Griechische Regierung verbietet Proteste und verhängt autoritäre Maßnahmen unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung

Die griechische Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND) benutzt die Covid-19-Pandemie als Rechtfertigung für diktatorische Maßnahmen. Letzte Woche bereitete sie sich mit einer riesigen Polizeimobilisierung auf den Jahrestag des Studentenaufstands an der Athener Polytechnio-Universität vor. Am 17. November 1973 hatte die Militärjunta, die Griechenland von 1967 bis 1974 regierte, den Polytechnio-Aufstand blutig niedergeschlagen.

Der Chef der griechischen Polizei, Michalis Karamanlakis, nutzte die Pandemie als Vorwand, um vom 15. bis 18. November – dem Zeitraum, in dem normalerweise die Gedenkveranstaltungen stattfinden – alle öffentlichen Versammlungen mit mehr als vier Personen zu verbieten.

Am 17. November stationierte die Polizei 5.000 Beamte in der Hauptstadt. Trotz des Verbots nahmen Demonstranten an Gedenkveranstaltungen teil, gegen die dann die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas vorging sowie mit Drohnen, die Live-Aufnahmen an die Polizeizentralen schickten.

Bereitschaftspolizisten neben einem Wasserwerfer auf dem Omonia-Platz im Zentrum Athens am 17. November. Die Polizei ging mit Tränengas und Festnahmen gegen die verbotenen Proteste vor. (AP Photo/Thanassis Stavrakis)

Die Behauptung, das Versammlungsrecht sei aus Rücksicht auf die öffentliche Gesundheit ausgesetzt worden, hält keiner Überprüfung stand. Nachdem die Regierung im Sommer beschlossen hatte, die Einschränkungen vorzeitig aufzuheben und die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen, steigen die Fallzahlen in Griechenland stetig an. Griechenland hatte in der ersten Welle der Pandemie relativ wenig Todesopfer zu beklagen, weil früher als in anderen europäischen Ländern Lockdown-Maßnahmen eingeführt wurden. Da jedoch keine nennenswerten Ressourcen bereitgestellt wurden, um die schwerwiegenden Folgen dieser Wiederöffnung zu bekämpfen, hat Griechenland diesen Vorteil jetzt verspielt.

Die Menschen fahren dicht gedrängt in den öffentlichen Verkehrsmitteln, nur geschützt von ihren Masken. Die Zahl der Toten lag am 25. November bei 1.902. Am 1. Juli, als die Tourismusbranche rücksichtlos geöffnet wurde, waren es noch 192. Das Gesundheitssystem, das durch die Spardiktate der Europäischen Union – umgesetzt von Sozialdemokraten, ND und Syriza – in den letzten zehn Jahre extrem geschwächt wurde, steht bereits kurz vor der Überlastungsgrenze. Derzeit sind 85 Prozent aller Intensivpflegebetten belegt.

Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis gab am Abend des 17. Novembers in einem Interview mit Skai TV zu, dass das Verbot nichts mit der öffentlichen Gesundheit zu tun hat: „Die Stadt muss wie an einem normalen Tag funktionieren, und wir werden diese Situation beenden, bei der Proteste das gesellschaftliche Leben zerstören.“

Nachdem einige Oppositionsparteien im Parlament protestiert hatten, erlaubte Chrysochoidis in der Innenstadt von Athen mehrere kleine Demonstrationen, die von Syriza, Diem25 und der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) getrennt voneinander organisiert wurden. Später am gleichen Tag ging die Bereitschaftspolizei jedoch mit Tränengas und Blendgranaten gegen eine Versammlung von 1.500 KKE-Mitgliedern und Anhängern vor, die einen Marsch durch die Athener Innenstadt geplant hatten. Darunter waren KKE-Abgeordnete wie Thanos Pafilis, der bei dem Versuch, KKE-Generalsekretär Dimitris Koutsoumbas vor der Polizei zu schützen, selbst verprügelt worden sein soll. Insgesamt wurden dabei fünf Menschen verhaftet.

Koutsoumbas war bereit, sich mit der Polizei in dem engen, restriktiven Rahmen des neuen Gesetzes gegen Demonstrationen zu einigen. Er erklärte zu den Ereignissen: „Das Gesetz besagt, dass ein Unterhändler [der Polizei] mit der für die Demonstration verantwortlichen Person verhandelt. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade auf dem Weg, sie hätten mit mir als KKE-Chef oder dem Rest der Parlamentsfraktion kommunizieren können, um zu erfahren, was unsere Absicht war... Dann hätten wir es Ihnen erklären und Sie natürlich auch darüber informieren können, was wir vorhatten.“

Chrysochoidis erklärte, er sei „enttäuscht“ von der KKE, und fügte hinzu, sie sei eine Partei, die der herrschenden Elite als sichere und bekannte Größe gilt, und er habe „die KKE bewundert, seit ich ein kleines Kind bin“. Bei früheren Anlässen hatte er das Verhalten der KKE bei Demonstrationen als „vorbildlich“ bezeichnet. In diesem Fall ordnete Chrysochoidis nach Gesprächen mit der Parlamentsfraktion der KKE an, die während der Demonstration verhafteten fünf Mitglieder freizulassen.

