Seit dem vergangenen Wochenende veranstaltet die rechte Springer-Presse eine üble Hetzjagd gegen den Berliner Studierenden Bengt R. Der 21-Jährige, der an der Humboldt-Universität Jura studiert und sich politisch in der SPD und bei den Jusos engagiert, wurde nach einigen unbedachten Posts auf Twitter von der rechten Presse, von seiner eigenen Partei und von der Leitung der HU heftig angegriffen.
R. hatte zunächst auf den sexistischen Post eines Mitglieds der Jungliberalen reagiert, in dem dieser ein Regal mit Putzmitteln in einem Drogeriemarkt als „Bar für Frauen“ bezeichnet hatte. Im Verlauf einer Diskussion, die sich anlässlich dieses Posts entwickelte, hatte Bengt – erkennbar nicht ernst gemeint und in codierten Worten – „Jungliberale ershooten wann?“ geschrieben.
Diese Auseinandersetzung wurde u.a. von den rechtsradikalen Kolumnisten Don Alphonso und Benedikt Brechtken aufgegriffen und damit dem rechten Mob zum Fraß vorgeworfen. Am Samstagabend titelte dann die Bild-Zeitung an prominenter Stelle auf ihrer Website: „Irre Mordphantasien eines Berliner Juso-Funktionärs.“
Es dauerte nicht lange, da griffen die Berliner Boulevardblätter die Nicht-Story auf. Von „irren Gewalt-Phantasien“ schrieb die B.Z. Berlin; der Berliner Kurier erklärte gar, R. habe „auf sozialen Netzwerken Gewaltphantasien freien Lauf gelassen und Anschläge gegen politische Gegner verherrlicht“.
Nichts davon entsprach der Realität. Der Vorwurf der Verherrlichung von Anschlägen bezieht sich auf einen Tweet des Jusos, er könne „eine klammheimliche Freude nicht verhehlen“, sollte Amazon-Gründer Jeff Bezos einem Anschlag zum Opfer fallen. Es ist eine satirische Anlehnung an einen Text, der 1977 als Reaktion auf die Ermordung des Alt-Nazis und Generalbundesanwalts Siegfried Buback vom Göttinger AStA veröffentlicht worden war. Dieser hatte sich trotz der „klammheimlichen Freude“ gegen terroristische Anschläge ausgesprochen.
R.s Tweets sind geschmacklos und politisch falsch, aber sicherlich keine „irren Gewalt-Phantasien“. Schon am Tag darauf entschuldigte sich R. mit einem Eintrag auf Facebook für seine Äußerungen, distanzierte sich unmissverständlich von Gewalt gegen politische Gegner und legte seine Ämter in der SPD nieder. Ihm sei „klargeworden, dass diese Äußerungen als Aufforderung zur Gewalt verstanden werden können. Ich lehne Gewalt gegen Menschen als Mittel der politischen Auseinandersetzung strikt ab.“
Doch das hielt weder die Bild-Zeitung noch die SPD von weiteren Angriffen ab. Am Sonntagnachmittag geiferte Berlins SPD-Chefin Franziska Giffey: „So ein Verhalten ist nicht hinnehmbar. Wir sind entsetzt! Das muss Konsequenzen haben.“ Dies habe man auch gegenüber dem Juso-Landesvorstand geäußert. Tom Schreiber, der für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, erklärte: „So einer passt weder zur SPD Berlin noch zu den Jusos. Die Aufarbeitung selbst darf nicht auf der Strecke bleiben. Der Rücktritt von den Ämtern ist zu begrüßen, aber nur ein erster Schritt.“
Der vorläufige Höhepunkt der rechten Hetzjagd kam dann am Montag. An nahezu jedem Berliner Zeitungskiosk waren nicht nur die Schlagzeilen über „irre Mordphantasien“ zu lesen, sondern auch ein nicht autorisiertes Foto des Jungsozialisten sichtbar.
Man fühlte sich unweigerlich an die Hetzkampagne gegen Rudi Dutschke erinnert, die über ein Jahr lang von der Springer-Presse hochgekocht worden war. Auf ihren Aufruf vom Februar 1968 – „Stoppt den Terror der Jungroten jetzt!“ – und ihre Forderung, man dürfe „nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen“, reagierte wenige Wochen später der Rechtsextremist Josef Bachmann, indem er zur Pistole griff und dreimal auf Dutschke schoss. Dieser überlebte schwer verletzt, verstarb aber Jahre später an den Folgen des Attentats.
