WISAG-Kundgebung in Wiesbaden: „Wir setzen unsere Hoffnung nicht auf die Parteien im Landtag oder im Bundestag“

Rund 200 Bodenarbeiter vom Frankfurter Flughafen nahmen an der gestrigen Kundgebung in Wiesbaden teil, um vor dem Hessischen Landtag gegen ihre willkürliche Entlassung zu protestieren. Der Dienstleistungskonzern WISAG nutzt die Pandemie als Vorwand, um auf übelste Art und Weise 260 erfahrene, langjährige Arbeiter auf die Straße zu setzen. Die Arbeiter kämpfen bereits seit drei Monaten dagegen und haben außer zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen acht Tage lang einen Hungerstreik im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens durchgeführt.

Wir veröffentlichen hier den Redebeitrag, den Marianne Arens, Bundestagskandidatin der Sozialistischen Gleichheitspartei, in Wiesbaden hielt, und werden später einen ausführlichen Bericht über die Kundgebung publizieren.

Guten Tag, mein Name ist Marianne Arens, und ich bin Vorstandsmitglied der Sozialistischen Gleichheitspartei.

Diese Kundgebung ist sehr wichtig, denn sie macht deutlich, welche Wut und welcher Widerstand sich in der Arbeiterklasse aufbauen. Wer geglaubt hat, Arbeiter würden Massenentlassungen akzeptieren und sich wie Lämmer auf die Schlachtbank führen lassen, hat sich getäuscht.

Diese Arbeiter, die hier beim Hessischen Landtag demonstrieren, kämpfen wie die Löwen um ihre Arbeitsplätze. Seit drei Monaten demonstrieren und kämpfen sie, und sie haben sogar acht Tage lang einen Hungerstreik am Flughafen durchgeführt. Sie sind entschlossen, nicht aufzugeben.

Diese Kundgebung ist eine Anklage gegen den WISAG-Konzern und seine Verbündeten in der Politik.

Der WISAG-Konzern nutzt die Pandemie, um hunderte langjährige Arbeiter zu entlassen und sich selbst eine goldene Nase zu verdienen. Er schmeißt Arbeiter kaltblütig auf die Straße, die jahrzehntelang am Flughafen schwere und professionelle Arbeit geleistet haben.

WISAG wirft sogar Arbeiter raus, die vierzig Jahre lang am Flughafen geschuftet haben und ihre Gesundheit ruiniert haben, ersetzt sie durch Leiharbeiter und drückt damit das allgemeine Lohnniveau für alle.

Mit ihrem Widerstand haben die WISAG-Arbeiter der Welt das ungeschminkte Gesicht der kapitalistischen Gesellschaft vor Augen geführt. Sie haben in den vergangenen Wochen die Erfahrung gemacht, dass keine einzige etablierte Partei, keine Behörde und auch keine der großen Gewerkschaften auf ihrer Seite steht. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Flughafen hat keinen Finger für sie gerührt!

Die Parteien hier im hessischen Landtag haben WISAG den Zugang zum Flughafen freigemacht. Der Grüne Wirtschaftsminister Tarik Al-Wazir hat die Übernahme der Konzessionen durch WISAG öffentlich verteidigt.

Alle Parteien haben im Zuge des einheitlichen europäischen Luftbinnenmarktes die Orgie der Deregulierung am Flughafen aktiv unterstützt. Sie haben die gesetzliche Grundlage geschaffen, um sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze zu vernichten. Es war die rot-grüne Bundesregierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die mit den Hartz-Gesetzen einen riesigen Billiglohnarbeitsmarkt eröffnet hat.

Früher war es ein Traumjob, am Flughafen zu arbeiten – heute ist es ein Albtraum.

Für alle etablierten Parteien, von der AfD bis zur Linkspartei, kommen die Profitinteressen der deutschen Wirtschaft an erster Stelle und weit vor den Lebensinteressen der arbeitenden Bevölkerung. Das sieht man besonders krass an ihrer Corona-Politik: Die Aktienkurse steigen im gleichen Maße wie die Leichenberge der Corona-Opfer.

2,7 Millionen Menschen sind an Corona gestorben, und hundert Millionen haben ihre Existenz verloren. Die Weltbank schätzt, dass weltweit etwa 120 Millionen Menschen durch die Pandemie alles verloren haben.

Die nackte Ausbeuterpolitik von WISAG ist das neue Geschäftsmodell! Überall wird die Pandemie genutzt, um massive Sozialangriffe durchzusetzen. Am Flughafen werden auch bei Lufthansa, Fraport, Airbus und überall Massenentlassungen durchgesetzt. In der Produktion, vor allem in der Autoindustrie, stehen allein in Deutschland eine halbe Million Arbeitsplätze auf der Kippe.

Die WISAG-Arbeiter haben ihre Kampfparole mit Bedacht gewählt: „Heute wir – morgen ihr!“ Überall stehen Arbeiter vor denselben Problemen, und vielerorts werden Kampfmaßnahmen vorbereitet.

