Am 15. März jährte sich zum zehnten Mal der Beginn der Kampagne Washingtons und seiner regionalen Verbündeten mit dem Ziel, das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen.
Im März 2011 war es in mehreren syrischen Städten zu Protesten gegen die Regierung gekommen, die mit tödlicher Gewalt unterdrückt wurden. Genau wie zuvor in Libyen nahm die Obama-Regierung auch diese Vorfälle zum Anlass für eine groß angelegte Operation zur Durchsetzung ihrer geostrategischen Interessen gegen ein Regime, mit dem sie seit Langem in Konflikt lag.
Die Vereinten Nationen, die USA und die Europäische Union reagierten auf das Vorgehen der syrischen Regierung mit lautstarker moralischer Empörung. Gleichzeitig äußerten sie jedoch nur alibimäßige Kritik, als ihre Verbündeten, Bahrain und Jemen, mit noch größerer Brutalität gegen die Aufstände in ihren Staaten vorgingen, die ein Teil der als Arabischer Frühling bekannten Erhebung der Arbeiterklasse in der Region waren.
Die CIA und Washingtons regionale Verbündete – die Ölmonarchien am Persischen Golf, die Türkei und Israel – haben immer neue islamistische Milizen finanziert, gefördert, ausgebildet und unterstützt, die als Stellvertretertruppen Assad stürzen sollten. Diese sunnitischen Kräfte wie die al Nusra-Front waren teilweise mit al-Qaida verbündet, wurden aber absurderweise als „Revolutionäre“ verherrlicht.
Diese „Revolutionäre“, von denen viele diskreditierte ehemalige Vertreter des Regimes waren, wurden von zahlreichen pseudolinken Gruppen bejubelt. Dazu gehörten Organisationen wie die französische Nouveau Parti anticapitaliste (NPA), die britische Socialist Workers Party oder die US-amerikanische International Socialist Organization (die mittlerweile in den Democratic Socialists of America, einer Fraktion der Demokratischen Partei, aufgegangen sind). Unterstützt wurden sie außerdem von Akademikern wie Juan Cole von der University of Michigan und Gilbert Achcar von der School of African and Oriental Studies. Dabei wurde weder das politische Programm dieser „Revolutionäre“ beschrieben, noch wurde erklärt, warum feudale Despoten vom Golf, die im eigenen Land jeden Widerstand gegen ihre Herrschaft unterdrücken, eine progressive Revolution im Ausland unterstützen sollten.
Doch trotz all dieser Unterstützung konnten diese Oppositionskräfte Assad nicht stürzen, da in der Bevölkerung kein Rückhalt für ihr äußerst rechtes und in vielen Fällen dschihadistisches Programm herrscht.
Während Syrien früher ein Land mit mittlerem Einkommensniveau war, wirkt die Lage heute wie „ein lebendiger Albtraum“, wie es UN-Generalsekretär Antonio Guterres formulierte: „Das Ausmaß der Gräueltaten erschüttert das Gewissen.“
Das entsetzliche Leid, das die imperialistische Kriegstreiberei in Syrien verursacht hat, wird von den internationalen Medien weitgehend ignoriert. Ihre Berichterstattung beschränkt sich auf die Lage in der von „Rebellen“ kontrollierten Provinz Idlib. Die Kämpfe haben mehr als 400.000 Todesopfer gefordert und die weltweit größte Flüchtlings- und Vertriebenenkrise ausgelöst. Etwa 5,6 Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen, weitere 6,1 Millionen wurden zu Binnenvertriebenen innerhalb von Syrien. Fast 11,1 Millionen Menschen – etwa 60 Prozent der Bevölkerung – sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Etwa die Hälfte der von der Flüchtlingskrise betroffenen Menschen sind Kinder. Die Hälfte dieser Kinder hat noch keinen Tag ohne Krieg erlebt. Ihre Lebenserwartung ist um 13 Jahre gesunken. In Syrien sind mehr als eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren wegen chronischer Unterernährung körperlich missgebildet. Fast 2,45 Millionen Kinder in Syrien und weitere 750.000 syrische Kinder in den Nachbarstaaten gehen nicht mehr zur Schule.
Laut einem aktuellen Bericht von World Vision hat der Krieg die syrische Volkswirtschaft 1,2 Billionen Dollar des Bruttoinlandsprodukts gekostet. Doch es wird noch schlimmer kommen: 60 Prozent der Bevölkerung werden wahrscheinlich in diesem Jahr Hunger leiden, da die Preise für Nahrungsmittel innerhalb der letzten zwölf Monate im Durchschnitt um 230 Prozent gestiegen sind.
Ein Leser der World Socialist Web Site aus Damaskus berichtet, die Bevölkerung müsse bereits um grundlegende Nahrungsmittel und Treibstoff einen täglichen Kampf führen. Es gibt kaum noch Brot zu erschwinglichen Preisen. Während Syrien vor dem Krieg Weizen exportiert hat, wurden die Anbaugebiete von Milizen besetzt, sodass die Bauern ihre Produkte nicht mehr an die Regierung verkaufen konnten. Stattdessen schmuggelten die Milizen Weizen aus dem Land und brannten die Felder der Bauern nieder, die sich dagegen wehrten, sodass die Regierung Weizen importieren muss. Die Regierung hat zwar ein Rationierungssystem auf der Grundlage von Chipkarten eingeführt, durch das Brot zu subventionierten Preisen verkauft wird, allerdings muss man dafür über vier Stunden anstehen. Die Alternative ist Brot für den zehnfachen Preis.
