Am Donnerstag endete ein zweitägiges Treffen der Nato-Verteidigungsminister, das besonders durch die Biden-Regierung und den US-Verteidigungsminister Lloyd Austin geprägt war. Laut einem hohen Vertreter des Pentagon schlugen sie vor, einen neuen „Umgangston sowie eine neue Herangehensweise [zu etablieren] und den Wunsch nach Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten und Partnern zu wecken“. Aufgrund der Corona-Pandemie fand das Treffen als Videokonferenz statt.
Hinter der Aussage Washingtons, nach vier Jahren unter Donald Trump sei „Amerika wieder zurück“, verbirgt sich jedoch nicht der Plan, eine politische Kehrtwende einzuleiten. Vielmehr werden imperialistische Operationen im Nahen Osten und die strategische Wende zur Vorbereitung auf „Großmachtkonfrontationen“ mit China und Russland die Außenpolitik der USA weiter prägen.
Washington beharrte zudem darauf, dass die europäischen Mächte größere finanzielle Mittel –zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – für Militärausgaben aufwenden sollten, beispielsweise für den Kauf von amerikanischem Kriegsgerät. Eine Forderung, die zuvor bereits Trump und Obama erhoben hatten.
Über das unmittelbar dringendste Thema für die Nato, den Rückzug von 10.000 Nato-Soldaten und ihrer Verbündeten aus Afghanistan bis spätestens 1. Mai, fiel keine Entscheidung. Es wird auf eine Reaktion aus Washington gewartet.
Die Frist bis zum 1. Mai ist Teil des Friedensabkommens, das letztes Jahr in Katar zwischen den USA und den Taliban ausgehandelt wurde. Letztere hatten als Gegenleistung für den Abzug der amerikanischen und weiterer ausländischer Truppen zugesagt, al-Qaida und anderen Kräften, die Anschläge auf die USA und deren Verbündete planen, den Zugang zu afghanischem Territorium zu verwehren. Seit dem Abschluss des Abkommens vor einem Jahr wurde in Afghanistan kein einziger US-Soldat mehr getötet.
Das Pentagon behauptet dessen ungeachtet, das Ausmaß an „Gewalt“ in Afghanistan mache einen Abzug unmöglich. Den von den USA unterstützten Sicherheitskräften des Marionettenregimes in Kabul droht ein Debakel. Sie haben Basen und Kontrollpunkte an die Taliban abgegeben, die wichtige Regionalhauptstädte eingekreist haben. Dabei steht die traditionelle Frühlingsoffensive der Aufstandsbewegung noch bevor.
Die USA haben offiziell nur noch 2.500 Soldaten in Afghanistan stationiert, die Mehrheit der Truppen stammt aus europäischen Staaten. Allerdings hängt die Besatzung vollständig von den Luftstreitkräften, den Versorgungsketten und der logistischen Unterstützung der USA ab.
Würde Washington tatsächlich planen, seine Truppen bis zum 1. Mai abzuziehen, wären bereits Befehle erlassen worden, die umfangreiche US-Militärinfrastruktur stillzulegen, die während des zwei Jahrzehnte andauernden Kriegs aufgebaut wurde. Ferner muss auch das enorme Kriegsgerät zurückgeholt werden, das in das verarmte Land geschafft wurde. Es deutet alles darauf hin, dass der längste Krieg in der Geschichte der USA fortgeführt wird.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte derweil eine deutliche Verschärfung der Militärpräsenz der Nato im Irak an: Das aktuelle Kontingent von 500 „Ausbildern“ soll auf 4.000 erhöht werden. Die USA drohten diese Woche mit einer bisher nicht näher beschriebenen Vergeltungsaktion für einen Raketenangriff auf eine US-Basis in Irbil. Dabei wurde ein Söldner getötet, weitere wurden verwundet, darunter auch ein US-Soldat. Eine kaum bekannte Gruppierung bekannte sich zu dem Anschlag.
Die Nato behauptet, sie sei besorgt über die erneute Erstarkung der sunnitischen Islamistenmiliz IS, und begründete damit die Erhöhung ihrer Präsenz im Irak. Der Schwerpunkt der Operationen unter Führung der USA im Irak und der Region liegt jedoch darauf, den Einfluss des Iran mit militärischen Mitteln zurückzudrängen.
Obwohl die Biden-Regierung die bereits Jahrzehnte andauernden Kriege im Nahen Osten und Afghanistan fortsetzt, hat sie das Pentagon angewiesen, eine Bewertung seiner „globalen Stellung“ vorzunehmen. Ziel ist es, die Schlagkraft der USA gegen China und Russland neu auszurichten. Biden hat bereits Trumps Befehl zum Rückzug der US-Truppen aus Deutschland rückgängig gemacht und Bomber vom Typ B1 nach Norwegen geschickt.
Im Vorfeld der Konferenz schilderte ein hoher Pentagon-Vertreter den aggressiven Kurs der USA gegenüber Russland und bezeichnete das Land als „Bedrohung für alle Nato-Staaten, einschließlich der USA“. Er warf Moskau vor, „militärische Mittel zu nutzen, um seine Ziele erreichen“ – was Washington als sein eigenes ausschließliches Vorrecht ansieht – und „die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben“, die der US-Imperialismus errichtet hat.
Stoltenberg erklärte nach dem ersten Konferenztag, er hätte eine Umgestaltung des „strategischen Konzepts“ des Bündnisses von 2010 vorgeschlagen. Das Hauptaugenmerk soll dabei auf einer Konfrontation mit Russland und China liegen.
