Die Grünen ziehen mit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl vom 26. September. Das gaben die beiden Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck am Montagvormittag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz bekannt.
Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Setzen sich die gegenwärtigen Umfragetrends fort, haben die Grünen eine Chance, die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel anzutreten, die nach 16 Jahren im Amt zurücktritt.
Baerbock und Habeck hatten die wichtige Entscheidung im Vieraugengespräch getroffen und wochenlang vor den Parteigremien, der Parteimitgliedschaft und der Öffentlichkeit geheim gehalten. Was früher, als die Grünen noch auf Basisdemokratie schworen, als anrüchige Mauschelei gegolten hätte, preist Baerbock nun als neue politische Kultur, in der man nicht gegeneinander arbeite, sondern miteinander.
In Wirklichkeit wurde jede politische Diskussion unterdrückt, weil die Grünen entschlossen sind, die Politik der Regierung Merkel fortzusetzen, obwohl diese zutiefst verhasst ist. SPD, CDU und CSU haben seit ihrem schlechten Wahlergebnis von 2017 weitere zehn Prozentpunkte verloren und liegen in den Umfragen zusammen unter 45 Prozent.
Es ist bezeichnend, dass Baerbock und Habeck die Politik der Großen Koalition auf ihrer Pressekonferenz nicht kritisierten. Stattdessen versprachen sie einen anderen Politikstil, eine „andere politische Kultur“ und „ein neues Verständnis von politischer Führung“. Mit anderen Worten: dieselbe Politik in neuer Verpackung.
Als 1998 die 16-jährige Kanzlerschaft Helmut Kohls zu Ende ging, war das noch anders gewesen. SPD und Grüne gewannen damals die Bundestagswahl, weil sie eine sozialere und friedlichere Politik versprachen – ein Versprechen, das sie ins Gegenteil verkehrten, sobald sie an der Regierung waren. Die Grünen ebneten den Weg für die ersten internationalen Kriegseinsätze der Bundeswehr und beschlossen gemeinsam mit der SPD die Agenda 2010, die größte soziale Konterrevolution seit Gründung der Bundesrepublik.
Nach der 16-jährigen Kanzlerschaft Merkels, die die militaristische und unsoziale Politik der Agenda 2010 vertiefte und mit ihrer Profit-vor-Leben-Politik für 80.000 Corona-Opfer verantwortlich ist, erheben die Grünen nicht einmal mehr den Anschein der politischen Opposition.
Baerbock versprach, alle Kräfte zu „entfesseln“, um das Land zu stärken, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung befriedigt kommentierte: „Sie sprach nicht nur über grüne Kernthemen, sondern auch über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und den Mittelstand.“ Spiegel-Redakteur Dirk Kurbjuweit frohlockte, nachdem die CDU „abgewirtschaftet“ habe, könnten jetzt die „hochdisziplinierten Grünen der nächste Stabilitätsanker der Bundesrepublik werden“.
Die 40-jährige Baerbock hat sich als Kanzlerkandidatin der Grünen qualifiziert, weil sie wie kaum eine andere die Rechtswendung der Partei verkörpert. Sie schloss sich den Grünen im Jahr 2005 an, als die rot-grüne Bundesregierung auseinanderbrach, weil sich die Arbeiter in Scharen von der SPD abwandten.
Sie hatte in Hamburg und der London School of Economics Politikwissenschaften, Öffentliches Recht und Völkerrecht studiert und war nun auf europäischer, Bundes- und Landesebene in zahlreichen Führungsfunktionen für die Grünen tätig. 2013 wurde sie in den Bundestag und im Januar 2018 gemeinsam mit Robert Habeck zur Parteivorsitzenden der Grünen gewählt. Erstmals stellte damit der rechte, sogenannte Realo-Flügel beide Vorsitzenden.
Unter Habeck und Baerbock waren die Grünen im Bund zwar formal Oppositionspartei, real aber das vierte Rad am Wagen der Großen Koalition. Bereits 2017 hatten sie einen fertigen Koalitionsvertrag mit CDU, CSU und FDP ausgehandelt, der nur deshalb nicht umgesetzt wurde, weil die FDP im letzten Moment absprang.