Eine besonders üble Rolle bei den persönlichen Angriffen gegen R. spielt die Humboldt-Universität. Schon parallel zu den ersten Artikeln der Bild-Zeitung griff der rechtsradikale Historiker Jörg Baberowski den Fall auf seinem Facebook-Account auf. In der Vergangenheit hatten seine dortigen Aufrufe gegen Linke mehrfach direkte Angriffe auf linke Studierende oder Organisationen und Veranstaltungen zur Folge, wie die Hetze gegen zwei Studierendenvertreterinnen oder die physischen Angriffe auf eine Veranstaltung der IYSSE an der HU im Dezember 2018.
Auf die Forderung eines rechten Lesers, man müsse Bengt aus den universitären Gremien der HU ausschließen, erklärte Baberowski, Bengt sei „nur einer von vier linksextremistischen Hetzern, die in den Gremien der HU sitzen. Es ist also nicht einfach, diese Faschisten aus ihren Ämtern zu entfernen.“
Baberowski spielt hier auf die insgesamt fünf studentischen Vertreter im Akademischen Senat der HU an. In diesem Gremium war vor zwei Jahren Baberowskis Antrag auf Gründung eines „Zentrums für vergleichende Diktaturforschung“ verhandelt und schließlich zurückgewiesen worden. Zwei Studierende hatten das Projekt öffentlich kritisiert und waren daraufhin von Baberowski aggressiv beleidigt worden. Nun bezeichnet er sämtliche gewählten studentischen Vertreter als „linksextremistische Hetzer“ und als „Faschisten“.
Auch die Universitätsleitung beteiligte sich umgehend an der rechten Hetzkampagne. Noch am Sonntag reagierte sie mit einem Statement. Sie verurteile „verbale Beleidigungen, diffamierende Äußerungen und Kommentare oder Tweets, die zu Gewalt aufrufen, auf das Schärfste. Hatespeech hat keinen Platz an der HU und ist für uns in keiner Weise akzeptabel.“
Ein solches Statement seitens der HU-Leitung wäre mit „übler Heuchelei“ noch wohlwollend umschrieben. Die HU-Leitung selbst hatte 2018 den ReferentInnenRat auf Geheiß der Berliner AfD verklagt, weil die Studierendenvertretung sich geweigert hatte, die Namenslisten aktiver Studierender zu veröffentlichen. Im Januar des letzten Jahres griff Baberowski dann den Autor dieser Zeilen körperlich an, schlug ihm das Handy aus der Hand und drohte ihm: „Soll ich Dir was in die Fresse hauen?“ Ich hatte den Professor gerade dabei gefilmt, wie er Wahlplakate der IYSSE zur Wahl zum Studierendenparlament von den Aufstelltafeln riss.
Alle diese Vorfälle hatten die HU-Leitung nicht veranlasst, ihre Studierenden gegen die Angriffe des Professors in Schutz zu nehmen. Ganz im Gegenteil: im Fall des körperlichen Angriffs verweigerte die Uni-Leitung unter Sabine Kunst jegliche öffentliche Stellungnahme und erklärte im Akademischen Senat, der Angriff Baberowskis sei „menschlich verständlich“. Entsprechende Dienstaufsichtsbeschwerden sind inzwischen seit über einem Jahr unbearbeitet geblieben.
In den sozialen Medien und unter Studierenden erhielt R. breite Unterstützung. Auf Twitter trendete am Montag der Hashtag #SolidaritaetmitBengt. Die Studierendenvertretungen der HU und der Technischen Universität Berlin veröffentlichten umgehend Solidaritätserklärungen.
Die Hetze gegen R., an der sich die gesamte rechte Presselandschaft und führende Politiker beteiligen, zielt nicht auf einen einzelnen Studenten. Sie ist darauf gerichtet, jede Kritik an den rechtsradikalen Seilschaften an der HU und der rechten Politik der Großen Koalition mundtot zu machen. Die Hetze fiel direkt mit der Gründung des „Netzwerks für Wissenschaftsfreiheit“ zusammen, in dem sich Baberowski und andere rechtsradikale Professoren vereint haben, um ihre rechten Positionen zu verbreiten und Kritiker zu unterdrücken.
Um die gegenwärtige Politik der Durchseuchung und der schreienden sozialen Ungleichheit durchzusetzen, ist eine Rückkehr zu den Methoden der Diktatur und des Faschismus unumgänglich. Genau hier spielt die HU eine zentrale Rolle. Für die Bemühungen, diktatorische Ordnungen wieder akzeptabel zu machen, war die Zurückweisung von Baberowskis Diktaturprojekt und die beständige Kritik an der Rechtsentwicklung der HU durch Studierendenvertreter und die IYSSE ein herber Rückschlag. Deshalb greifen sie zur Methode der Hetzkampagne und versuchen, das Leben eines jungen Studenten zu zerstören.