WISAG und Wisser behaupten, es sei ihr gutes Recht, mit den Jobs der Arbeiter machen zu können, was sie wollen. Doch sie täuschen sich. Arbeiter akzeptieren das nicht länger. Für sie ist die Arbeit die einzige Einkommensquelle und die Grundlage ihrer Existenz. Ihr Leben und ihre Bedürfnisse – und die ihrer Familien! – stehen höher als die Profitinteressen der Konzerne und der Superreichen.

Ich habe in letzter Zeit mit vielen WISAG-Arbeitern gesprochen, und die Frage kam auf: Worum geht es hier eigentlich? Schnell wurde klar: Es geht nicht um Almosen. Arbeiter sind keine Bettler. Arbeiter haben Rechte! Und das Recht auf Arbeit und angemessenen Lohn ist ein Grundrecht!

Doch um das durchzusetzen, brauchen wir eine klare politische Perspektive.

Vor wenigen Tagen haben wir der 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg gefeiert. Die große Marxistin und Internationalistin war auch oft hier in Hessen und hat auf überfüllten Arbeiterversammlungen – zum Beispiel im Titania in Frankfurt Bockenheim - gesprochen.

Rosa Luxemburg hat immer und immer wieder betont, dass die Probleme der Arbeiter im Rahmen des kapitalistischen Ausbeutungssystem nicht gelöst werden können. Und die Frage, die sie behandelte – „Sozialreform oder Revolution?“ – diese Frage ist heute endgültig entschieden!

Dafür ist das asoziale, arrogante, aggressive Verhalten der WISAG und ihrer Eigentümerfamilie Wisser der beste Beweis. Die Zeit der angeblichen Sozialpartnerschaft ist unwiderruflich vorbei. All das Gerede über Verbesserung der Bedingungen durch Mitbestimmung ist klar widerlegt. Die Betriebsräte sitzen in den Aufsichtsräten und handeln als Co-Manager im Interesse der Konzerne.

Rosa Luxemburg würde sagen: Ihr müsst euren Arbeitskampf in einem größeren politischen Zusammenhang sehen. Die Profitinteressen der herrschenden Klasse stehen in unversöhnlichem Gegensatz zu den Lebensinteressen der Arbeiter. Es gibt keine Möglichkeit, beides unter einen Hut zu bringen.

Deshalb sind eine sozialistische Perspektive und eine internationale Strategie notwendig.

Die Sozialistische Gleichheitspartei steht in dieser marxistischen Tradition. Wir setzen unsere Hoffnung nicht auf die Parteien im Landtag oder im Bundestag. Wir wissen, dass sie für die Zustände verantwortlich sind, die unser Leben zerstören. Sie haben die Gesetze gemacht, die es Oligarchen wie Wisser ermöglichen, Arbeiter derart auszubeuten und zu entrechten.

Auch auf Krokodilstränen und geheuchelte Solidarität können wir verzichten.

Wir kämpfen dafür, den Arbeitskampf der WISAG-Arbeiter auszuweiten. Dazu ist es notwendig, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen und einen europaweiten Generalstreik vorzubereiten. Ziel muss es sein, die großen Konzerne zu enteignen und das gesellschaftliche Leben nach den Bedürfnissen der Menschen neu zu gestalten.

Hier vor dem Landtag und der hessischen Landesregierung können wir nicht anders, wir müssen auch an die NSU-Morde denken, die die CDU-Grüne-Regierung vertuscht und verheimlicht, an den Mord an Walter Lübcke, die Morde von Hanau und die Drohmails von Frankfurter Polizisten an die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die einfach nicht aufhören. Diese Regierung hat ihre Archiv-Daten über die NSU-Beziehungen zum Verfassungsschutz für 30 Jahre weggesperrt, statt sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Diese selbe Regierung schiebt gnadenlos Menschen ab: Erst vor kurzem wurde eine 60-jährige Frau abgeschoben, die schon 35 Jahre hier gelebt und gearbeitet hat und die fünf Kinder, davon ein Behindertes, großgezogen hat. Jede Woche werden Menschen abgeschoben, auch wenn sie seit Jahrzehnten hier gelebt und gearbeitet haben und voll integriert sind.

Diese Landesregierung wird vielleicht ihr Bedauern über die Entlassungen bei WISAG äußern, aber sie wird nichts tun, um den Flughafenarbeitern ihr volles Recht und ihre Arbeitsplätze zurückzugeben. Sie hat bewiesen, dass sie über Leichen geht.

Die Alternative lautet, wie Rosa Luxemburg sagte: Barbarei oder Sozialismus. Und wer sich heute gegen die Barbarei entscheidet, der muss als erstes den Kampf dieser Arbeiter gegen willkürliche Entlassungen und Lohnraub unterstützen. Das ist der Appell, den wir heute an alle Arbeiter richten – an allen Standorten von WISAG, an allen Flughäfen und in der gesamten Produktion. Vor allem richten wir uns auch an die Metallarbeiter, die sich gerade in Warnstreiks befinden.

Der Arbeitskampf der WISAG-Arbeiter ist wirklich ein Wendepunkt. Es muss der Ausgangspunkt für eine breite politische Bewegung gegen Ausbeutung sein. Das ist unser einziger Weg in die Zukunft.

Vielen Dank

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