Die tödliche Corona-Politik der Bundesregierung unterstützten die Grünen dann konsequenter als viele Abgeordnete der Regierungskoalition. In Fragen der militärischen Aufrüstung und einer aggressiven Außenpolitik – insbesondere gegen Russland und China – griffen sie die Bundesregierung meist von rechts an. So hat sich Baerbock gegen den Weiterbau der Ostseepipeline Nord Stream 2 gewandt.
In den Bundesländern, wo die Grünen in elf von 16 Regierungen sitzen, arbeiten sie mit der CDU, der FDP, der SPD und der Linken in allen nur denkbaren Kombinationen zusammen. In Baden-Württemberg, wo die Grünen mit Winfried Kretschmann zum dritten Mal in Folge den Ministerpräsidenten stellen, ist dieser längst zum Liebling der Autokonzerne geworden.
Im Juni 2020 veröffentlichten die Grünen ein neues Grundsatzprogramm, das für eine massive innere und äußere Aufrüstung und eine aggressive europäische Großmachtpolitik eintritt. „Die EU muss weltpolitikfähig werden,“ heißt es darin, die Bundeswehr müsse „entsprechend ihrem Auftrag und ihren Aufgaben“ ausgestattet werden.
Auf dem Bundesparteitag, der das Programm im November verabschiedete, unterstrich Baerbock, dass die Grünen auch ihr Markenzeichen, die Klimapolitik, ganz in den Dienst des deutschen Kapitals stellen. „Fürchtet euch nicht, diese Klima-Revolution ist in etwa so verrückt wie ein Bausparvertrag. Das Wirtschaftssystem neu aufzustellen, bedeutet keinen Umsturz, sondern ist purer Selbstschutz“, versicherte sie.
Kurz danach setzte sich Baerbock in einem ausführlichen Interview mit der Süddeutschen Zeitung noch einmal ausdrücklich für eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben und neue Kriegseinsätze ein. Es sei an der Zeit, auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für eine souveräne europäische Verteidigungspolitik zu antworten, sagte sie: „Und das heißt, auch über Auslandseinsätze zu sprechen. Einfach wird das nicht. Aber wir dürfen uns nicht wegducken.“
Auch in der Flüchtlingspolitik unterstützt Baerbock den brutalen Abschottungskurs der Bundesregierung und der EU. So tritt sie für den Aufbau von Erstaufnahmeeinrichtungen an den EU-Außengrenzen ein, in denen Flüchtlinge „schnell registriert, einer Sicherheitsprüfung und einem Datenabgleich unterzogen“ werden können. Eine „humanitäre Migrationspolitik“, so Baerbock, könne nicht funktionieren ohne konsequentere Abschiebung.
Politisch stimmen Baerbock und Habeck in allen Fragen überein. Wenn sie sich am Ende – ohne Zweifel in Absprache mit einflussreichen Vertretern der herrschenden Eliten – für Baerbock als Kanzlerkandidatin entschieden haben, liegt das nicht nur daran, dass sie eine Frau ist, wie viele Medien mutmaßen. Sie gilt vielmehr als härter, rücksichtsloser und durchsetzungsstärker als der elf Jahre ältere Habeck.
Zu Baerbocks Betriebsgeheimnis gehöre es, „sich selbst und ihrer Partei mehr abzuverlangen, als schmerzfrei bleibt“, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Habeck gehöre dagegen „zu einer Grünen-Generation, die einst aus bürgerlichem Elternhaus ausgebrochen ist und Freiheit gesucht hat, auch die von Leistungsdenken“.
In Baerbock steckt nicht nur eine „Merkel in Grün“ mit einem „Gespür für Machtpoker“, wie einige Kommentare anmerken, sondern auch eine Margaret Thatcher. Sie steht für jene wohlhabenden Elemente der Mittelschicht – das wichtigste Wählerreservoir der Grünen –, die vom Börsenboom der letzten Jahrzehnte und der damit einhergehenden Verarmung der Arbeiterklasse profitiert haben und nun mit wachsender Feindschaft auf ihre zunehmende Radikalisierung reagieren.
Die Ernennung Baerbocks zur Kanzlerkandidatin unterstreicht, dass es unter den etablierten Parteien für die Arbeiterklasse keine wählbare Alternative gibt. SPD und Linke regieren in mehreren Bundesländern gemeinsame mit den Grünen und würden auch auf Bundesebene sofort in eine Regierung unter Führung der Grünen eintreten. Sie vertreten dieselbe rechte Politik.
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