Der Generalsekretär erklärte, das Sicherheitsumfeld des Bündnisses habe sich „fundamental geändert“: „Beispielsweise geht unser derzeitiges strategisches Konzept nicht auf das veränderte Gleichgewicht der Macht und die sicherheitspolitischen Folgen des Aufstiegs Chinas ein. ... Im Jahr 2010 arbeiteten wir an etwas, das wir für eine strategische Partnerschaft mit Russland hielten. Seither haben wir erlebt, dass Russland aggressiv gegen seine Nachbarn vorgeht und die Krim illegal annektiert hat. Damit haben sich die Dinge grundlegend geändert.“
US-Verteidigungsminister Austin erklärte den Nato-Ministern, er begrüße es, „dass die Nato-Verbündeten Chinas wachsenden Einfluss und internationaler Kurs anerkennen, der die transatlantische Sicherheit gefährdet“ und freue sich auf eine „Zusammenarbeit, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Zu diesem Zweck verteufeln Washington und die amerikanischen Mainstream-Medien China in einer unablässigen Propagandakampagne und machen das Land für die Corona-Pandemie und den „Völkermord“ an seiner muslimischen Bevölkerung verantwortlich, um nur einige Beispiele zu nennen. Eines der wichtigsten Ziele dieser Kampagne ist, die wachsende Wut der Bevölkerung über soziale Ungleichheit und die katastrophale Reaktion auf die Pandemie auf einen neuen äußeren Feind zu lenken.
Auf der Grundlage einer solchen Agenda lässt sich die Einheit der Nato kaum gewährleisten. Zweifellos hat der primitive Charakter von Trumps polternder „America-First“-Politik und seine offene Verachtung gegenüber der Nato die Konflikte und Spannungen innerhalb des fast 75 Jahre alten Bündnisses verschärft. Doch sie hatten bereits vor Trump eingesetzt und haben viel tiefer gehende Wurzeln. Ein neuer „Umgangston“ wird sie kaum aus der Welt schaffen.
Als das transatlantische Militärbündnis im Jahr 1949 gegründet wurde, übte der US-Imperialismus die Vorherrschaft über die kapitalistische Welt aus. In dem 40 Jahre währenden Kalten Krieg zwischen den beiden Atommächten richtete sich das Bündnis gegen die Sowjetunion. Um den Niedergang seiner globalen wirtschaftlichen Hegemonie auszugleichen, vor allem aber nach der Auflösung der UdSSR, hat der US-Imperialismus zunehmend auf militärische Gewalt gesetzt, was zu drei Jahrzehnten ununterbrochener Kriege führte.
Die westeuropäischen Mächte, vor allem Deutschland und Frankreich, äußerten mehrfach ihre Opposition dagegen, zu Schachfiguren in Washingtons Konflikten mit Peking und Moskau degradiert werden. Ende letzten Jahres schloss die Europäische Union (EU) trotz Einwänden der USA ein wichtiges Handels- und Investitionsabkommen mit China. Letzte Woche wurde bekannt, dass China die USA als wichtigsten Handelspartner der EU abgelöst hat.
Die deutsche Bundesregierung hält derweil an ihrer Unterstützung für die Pipeline Nord Stream 2 fest, durch die russisches Gas direkt, unter Umgehung der Ukraine, nach Deutschland geliefert werden soll – und zwar trotz Drohungen und Sanktionen seitens der USA.
Die Verschärfung der Krise des Weltkapitalismus, die durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurde, schürt nicht nur Konflikte zwischen den USA, Russland und China, sondern auch innerhalb der Nato. Deren Mitgliedsstaaten standen sich im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriegen gegenüber.
Der Think Tank Council on Foreign Relations (CFR) veröffentlichte diesen Monat einen Bericht mit dem Titel „Die Vereinigten Staaten, China und Taiwan: Strategie zur Verhinderung eines Kriegs“. Darin warnte das CFR, Washington dürfe sich in einem Krieg gegen China nicht auf die Unterstützung seiner bisherigen Nato-Verbündeten verlassen: „Die Verbündeten der USA haben in zahlreichen Angelegenheiten gezögert, Washington zu unterstützen – angefangen bei technologischen Fragen bis hin zur Kritik an Chinas Umgang mit Hongkong –, wenn dessen Rhetorik und Vorgehen zu provokant wirkt oder mit zu großen wirtschaftlichen Kosten verbunden ist. ... Frankreich und Deutschland haben sich im Jahr 2003 geweigert, die USA im Golfkrieg zu unterstützen. In einem Krieg zwischen den USA und China könnte sogar Japan wegen seiner Innenpolitik und der verfassungsmäßigen Schranken seine Unterstützung verweigern. Die USA müssten eventuell alleine kämpfen, was das Bündnissystem zerstören würde.“
Der Bericht warnt vor den Folgen eines solchen Konflikts: „Im ersten Krieg der Menschheitsgeschichte zwischen zwei Atommächten könnten Millionen von Amerikanern sterben. Die RAND Corporation veröffentlichte im Jahr 2015 eine Studie über die Auswirkungen eines Kriegs zwischen den USA und China und kam zu dem Schluss, dass die Einschätzung militärischer Verluste ,äußerst schwierig‘ werden könnte. Im Zweiten Weltkrieg haben die USA zum letzten Mal ein großes Kriegsschiff verloren, und ein einziges versenktes Schiff könnte zum tödlichsten Ereignis für das US-Militär seit dem Vietnamkrieg führen.“