Die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, Mitglied der Democratic Socialists of America, legt sich verstärkt für die Verteidigung der Demokratischen Partei ins Zeug und attackiert linke Gegner der Biden-Regierung.
Am Mittwoch vergangener Woche hielt Ocasio-Cortez ihre monatliche virtuelle Bürgerversammlung für ihren Wahlkreis in New York ab. Als dort eine Frage nach der Lage an der mexikanischen Grenze gestellt wurde, ergriff sie die Gelegenheit, um Bidens rücksichtslose Angriffe auf Immigranten zu beschönigen.
Nach ein wenig wachsweicher Kritik kam Ocasio-Cortez zum eigentlichen Punkt: „Ich will keine falschen Vergleiche ziehen. Was hier passiert, ist nicht das Gleiche, was unter der Trump-Regierung passiert ist.“
Weiter erklärte sie, die Trump-Regierung „hat Müttern ihre Babys aus den Armen gerissen, ihre Familien abgeschoben und diese Kinder dauerhaft traumatisiert. Von einigen wissen wir nicht, ob sie jemals wieder mit ihren Familien vereint sein werden. Das ist ein Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen, das einfach nicht das Gleiche ist.“
Als Nächstes attackierte sie jeden, der es wagt, einen Vergleich zwischen der immigrantenfeindlicher Politik Bidens mit derjenigen Trumps anzustellen: „Wer das tut, erweist der Sache der Gerechtigkeit einen Bärendienst. Ich möchte ihn von nichts freisprechen... es ist nicht das Gleiche, und das dürfen wir nicht unter den Teppich kehren.“
In einem Interview mit dem Magazin Democratic Left, dem Sprachrohr der DSA, hatte Ocasio-Cortez linke Gegner der Biden-Regierung als „privilegiert“ bezeichnet und ihnen vorgeworfen, in „böswilliger Absicht“ zu handeln. Jetzt weist sie Kritik an Bidens Einwanderungspolitik als Angriff auf die Gerechtigkeit zurück.
Einige Punkte zu Ocasio-Cortez‘ jüngsten Äußerungen:
Erstens ist die Behandlung von Immigranten unter Biden ebenso ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie es unter Trump und davor unter Obama war. Ocasio-Cortez‘ politisch motivierte Behauptung, minderjährige Immigranten würden unter Biden nicht die gleiche traumatisierende Behandlung erfahren wie unter Trump, ist ausgesprochen schäbig.
Unter Trumps „Remain in Mexico“-Politik mussten Immigranten, die Asyl in den USA beantragten, in mexikanischen Grenzstädten auf ihren Bescheid warten. Sie erhielten dort weder eine vernünftige Unterkunft noch Verpflegung oder medizinische Versorgung und wurden häufig Opfer gewalttätiger Übergriffe.
Im März 2020 benutzte Trump die Pandemie als Vorwand, um den Public Health Service Act von 1944 anzuwenden. Dieses Gesetz, das auch als „Title 42“ bekannt ist, verleiht dem Präsidenten weitreichende Vollmachten, Asylsuchende und Kinder im Interesse der öffentlichen Gesundheit abzuweisen.
Biden hat aus taktischen Gründen Teile von Trumps „Remain in Mexico“-Politik rückgängig gemacht. Doch auch unter seiner Regierung wurden bereits Tausende von unbegleiteten Minderjährigen in US-Haftzentren interniert.
Begleitete Minderjährige hingegen, d. .h. Kinder, die mit ihren Familien oder zumindest mit einem Elternteil eintreffen, werden an der Grenze als Fälle „bearbeitet“. Das bedeutet konkret, sie werden unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt und anschließend nach El Paso geschickt. Dann müssen sie über eine Brücke zu Fuß zurück nach Mexiko laufen. Oftmals wird ihnen nicht einmal erklärt, was geschieht. Sie kommen in Mexiko an, ohne zu wissen, wo sie sich befinden.
Zudem wurde Vizepräsidentin Kamala Harris beauftragt, die Regierungen von Mexiko und anderen zentralamerikanischen Ländern zu bestechen und zu erpressen. Sie sollen Immigranten aus ihren Ländern oder auf der Durchreise aufhalten, damit sie gar nicht erst die Grenze erreichen.
Das praktische Ergebnis von Bidens „Reform“ der Einwanderungspolitik Trumps ist, dass verzweifelte Familien von Mexiko aus versuchen, ihre Kinder allein über die Grenze zu schicken. Das ist die einzige Chance für die Kinder, in die USA hineinzukommen, selbst wenn sie dort in Lager gesperrt werden.
