Der Bevölkerung Portugals wird das schreckliche Schicksal zuteil, weltweit bei Infektionen und Toten durch Covid-19 an erster Stelle zu stehen.
Letzten Monat wurden 15.000 Neuinfektionen und 250 Todesfälle auf eine Million Einwohner gemeldet; der EU-weite Durchschnitt liegt bei 4.200 Infektionen und 103 Toten. Am 28. Januar erreichte das Land seinen bisherigen Höchststand von 16.432 neuen Fällen und 303 Toten.
Fast die Hälfte der bisher 726.321 Infektionen und 12.757 Todesfälle seit Beginn der Pandemie ereigneten sich im Januar.
Berichten zufolge stehen die Krankenhäuser des nur knapp über zehn Millionen Einwohner zählenden Landes kurz vor dem Zusammenbruch. Die Krankenwagen müssen stundenlang Schlange stehen, weil nicht genug Betten zur Verfügung stehen. Das Krankenhaus Garcia de Horta in Almada ist mit mehr als 300 Prozent seiner Kapazität ausgelastet. Gesundheitsministerin Marta Temido gab zu: „Wir arbeiten mit allen Mitteln in allen Bereichen, aber es gibt Grenzen. Und wir sind sehr nahe an dieser Grenze.“
Am letzten Freitag flog die portugiesische Luftwaffe schwerkranke Covid-19-Patienten aus Lissabon auf die Insel Madeira, wo es noch freie Krankenhausbetten gibt. Am Sonntag erklärte sich Österreich bereit, Intensivpflegepatienten aus Portugal anzunehmen; Deutschland flog Sanitäter und Ärzte der Bundeswehr und Ausrüstung hin. Internationale Flüge wurden eingestellt, die Grenze zu Spanien – die einzige Landgrenze Portugals – wurde geschlossen.
Der kürzlich wiedergewählte konservative Präsident der Republik, Marcelo Rebelo de Sousa, kündigte an, den Lockdown, der Mitte Januar als Reaktion auf den Anstieg der Infektionen und Todesfälle angekündigt worden war, bis Ende März oder sogar bis in den Sommer hinein zu verlängern.
Ministerpräsident Antonio Costa von der Sozialistischen Partei (PS) erklärte bei einer Pressekonferenz, die Lage sei nicht nur „schlecht“, sondern „furchtbar“: „Es bringt nichts, die Illusion zu schüren, dass wir nicht mit dem Allerschlimmsten konfrontiert sind. Und dies wird noch ein paar Wochen andauern, das ist sicher.“
Costa erklärte, der Grund für den Anstieg der Infektionen sei die Lockerung der restriktiven Maßnahmen durch seine Regierung um Weihnachten und das Auftauchen einer infektiöseren Variante, die erstmals in Großbritannien entdeckt worden war. Es ist faktisch eine Warnung an die Arbeiterklasse ganz Europas, dass die britische Variante laut Experten für 40 Prozent aller Neuinfektionen in Portugal verantwortlich ist. Außerdem mehren sich die Fälle einer neuen Variante aus Brasilien, dessen Bevölkerung noch immer enge Beziehungen zu seiner ehemaligen Kolonialmacht Portugal unterhält.
Allerdings versuchte Costa, von der Verantwortung seiner Regierung für die chronische Unterfinanzierung des portugiesischen Gesundheitssystems (SNS) abzulenken, indem er eigene verwirrende „Botschaften“ einräumte: „Es gab sicherlich Fehler: oft in der Art, wie ich der portugiesischen Bevölkerung die Botschaft überbracht habe", sagte Costa. "Und wenn der Empfänger der Botschaft nicht versteht, ist der Bote schuld, daran habe ich keinen Zweifel.“
Letztes Jahr blieben dem Land die schlimmsten Folgen von Covid-19 erspart, größtenteils weil sich die portugiesische Bevölkerung an Einschränkungen wie soziale Distanzierung, Maskenpflicht und Einschränkungen des Reiseverkehrs hielt. Laut Alexandre Lourenco, Präsident der portugiesischen Vereinigung der Krankenhausbetreiber, hat es Portugal in der ersten Welle auch geholfen, dass 120.000 Operationen und mehr als zehn Millionen Termine verschoben wurden. Ein Großteil davon wurde bis jetzt noch nicht durchgeführt.
Doch genau wie überall auf der Welt, drängt auch in Portugal das Großkapital auf eine mörderische Herdenimmunitätspolitik, um die Wirtschaft wieder zu öffnen. Besonders großen Einfluss übt dabei die Tourismusbranche aus, die zwanzig Prozent des portugiesischen BIPs erwirtschaftet.
Die Sozialistische Partei (PS) fügte sich, lehnte die Schließung von Schulen und nicht systemrelevanten Betrieben ab und weigerte sich, Arbeitern in Quarantäne den vollen Lohn auszuzahlen, was die Ausbreitung des Virus begünstigte. Der Grund dafür war, dass solche Maßnahmen die Profite der Konzerne schmälern würden. Ihre Priorität ist nicht der Schutz von Menschenleben, sondern Profit.
