Am Mittwoch hielt der amerikanische Außenminister Anthony Blinken seine erste große Rede in Washington und stellte dabei vorläufige Leitlinien einer nationalen Sicherheitsstrategie vor. Er signalisierte, dass die Regierung unter Präsident Joe Biden den „Wettstreit der Großmächte“ mit Russland und China, den sein Vorgänger Trump beschworen hatte, fortsetzen und weiter eskalieren wird.
Deutlich wurde außerdem, dass China zukünftig noch stärker ins Fadenkreuz der USA rücken wird als unter Trump. Blinken kam in seinen Ausführungen zum Strategiedokument zu folgendem Schluss: „Es gibt mehrere Länder, die uns derzeit vor ernsthafte Herausforderungen stellen, darunter Russland, der Iran, Nordkorea … aber die Herausforderung, vor die uns China stellt, ist anders. China ist das einzige Land mit der wirtschaftlichen, diplomatischen, militärischen und technologischen Macht“, das den Vereinigten Staaten „die Stirn bieten“ könne.
Zur Ausrichtung der Biden-Regierung auf einen Konflikt mit China gehört auch die konkrete Androhung eines Krieges. „Die Vereinigten Staaten werden nicht zögern, Gewalt anzuwenden, wenn dies zur Verteidigung unserer wesentlichen nationalen Interessen erforderlich ist“, heißt es in dem Dokument. „Wir werden alles tun, damit unsere Streitkräfte gerüstet sind, um … herannahenden Bedrohungen zu begegnen.“
Die Rede Blinkens machte deutlich, dass die von Trump eingeleitete Neuausrichtung der Außenpolitik auch in Zukunft die außenpolitische Haltung des Landes bestimmen wird. Die vom ehemaligen Präsidenten geschürte nationalistische Politik des „America First“, zunehmender Protektionismus sowie eine merkantilistische Handelskriegspolitik zielten bereits auf einen Konflikt mit China ab.
Die Biden-Regierung machte zudem deutlich, dass sie plant, Trumps Handelskriegspolitik grundsätzlich fortzuführen.
„In unseren Reihen gab es immer wieder Stimmen, die sich für Freihandelsabkommen ausgesprochen haben, weil wir davon ausgingen, dass diese Abkommen die Weltwirtschaft nach unseren Vorstellungen gestalten“, sagte Blinken. „Doch nun werden wir anders vorgehen. Wir werden um jeden Arbeitsplatz in Amerika kämpfen. Wir werden für die Rechte, den Schutz und die Interessen aller amerikanischen Arbeiter kämpfen.“ In der Zeitschrift Foreign Policy hieß es Anfang des Monats, Biden hätte der amerikanischen „America First“-Politik einen „menschlicheren, freundlicheren Anstrich“ verliehen. Doch dieser Vergleich ist bestenfalls oberflächlich. Viele Aussagen der neuen Regierung sind weder menschlicher noch freundlicher. „Wo auch immer die Regeln für die internationale Sicherheit und die globale Wirtschaft festgelegt werden – Amerika wird vor Ort sein, und die Interessen des amerikanischen Volkes werden im Vordergrund stehen“, heißt es in den vorläufigen Leitlinien einer nationalen Sicherheitsstrategie.
Ein zentraler Schwerpunkt der Biden-Regierung wird darin bestehen, die amerikanische Bevölkerung dazu zu bringen, den Konflikt zu unterstützen. In dem Dokument heißt es: „Wir müssen dem amerikanischen Volk verdeutlichen, dass es bei unserem Streben nach globaler Führung nicht um Selbstbestätigung geht. Wir stellen auf diese Weise sicher, dass das amerikanische Volk in Frieden, Sicherheit und Wohlstand leben kann. Darum dreht sich unser unbestreitbares Eigeninteresse.“
Um dieses Ziel zu erreichen, sind sowohl die Republikaner als auch die Demokraten seit Jahren damit beschäftigt, China zu dämonisieren. Trump erklärte, dass Covid-19 durch ein „chinesisches Virus“ ausgelöst wird, und bezeichnete die Pandemie als „Kung Flu“ (flu, engl. für „Grippe“). Die Biden-Regierung behauptet, dass das tödliche Virus in einem chinesischen Labor entstanden sein könnte, und beschuldigt China des Völkermords.
Diese Anschuldigungen haben im öffentlichen Bewusstsein der amerikanischen Bevölkerung Spuren hinterlassen. Laut einer Umfrage des Pew-Forschungszentrums sehen neun von zehn Amerikanern in China einen Konkurrenten bzw. Feind und keinen Partner. Zwei Drittel gaben an, „eisige Gefühle“ gegenüber Peking zu hegen, während es vor nur zwei Jahren rund 46 Prozent waren.
Bonnie Glaser, Direktorin des „China Power Project“ am Centre for Strategic and International Studies, bemerkte dazu: „Da sowohl republikanische als auch demokratische Regierungen die Beziehung zu China als strategischen Wettbewerb dargestellt und außerdem die zahlreichen Bedrohungen betont haben, ist es nicht überraschend, dass immer mehr Amerikaner – die tagtäglich darüber lesen und hören – zunehmend besorgt sind und eine negative Sicht auf China haben.“
John Bolton, Trumps ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater, der in den meisten außenpolitischen Fragen auf Seiten der Demokraten steht, gab in seinem Buch „Der Raum, in dem alles geschah“ folgende Einschätzung zur Trump-Regierung:
Trump verkörpert in mancher Hinsicht die wachsende Sorge der USA über China. Er ehrt den elementaren Grundsatz, dass politisch-militärische Macht auf einer starken Wirtschaft beruht. Je stärker die Wirtschaft, desto größer ist die Fähigkeit, große Militär- und Geheimdienstbudgets zu unterhalten, um Amerikas weltweite Interessen zu schützen und mit mehreren potenziellen Regionalhegemonien zu konkurrieren. Trump sagt häufig ausdrücklich, dass es grundsätzlich richtig ist, Chinas ungerechtes Wirtschaftswachstum auf Kosten der USA zu stoppen, um China militärisch zu besiegen. Diese Ansichten haben in einem ansonsten bitter gespaltenen Washington dazu beigetragen, dass sich die Bedingungen der amerikanischen Debatte über diese Fragen erheblich verändert haben. (1)
Die Ausführungen Boltons dienten als Vorlage für die nationale Sicherheitsstrategie 2018, die vom damaligen Verteidigungsminister James Mattis formuliert wurde. Mattis kam zu dem Schluss, fortan stehe „die Konkurrenz der Großmächte – und nicht der Terrorismus – im Mittelpunkt der nationalen Sicherheit der USA“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Während der Regierungszeit Trumps bestand die Konsequenz dieses Ansatzes nicht nur in einem Handelskrieg, sondern auch in der Vorbereitung auf einen umfassenden Atomkrieg. Durch den Austritt aus der USA aus dem INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme sollte China mit Atomwaffen umzingelt werden. Gleichzeitig beschleunigte Trump die milliardenschwere Aufrüstung des US-Atomwaffenarsenals. Diese Maßnahmen werden nun unter Biden fortgesetzt.
Anmerkungen:
1) Bolton, John. Der Raum, in dem alles geschah: Aufzeichnungen des ehemaligen Sicherheitsberaters im Weißen Haus, S.350. Das Neue Berlin. Kindle-Version.
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