Perspektive

Bücherverbrennung hält Einzug in Amerika

In einem groß angelegten Akt der Zensur, der nichts Gutes für demokratische Rechte verheißt, hat der Verlag W. W. Norton bekannt gegeben, dass er die von Blake Bailey verfasste Biografie des amerikanischen Schriftstellers Philip Roth (1933-2018) „dauerhaft“ aus seinem Programm entfernt. Mehrere Personen hatten Bailey sexuelles Fehlverhalten einschließlich Vergewaltigung vorgeworfen. Die Anschuldigungen reichen bis ins Jahr 2003 zurück. Beweise wurden nicht vorgelegt.

Baileys 880-seitiges Buch, das von der Kritik gut aufgenommen wurde und als eines der wichtigsten Werke des Jahres auf seinem Gebiet gilt, wird eingestampft. Außerdem teilte der Verlag mit, dass er Baileys Memoiren aus dem Jahr 2014 nicht mehr vertreibt.

In einer vor Heuchelei triefenden Erklärung behauptete die Verlagsleiterin Julia A. Reidhead, dass „es Herrn Bailey freisteht, sich anderweitig um eine Veröffentlichung zu bemühen“. In Wirklichkeit ist Bailey über Nacht zu einer „Unperson“ geworden, er hat gewissermaßen aufgehört zu existieren.

Groteskerweise erklärte die Buchfirma auch, dass sie den doppelten Betrag des Erlöses aus dem Verkauf von Baileys Buch an Organisationen spenden werde, „die gegen sexuelle Übergriffe oder Belästigung kämpfen und sich für den Schutz von Überlebenden einsetzen“.

Wer auf Nortons Website nach Philip Roth: The Biography sucht, erhält die Meldung: „Wir bitten um Entschuldigung! Die von Ihnen gesuchte Seite kann nicht gefunden werden.“

Im Leitbild des Verlags heißt es: „Unabhängig seit 1923, im Besitz der Mitarbeiter und stolz darauf‚ ‚Bücher, die leben‘ zu veröffentlichen. Norton ist für Sie da.“ Der Verlag verspricht, „dass wir stets die besten Bücher veröffentlichen, die wir in die Hände bekommen, und sie dann auch so lange wie möglich in den Händen behalten“. Oder vielmehr so lange, bis eine von Genderfragen besessene Clique von Eiferern ein wenig Druck ausübt.

Die Säuberung des Verlagsprogramms von Baileys Buch ist ein unheilvolles Signal, das Künstler, Biografen und Wissenschaftler gleichermaßen einschüchtern soll. Die Botschaft ist klar: Jede einflussreiche Figur, die sich quer zur öffentlichen Meinung des Establishments stellt, kann auf die gleiche Weise zum Abschuss freigegeben werden.

Und wieder hat die New York Times ihre schmutzigen Pfoten im Spiel. Am 21. April veröffentlichte die Times einen Artikel, in dem die „Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe“ gegen Bailey dargelegt wurden.

Es gibt keinen Grund, den Behauptungen der Times auch nur den geringsten Glauben zu schenken. Ihr Artikel entspricht einem Muster, das die Medien seit dem Beginn der #MeToo-Hexenjagd im Oktober 2017 perfektioniert haben. Dabei schwingen sie sich zum Ankläger und Richter gleichermaßen auf. Nie wurde Bailey eines Verbrechens angeklagt oder überführt. Keiner der Ankläger hat einen der angeblichen Vorfälle jemals zur Anzeige gebracht.

Doch Norton ergriff auf der Grundlage unbegründeter Behauptungen „schnelle und unkonventionelle“ Maßnahmen, wie es die Times am 21. April schadenfroh formulierte. Der Verlag gab zunächst bekannt, dass er eine für Anfang Mai geplante zweite Auflage von 10.000 Exemplaren gestoppt habe. Dann folgte die unverschämte Attacke.

Bailey hat die Anschuldigungen als „kategorisch falsch und verleumderisch“ bezeichnet. Auf Nortons jüngste Bekanntgabe hin verurteilte sein Anwalt die „einseitige drastische Entscheidung des Verlags ... auf der Grundlage falscher und unbegründeter Anschuldigungen, ohne irgendeine Untersuchung durchzuführen oder Herrn Bailey die Möglichkeit zu geben, die Vorwürfe zu widerlegen“.

Die Kampagne gegen Baileys Buch ist gespenstisch. Niemand hat behauptet, dass die von ihm verfasste Biografie Unwahrheiten oder Plagiate enthält. Im Gegenteil, selbst ablehnende Rezensionen gestehen ihm eine sorgfältige Recherche zu. Nein, der Biograf ist einem dubiosen „Moralvorwurf“ zum Opfer gefallen.