Auf einem am Mittwoch letzter Woche veröffentlichten Video der Zoll- und Grenzschutzbehörde ist zu sehen, wie in der Nacht zuvor zwei kleine Mädchen über die Grenzmauer nahe El Paso geworfen wurden. Die Mutter der beiden lebt in den USA. Auch unter Biden gibt es für Immigranten aus Mexiko keine Möglichkeit der Familienzusammenführung in den USA, nicht einmal für Kinder.
Im März veröffentlichte die Nachrichtenseite Axios Daten des Heimatschutzministeriums, laut denen die Biden-Regierung „Title 42“ anwendet, um Migranten abzuschieben. Auf diese Weise hat Biden in einem einzigen Monat mehr Menschen aus Haiti abschieben lassen als Trump in einem ganzen Jahr. Die Kontinuität zwischen Trump und Biden wird hier ganz deutlich.
Etwa 16.000 Kinder sitzen immer noch in den gleichen überfüllten und nicht kontrollierten Einrichtungen fest, die bereits unter Trump und davor unter Obama bestanden. Tatsächlich hat Biden sogar Haftzentren aus der Zeit der Trump-Regierung wieder geöffnet, um den Zustrom von Kindern zu bewältigen, darunter die Child Migration Detention Facility in Carrizo Springs (Texas).
Die Hafteinrichtungen werden weiterhin von den gleichen Privatunternehmen betrieben wie unter Trump. Die überfüllten Zeltlager, die unter Trump entstanden, sind voll ausgelastet. Die Zahl der inhaftierten Kinder liegt ein Viertel über dem Höchststand während des verstärkten Vorgehens der Trump-Regierung gegen minderjährige Immigranten im Jahr 2019. An den Bildern, die damals massive Empörung unter Arbeitern in den USA und der Welt auslösten, hat sich nichts geändert. Nach wie vor sind die Kinder in Käfigen eingepfercht.
Die Verbrechen gegen Immigranten rufen bei vielen Arbeitern Abscheu hervor, und Ocasio-Cortez konnte mit ihren jetzigen Ausflüchten nur wenige ihrer Anhänger hinters Licht führen. Man erinnert sich schließlich daran, dass sie hauptsächlich mit der Ablehnung von Trumps immigrantenfeindlicher Politik Wahlkampf gemacht hat. Kurz vor ihrer Wahl hatte sie landauf landab die Auflösung der Einwanderungsbehörde ICE verlangt. Diese Forderung hat sie seither stillschweigend begraben.
Auf Twitter löste das Video von Ocasio-Cortez große Empörung aus. Ein Kommentator schrieb: „Es sind die GLEICHEN Behörden. Die GLEICHEN Einrichtungen. Die GLEICHEN Ausreden. Das Einzige, was sich geändert hat, ist der Verantwortliche.“ Ein anderer schrieb: „Armselig, dass eines der am weitesten links stehenden Mitglieder der Partei eine komplette Kehrtwende bei der Käfighaltung an der Grenze gemacht hat, obwohl sich nichts an den Bedingungen geändert hat. Die Republikaner haben die Käfige zuerst verteidigt, jetzt wollen sie die Gefangenen freilassen. Die Demokraten haben sie widerwärtig genannt, jetzt verteidigen sie sie.“
Mehr als einhunderttausend Arbeiter und Jugendliche haben den Artikel der World Socialist Web Site über das Interview von Democratic Left mit Ocasio-Cortez gelesen. Er hat eine politische Krise innerhalb der Demokraten ausgelöst, weil er die wichtigste Repräsentantin des „linken Flügels“ der Demokraten als Betrügerin entlarvt hat.
Die Demokraten versuchen nun, Ocasio-Cortez gegen Kritik in Schutz zu nehmen, und sie ihrerseits macht deutlich, dass sie ihre Hauptaufgabe darin sieht, die Demokraten und die Biden-Regierung zu verteidigen.
Wer bisher geglaubt hat, Ocasio-Cortez sei eine „Außenseiterin“, die das Establishment der Demokraten herausfordern wolle, muss jetzt die notwendigen Schlüsse ziehen. Der „demokratische Sozialismus“ von Ocasio-Cortez und ihren Anhängern in den DSA ist in Wahrheit ein Mittel der herrschenden Klasse und der Demokraten, eine echte sozialistische Bewegung der Arbeiter und Jugendlichen zu verhindern.