemaligen Sowjetrepubliken einfädelte.
Die NED hat dem Weltkongress der Uiguren seit dessen Gründung im Jahr 2004 und der American Uyghur Association (AUA), die 1998 gegründet wurde, Millionen von Dollar zukommen lassen. Beide Organisationen gehören zu einem Netzwerk von uigurischen Exilorganisationen in den USA; Europa und Asien, das gegen China gerichtet ist und von Washington und seinen Verbündeten unterstützt wird. Eine wichtige Operationsbasis ist die Türkei, der die turksprachigen Uiguren historisch nahesteht. Berichten zufolge hat die AUA Verbindungen zu der faschistischen türkischen Partei MHP und ihrem paramilitärischen Arm, den Grauen Wölfen, die einen panturkischen Nationalismus kultivieren, der auch die turksprachigen ethnischen Gruppen Zentralasiens einschließt.
In diesem übelriechenden rechten Milieu operiert Gulchehra Hoja als nützliches Werkzeug des US-Imperialismus. Es verdient Beachtung, dass die Washington Post, obwohl sie Hoja als „Beweis“ für den „Völkernord“ Chinas anführt, doch einräumen muss, dass chinesische Offizielle Anfang April ein Video über ihre Mutter und ihren Bruder veröffentlichten, aus dem hervorgeht, dass sie nicht festgehalten werden, sondern auf freiem Fuß sind. Doch die Post stört das keineswegs. Die Zeitung behauptet einfach, das Video sei Propaganda und erklärt, dass kein Zweifel daran besteht, dass die Uiguren in den Lagern in Xinjiang durch die Hölle gehen. Als Beweis führt sie einen weiteren reißerischen Bericht von einem kasachischen Exilanten im New Yorker an.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Es gibt genug Gründe, an den eigennützigen Berichten einer kleinen Anzahl gut vernetzter und oft reicher uigurischer Exilanten zu zweifeln. Und noch eine Anmerkung zu den „wenigen beharrlichen Akademikern“ der Post. Der prominenteste unter ihnen ist Adrian Zenz, ein rechter deutscher Kommentator und wiedergeborener Christ, der nach eigenen Worten bei seiner Arbeit zu chinesischen Minderheiten „von Gott geleitet“ ist. Zenz hat enge Beziehungen zu einem rechten antikommunistischen und amerikanischen Think Tank, zu dem auch die weit rechts stehende Victims of Communism Memorial Foundation gehört.
Aber gerade die hochtendenziösen Recherchen von Zenz bilden einen großen Teil der so genannten Beweise für die Inhaftierung von Uiguren, für Zwangsarbeit und Zwangssterilisierung uigurischer Frauen. Seine Ergebnisse werden ausgiebig zitiert, auch in offiziellen US-Dokumenten. Zenz hat vor dem amerikanischen Kongress ausgesagt und unterhält Beziehungen zu rechten Republikanern und uigurischen Exilanten. Als ihm die chinesische Regierung im März rechtliche Konsequenzen androhte wegen Schädigung von chinesischen Unternehmen in Xinjiang, verteidigte die Washington Post diesen „beharrlichen Akademiker“, mit dem der Vorwurf des Völkermords an den Uiguren mehr oder weniger steht und fällt.
Die von den USA angeführte und schnell an Fahrt gewinnende Kampagne zum „Völkermord“ an den Uiguren erinnert an die „große Lüge“, die die USA und ihre Nato-Verbündeten 1999 verbreiteten, um die mörderische Bombardierung Serbiens zu organisieren. Die Clinton-Regierung rechtfertigte ihre „humanitäre Intervention“ als Mission, um ein Massaker an der albanischen Minderheit im Kosovo durch den neuen „Hitler“ – Serbiens Präsident Slobodan Milosevic - zu verhindern. Eine durch und durch gefügige und korrupte amerikanische und internationale Presse stimmte mit aufsehenerregenden Berichten über serbische Grausamkeiten in den Chor ein.
Aufgebauschte Berichte über die Tötung von 100.000 Albanern wurden nach dem Krieg als völlig falsch entlarvt. Die wirkliche Zahl der Toten lag bei 2.000, und die meisten dieser Morde wurden von der bewaffneten Separatistengruppe Kosovarische Befreiungsarmee (KLA) verübt. Washington hatte die KLA aufgrund ihrer Beziehungen zu Al-Qaida als terroristische Organisation gebrandmarkt, änderte aber schnell seinen Kurs, lieferte Geld und Waffen und erklärte die KLA zur alleinigen legitimen Vertretung der kosovarischen Bevölkerung. KLA-Führer Hashim Thaci, der an der Spitze des Zwergstaates Kosovo stand, steht aktuell wegen Kriegsvorbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Der Nato-Krieg gegen Serbien war Teil der Bemühungen des US-Imperialismus und seiner Verbündeten, aus dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens entlang ethnischer und religiöser Linien Vorteile zu ziehen.
In einem größeren Rahmen zielt die US-Kampagne gegen den „Völkermord an den Uiguren“ darauf ab, China zu schwächen und entlang ethnischer Linien aufzubrechen. Damit will der amerikanische Imperialismus China daran hindern, die globale amerikanische Vormachtstellung herauszufordern. In der Vergangenheit hat sich Washington des Dalai Lama bedient und China beschuldigt, die tibetische Bevölkerung zu unterdrücken. Dass es jetzt die Uiguren sind, hat nichts zu tun mit Besorgnis um deren demokratische Rechte, sondern viel mehr mit der strategischen Lage von Xinjiang. Es grenzt an Zentralasien und seine Energievorräte, und ist wichtig für Chinas Projekt Neue Seidenstraße.
Wie 1999 sind auch jetzt die Medien auf den Zug aufgesprungen. Als würde ein Dirigent seinen Taktstock hebt und alle Instrumente setzen ein. Das Weiße Haus hat erklärt, dass in Xinjiang ein „Völkermord“ stattfindet, und die Medien jeder politischen Couleur stimmen ein. Die Ähnlichkeit mit dem Vorgehen des stalinistischen Polizeistaats China, das sie vorgeblich ablehnen, ist augenfällig.