Die National Coalition Against Censorship (Nationale Koalition gegen Zensur) wiederholte eine elementare, wenn auch keineswegs mehr selbstverständliche Wahrheit, als sie darauf hinwies, dass Bücher „nach ihrem Inhalt beurteilt werden müssen. Es gibt viele berühmte Schriftsteller, die ein unruhiges – und beunruhigendes – Leben führten. Natürlich kann die Biografie eines Schriftstellers unsere Interpretation und Analyse seines Werks beeinflussen, aber es muss dem Publikum gestattet sein, selbst zu entscheiden, was es lesen möchte.“

Das „Verbrechertum“ des französischen Autors Jean Genet steckt schon im Titel eines seiner wichtigsten Werke, Tagebuch eines Diebes (1949), das nach wie vor weithin und verdientermaßen gelesen wird. Niemand hat bisher vorgeschlagen, dass der bemerkenswerte Roman eines anderen französischen Schriftstellers, Louis-Ferdinand Céline, Reise ans Ende der Nacht (1932), eingestampft werden sollte, weil der Autor später zum Anhänger der Nazis und Antisemiten wurde.

Es werden immer wieder Bücher veröffentlicht, deren Autoren wegen abscheulicher Taten verurteilt wurden oder zum Beispiel in einer Todeszelle einsitzen. Am laufenden Band erscheinen die (von Ghostwritern verfassten) Erinnerungen und banalen Betrachtungen wirklicher Schwerverbrecher – etwa ehemalige US-Regierungsbeamte und Generäle, die für den Tod von Millionen im Nahen Osten, Nordafrika, Zentralasien und weltweit verantwortlich sind.

Doch es bedarf nur eines einzigen hysterischen Aufschreis, der an den Hexenprozess von Salem gemahnt, und ein angesehener Biograf, Autor eines Bandes, der zum Standardwerk über das Thema werden sollte, löst sich buchstäblich in Luft auf.

Einen Angriff wie den auf Bailey hat es seit den schlimmsten Zeiten des McCarthyismus nicht mehr gegeben, als die US-Regierung tausende Bücher linker Autoren und Sympathisanten aus ihren Bibliotheken in Übersee entfernte. Die jetzige Attacke ist die Fortsetzung und Eskalation eines Prozesses, mit dem in jüngerer Zeit zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zerstört wurden (oder zerstört werden sollten): der mittlerweile verstorbene James Levine, Woody Allen, Kevin Spacey, Placido Domingo, Aziz Ansari, Louis C.K., Charles Dutoit, Garrison Keillor, Geoffrey Rush und andere. Begleitet wurde das Ganze von der Institutionalisierung der Zensur.

Bailey, ein angesehener Literaturbiograf, hat es nach fast zehnjähriger Arbeit an seinem Band über Roth nicht verdient, Opfer dieser skurrilen Kampagne zu werden. Die Persönlichkeit von Roth selbst spielt dabei eine große Rolle.

Was Roth anbelangt, so ließ die Times in ihrem Artikel vom 21. April die räudige Katze aus dem Sack. Sie schrieb, dass die Kontroverse, „die um Bailey ausgebrochen ist, zum Teil auf Publicity zurückgeht, die er für seine Roth-Biographie erhalten hat. Sie veranlasste einige der Frauen, die ihn des Fehlverhaltens beschuldigen, sich zu Wort zu melden.“ Einige der Letzteren hätten „gesagt, dass sie sich nicht nur an dem Lob gestört haben, mit dem Bailey überhäuft wurde, sondern auch an der Art und Weise, wie er in seiner Roth-Biographie die Frauenfeindlichkeit des Schriftstellers zu entschuldigen schien. Mehrere Literaturkritiker griffen die Tatsache auf, dass Bailey in der Biografie die Fehlbehandlung von Frauen durch Roth herunterspielte.“

Um zu verstehen, was hier gespielt wird, muss man nicht zwischen den Zeilen lesen. Bailey wird von den Anklägern, der Times und jetzt auch von Norton dafür bestraft, dass er es versäumt hat, Roth gebührend für seine angebliche „Fehlbehandlung von Frauen“ zu züchtigen.

Das Werk von Roth läuft der Rassen- und Gender-Mafia zuwider, die in und um die Demokratische Partei herum operiert. Dazu gehören auch das pseudolinke und das feministische Lager. Der mittlerweile verstorbene Schriftsteller machte kein Hehl aus seiner Abneigung gegen die Identitätspolitik, die er in Der menschliche Makel (2000) schonungslos darstellte. Im Jahr 2018 kommentierte Roth mit Blick auf die damals gerade gestartete #MeToo-Kampagne, dass er kein „Tribunal“ sehe, vor dem über die Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens entschieden werde, sondern „eine öffentliche Anschuldigung, gefolgt von einer sofortigen Bestrafung. Ich sehe, dass dem Angeklagten das Recht auf Habeas Corpus verweigert wird, das Recht, seinem Ankläger gegenüberzutreten und ihn in Augenschein zu nehmen, und das Recht, sich in einem Rahmen zu verteidigen, der einem echten Gerichtsverfahren gleichkommt, bei dem die Schwere des mutmaßlichen Verbrechens differenziert bewertet wird.“

Roth ist in Ungnade gefallen und droht ebenfalls zur „Unperson“ zu werden. Wahrscheinlich wird sein Werk sukzessive aus College-Kursen gestrichen. Vermutlich werden bald Forderungen laut, seine „unmoralischen“, „libidinösen“ Romane aus den Bibliotheken zu entfernen.