Während Syrien früher in kleinem Umfang Öl exportiert hat, muss es heute Öl importieren, weil bewaffnete Gruppen die Ölgebiete besetzt haben. Benzin und Dieselkraftstoff sind zwar ebenfalls per Chipkarte rationiert, allerdings müssen Bezieher auch hier stundenlang warten, um dann zu erfahren, dass die Vorräte ausgegangen sind. Deshalb sind kaum Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs. Durch die Stromknappheit wurde auch die industrielle Produktion in Mitleidenschaft gezogen; Fabriken können die im Krieg zerstörten Maschinen und Geräte nicht ersetzen, was die Arbeitslosigkeit und das wirtschaftliche Elend verstärkt.
Selbst in relativ wohlhabenden Gebieten von Damaskus, der Stadt, die am wenigsten vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen wurde, gibt es pro Tag nur drei Stunden Strom. Auf dem Land und in anderen Städten wird der Strom noch länger abgestellt.
Der Preis für ein Kilogramm Fleisch ist auf 25.000 Lira angestiegen, d.h. auf fast die Hälfte eines durchschnittlichen Monatslohns. Die Preise für Hühner, Eier, Obst und Gemüse sind wegen hoher Transportkosten, der allgegenwärtigen Preistreiberei und des Absturzes der Währung in die Höhe geschossen. Im Jahr 2010 kostete ein Dollar 50 Lira, heute beträgt der Wechselkurs 4.000 Lira.
Unser Leser fasst zusammen: „Wer Geld hat, für den gibt es in Damaskus alles. Aber die Armen und Einkommensschwachen, die mehr als 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen, leiden schrecklich.“
Die Behörden haben offiziell mehr als 16.000 Fälle von Covid-19 und mehr als 1.000 Todesopfer gemeldet, allerdings sind diese Zahlen vermutlich deutlich zu niedrig. Vor Kurzem wurden auch Präsident Baschar al-Assad und seine Frau positiv getestet.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Laut dem International Rescue Committee sind nur 64 Prozent der Krankenhäuser und 52 Prozent der medizinischen Grundversorgungszentren im Land einsatzbereit. Zudem sollen 70 Prozent der Pflegekräfte aus dem Land geflohen sein, weil medizinische Einrichtungen Ziel von Angriffen rivalisierender Milizen wurden. Etwa 84 Prozent der Pflegekräfte berichteten, sie, ihr Team oder ihre Patienten seien direkt von Angriffen auf das Gesundheitswesen betroffen gewesen. 81 Prozent wissen von Kollegen oder Patienten, die bei Angriffen getötet wurden.
Eine von vier medizinischen Fachkräften hat Angriffe erlebt, durch die Einrichtungen unrettbar beschädigt wurden. Viele haben Ersatzeinrichtungen in Höhlen, Privatwohnungen oder unterirdischen Kellern aufgebaut. Die Situation wurde verschärft durch Sanktionen der USA, die verhindern, dass Medikamente und medizinische Güter ins Land kommen. Das alles hat dazu geführt, dass zwölf Millionen Syrer auf Gesundheitsbetreuung angewiesen sind. Etwa ein Drittel davon braucht regelmäßig Hilfe bei Schwangerschaft, Geburt, Neugeborenen- und Kinderversorgung.
Guterres und fast alle westlichen Medien und Analysten machen für den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes eine Mischung aus „Konflikt, Korruption, Sanktionen und die Corona-Pandemie“ verantwortlich. Diese Behauptung ist eine dreiste Lüge.
Der Stellvertreterkrieg in Syrien steht in Zusammenhang mit den militärischen und verdeckten Operationen der letzten Jahrzehnte und anderen Maßnahmen der USA und ihrer Verbündeten im rohstoffreichen Nahen Osten. Sie haben nicht nur Syrien zerstört, sondern auch Afghanistan, den Irak, Libyen und den Jemen sowie den Iran und den Libanon.
Hinter der von den USA orchestrierten Intervention standen vor allem Washingtons Bestrebungen, Syriens wichtigsten Verbündeten, den Iran, zu isolieren und von seinem libanesischen Verbündeten abzuschneiden, der bürgerlich-klerikalen Hisbollah. Zudem wurden im östlichen Mittelmeer beträchtliche Öl- und Gasvorkommen entdeckt, u.a. in den syrischen und libanesischen Hoheitsgewässern.
Assad konnte zwar mit Unterstützung Russlands, des Iran und der Hisbollah-Kämpfer aus dem Libanon einen Großteil des Landes zurückerobern, doch die Situation hat sich trotzdem nicht verbessert. Die Trump-Regierung hat versucht, durch Wirtschaftssanktionen gegen Syrien den Druck auf Damaskus zu verschärfen. Die Folge war ein drastischer Anstieg der Nachfrage nach US-Dollar und damit ein massiver Anstieg der Lebenshaltungskosten. Zudem verhinderten die Sanktionen jede Hilfe für den Wiederaufbau des Landes.
Die Biden-Regierung hat bereits durch die Luftangriffe auf Syrien, die gegen das Völkerrecht und US-Recht verstoßen, ihre Absicht signalisiert, die provokante und militaristische Politik ihrer Vorgängerregierung in Syrien, dem Nahen Osten und dem Rest der Welt zu verschärfen.
Im Vorfeld der US-Angriffe wurde bekannt, dass Israel nicht nur Hunderte oder Tausende von Luftangriffen auf iranische und pro-iranische Milizen und die Hisbollah in Syrien sowie ähnliche Angriffe im Irak durchgeführt hat, sondern laut dem Wall Street Journal auch zwölf Schiffe angegriffen hat, die mit iranischem Öl und möglicherweise auch mit iranischen Waffen auf dem Weg nach Syrien waren.