Im Herbst wurden die Schulen und der normale Arbeitsalltag wieder in Betrieb genommen. Deshalb war es unvermeidbar, dass auch die Zahl der Infektionen anstieg. Bis November wurden erneut der Ausnahmezustand ausgerufen und neue Einschränkungen verhängt, darunter eine Ausgangssperre am Wochenende ab 13 Uhr.
Nachdem die Infektionszahlen Anfang Dezember zurückgingen, kündigte die Regierung jedoch an, sie werde „Weihnachten retten“. Die Bevölkerung durfte sich drei Tage lang frei im ganzen Land bewegen, die Ausgangssperren wurden gelockert, Familientreffen erlaubt. Viele portugiesische Arbeiter aus Großbritannien und britische Auswanderer kamen ohne negativen Covid-Test oder Flughafen-Tests ins Land.
Angesichts der steigenden Zahlen musste die Regierung am 15. Januar einen neuen Lockdown und den neunten Ausnahmezustand ausrufen. Dennoch wurde er als „lockerere“ Version dargestellt, in der Schulen, Kirchen und 52 Arten von Geschäften offenbleiben konnten. Angesichts der weiteren Ausbreitung der Pandemie und der wachsenden Wut der Bevölkerung wurde die erneute Schließung der Schulen am 22. Januar angekündigt, doch es war bereits zu spät.
Die Beamtin Ana Cristina Guerreiro der regionalen Gesundheitsbehörde Algarve erklärte: „Seit Beginn des Schuljahres kam es zu vielen Fällen, in denen das Virus innerhalb der Familie übertragen wurde. Wegen der epidemiologischen Untersuchung blieben viele Schüler ohne präventive Isolation zu Hause. Die Folge war eine große Anzahl von Fällen im Inland und eine große Anzahl von Fällen, die davor nicht existierten, etwa ebenso viele Schüler mit positivem Test.“
Laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten liegt Portugal bei der Verteilung der Impfstoffe “im Rückstand“, was zusätzlich durch das Debakel bei der EU-weiten Verteilung verstärkt wird. Bis Ende Januar wurden nur 70.000 Menschen vollständig mit zwei Dosen geimpft, und die Reihe der über 80-Jährigen wird erst seit dem 1. Februar geimpft.
Portugal gehört zu den Ländern, die während der Pandemie ihre Gesundheitsausgaben am wenigsten erhöht haben. Laut dem Bericht „Gesundheit in Europa auf einen Blick 2020“, das die Ausgaben für spezialisierte medizinische Ausrüstung, Schutzausrüstung, Kontaktverfolgungs- und Testkapazitäten, Einstellung von zusätzlichen Arbeitskräften in Krankenhäusern und für die Entwicklung von Impfstoffen vergleicht, hat Portugal nur 57 Euro pro Person ausgegeben. Das ist nur halb so viel wie der EU-Durchschnitt von 112 Euro.
Die Covid-19-Katastrophe in Portugal geht jedoch stark auf systembedingte Gründe zurück. Das öffentliche Gesundheitswesen war seit der globalen Bankenkrise von 2008 ständig Angriffen der „Troika“ der Finanzinstitute ausgesetzt. Ein primäres Ziel der Regierungen war die Einhaltung der EU-Austeritätsdiktate. In seiner bisher fünfjährigen Amtszeit hat Costas PS-Regierung einen beispiellosen Haushaltsüberschuss von 0,3 Prozent erwirtschaftet.
Deshalb leidet Portugal weiterhin unter den niedrigsten Krankenhauskapazitäten pro Kopf der EU. Auf 100.000 Menschen kommen nur 4,2 Intensivpflegebetten, was den niedrigsten Wert in der EU bedeutet. In Spanien liegt der Wert bei über neun pro 100.000, in Deutschland bei fast 30. Die Versprechen, einen nationalen Gesundheitsplan umzusetzen und mehr Fachpersonal einzustellen, wurden bisher nicht erfüllt.
Große Teile des öffentlichen Gesundheitswesens wurden privatisiert. Die PS-Regierung hat sich geweigert, ihre Notstandsvollmachten einzusetzen, um die privaten Gesundheitsunternehmen zur Mithilfe zu verpflichten. Nachdem sie in der ersten Welle die Aufnahme von Covid-19-Patienten verweigert hatten, wollen sie auch jetzt nur 80 Betten für Covid-19-Patienten freihalten – gegenüber 800 für andere Patienten.
Während der nationale Gesundheitsdienst (SNS) kurz vor dem Zusammenbruch steht, drängt die PS-Regierung auf die Umsetzung ihrer Pläne, bis zu 474 Millionen Euro in die Novo Banco zu investieren. Diese so genannte „gute Bank“ wurde aus dem Zusammenbruch der Banco Espirito Santo im Jahr 2014 gerettet und gehört jetzt dem US-Geierfonds Lone Star. In die Novo Banco wurden bereits mehr als vier Milliarden Euro gepumpt.
Dies ist Teil der achtzehn Milliarden Euro, mit denen das Finanzsystem in den letzten zehn Jahren gerettet wurde. Angesichts dieser Tatsache räumte sogar der rechte Präsident de Sousa ein: „Es ist verlockend, zu sagen: 'Warum ist das nicht in den Wohnungsbau, ins Gesundheitswesen oder das Sozialsystem oder an die Obdachlosen gegangen?'"
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