Der Vorwurf, Roth gebe sich in seinen Romanen als „Frauenfeind“ zu erkennen, der es verdiene verbannt zu werden, verdient es kaum, beantwortet zu werden. Roth war Künstler, also jemand, der versucht, die Wirklichkeit ehrlich und ohne Scheuklappen darzustellen. Infolgedessen weigerte er sich hartnäckig, irgendjemanden, ob männlich oder weiblich, als „schuldlos“ zu betrachten. Sein Werk läuft der absurden, spießbürgerlichen und schlicht dummen Ansicht zuwider, die heute in Establishment-Kreisen vorherrscht und eines viktorianischen Melodramas würdig ist: dass Frauen ewig heilige Opfer sind, die niemals flunkern oder jemanden hintergehen. Auf dieses lächerliche, unwürdige Niveau sind die Leute herabgesunken, die sich als die Intellektuellen Amerikas ausgeben.

In einem Interview von 2014 reagierte Roth auf den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit mit der Bemerkung, dies sei zwar ein absurder, aber „nicht unbedingt harmloser Scherz“. Er fuhr fort: „In manchen Kreisen ist ‚frauenfeindlich‘ mittlerweile ein Wort, das fast so lax verwendet wird wie ‚Kommunist‘ von der McCarthy-Rechten in den 1950er Jahren – und für ganz ähnliche Zwecke.“

In der Tat hat der Angriff auf Roths Ruf einen eindeutig rechten Charakter. Seine Kritiker hassen ihn letztlich wegen seiner bewundernswerten und bleibenden Qualitäten, wegen seinem ebenso zornigen wie klugen künstlerischen Umgang mit Themen wie Konformismus und Duckmäuserei des Kleinbürgertums, Antisemitismus, dem amerikanischen Faschismus, Kommunismus und Identitätspolitik. In seinen besten Momenten bietet Roth eine verstörende, aufrüttelnde Sicht der Dinge. Das wohlhabende Kleinbürgertum – im Grunde zufrieden mit sich und den bestehenden Verhältnissen – misstraut echter Kunst immer und überall und versucht, sie bei passender Gelegenheit zu diskreditieren und zu unterdrücken.

In ihrer Angst vor dem unvermeidlichen Aufkommen einer massenhaften Opposition unterstützt die herrschende Elite in den USA jeden Versuch, die Bevölkerung zu verdummen und ihr Bewusstsein zu vernebeln. Sie fürchtet jedes Werk, das den Betrachter oder Leser sensibilisiert und alarmiert oder zu einem suchenden, nachdenklichen Umgang mit Fragen des öffentlichen Lebens anregt. In diesem Sinne ist jeder bedeutende Angriff auf demokratische Rechte zugleich ein Angriff auf die Arbeiterklasse und ihren politischen Fortschritt.

Die Demokratische Partei als Flügel der herrschenden Elite ist in dieser Hinsicht am wachsamsten und daher am meisten der Zensur zugeneigt. Niemand bei der Times, der Washington Post, Salon oder der Nation hat ernsthaft gegen Nortons skandalöses Vorgehen protestiert. Im Gegenteil.

Auch wegen seines Privatlebens, einschließlich seiner zahlreichen Affären, droht Roth der Ausschluss aus dem Kanon. Warum sollten die Moralapostel davor Halt machen? Jeder Schriftsteller oder Künstler, dessen Privatleben in irgendeiner Weise ihre Missbilligung hervorruft, läuft Gefahr, dauerhaft „entfernt“ zu werden. Die derzeitige Atmosphäre garantiert geradezu eine Ausmerzung von Schriftstellern, bei der nur diejenigen verschont bleiben, die sich der Monogamie oder rein platonischen Beziehungen verschrieben haben. Wer könnte nach diesem Schema einer „Auspeitschung“ entgehen? Wir zweifeln, ob uns dadurch die beste Kunst erhalten bleibt. All dies hat einfach keinen Bezug zur Realität, wie sie tatsächlich gelebt wird.

Unser Standpunkt ist eindeutig. Wir verurteilen Nortons Zensur, rufen zu Baileys Verteidigung auf und verteidigen Roths Recht, die Welt so darzustellen, wie er sie sah.

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