Auch wenn letzte Woche die KKE das Ziel der zunehmenden staatlichen Unterdrückung war, richten sich die neuen autoritären Maßnahmen letzten Endes gegen griechische Arbeiter und Jugendliche, die keine Freunde und Verbündete innerhalb der Regierung und des Staatsapparats haben.

Die Aktivistengruppe Menoume Energoi (Wir bleiben aktiv), die zu Beginn der Pandemie gegründet wurde, erklärte auf ihrer Facebook-Seite, sie habe seit dem 17. November Dutzende Berichte von Menschen aus ganz Griechenland erhalten, die von der Polizei zu 300 Euro Geldstrafe verurteilt wurden. In dem Post hieß es: „In vielen Fällen wurden die Geldstrafen willkürlich verhängt, die Personen waren lediglich in der Nähe von organisierten Versammlungen. Ein Freund unserer Seite aus Rhodos wurde zusammen mit seiner Freundin zu 300 Euro Geldstrafe verurteilt, obwohl in der Stadt keine Demonstration stattfand. Als sie sich beschwerten, hieß es, sie hätten sich in einer Sperrzone befunden.“

Eine andere Gruppe von 50 Demonstranten wurde in der Innenstadt von Athen verhaftet, ohne Rücksicht auf soziale Distanzierungsmaßnahmen lange Zeit festgehalten und schließlich im zentralen Polizeipräsidium in Gewahrsam genommen.

Eine 17-Jährige aus Saranta Ekklisies, einem Stadtteil von Thessaloniki, wurde am 17. November nach einem Spaziergang mit einer Freundin von Polizisten in Zivil verhaftet. Laut dem Magazin Parallaxi mit Sitz in Thessaloniki leben in Saranta Ekklisies viele Studenten. Deshalb entstand hier „der Eindruck einer uneinnehmbaren Festung, die von Dutzenden Polizisten und Mannschaftstransportern der Bereitschaftspolizei in den Seiten- und Hauptstraßen bewacht wurde“. Laut dem Bericht wurde das Mädchen in der Haft „einer Leibesvisitation unterzogen und musste sehr lange Zeit mit einem BH bekleidet stehen bleiben, ohne auch nur zu erfahren, wo sie sich befindet und was sie getan haben soll“.

In einem anderen Fall war eine ganze Familie aus dem Arbeiterviertel Sepolia, sechs Kilometer nordwestlich des Stadtzentrums von Athen, betroffen. Laut den Berichten gingen Angehörige der berüchtigten Motorradpolizei-Einheit DIAS grundlos auf Menschen los, die an einem friedlichen Gedenkmarsch für den Aufstand von 1973 teilnahmen.

Der Marsch begann am Athener Bahnhof Larissa und endete an der U-Bahnstation Sepolia. Menoume Energoi veröffentlichte auf ihrer Gruppenseite ein Video, das einen dieser Angriffe dokumentiert. Dabei wurde ein Mann namens Orestis Katis von einer DIAS-Einheit direkt vor seinem Wohnblock verhaftet, nachdem er mit seinen Verwandten an der Demonstration teilgenommen hatte. In dem Video ist zu sehen, wie die Polizei ihm Handschellen anlegt und ihn zusammenschlägt. ­Seine Eltern und Schwester, sowie weitere Personen, eilen ihm zu Hilfe und werden ebenfalls geschlagen. Katis’ Mutter wurde Berichten zufolge verletzt und musste ins Krankenhaus.

Katis’ Schwester, Vater und zwei Freunde der Familie gingen später zur Polizeiwache im Bezirk Kolonos. Man hatte ihnen mitgeteilt, dass Katis dort in Haft genommen worden sei, obwohl er ins zentrale Polizeipräsidium verlegt worden war. Nach einem Streit mit der Polizei vor dem Gebäude wurden alle verhaftet, der Vater erlitt einen Herzinfarkt und wurde in Handschellen und mit Polizeibegleitung ins Krankenhaus gebracht. Menoume Energoi postete ein Video des Vorfalls auf ihrer Seite.

Die herrschende Elite betrachtet jede Veranstaltung mit Besorgnis, die zu einer Anlaufstelle für wütende Arbeiter und Jugendliche werden könnte. Chysochoidis machte deutlich, dass dieses Jahr keine Proteste erlaubt werden. Das sagte er mit Blick auf den baldigen Jahrestag der Ermordung von Alexandros Grigoropoulos. Der Polizeimord an dem Jugendlichen hatte am 6. Dezember 2008 fast einen Monat andauernde Unruhen ausgelöst.

Die Eskalation der staatlichen Unterdrückung muss im Kontext der zunehmenden Militanz der Arbeiterklasse und der Jugend angesichts der kriminellen Reaktion der Regierung auf die Corona-Pandemie gesehen werden. Erst vor zwei Monaten erschütterte eine landesweite Welle von Schulbesetzungen das Land. Die Schüler wehrten sich gegen die leichtsinnige Öffnung der Schulen trotz des Anstiegs der Infektionen. Ende Oktober kündigte Arbeitsminister Ioannis Vroutsis den Entwurf eines neuen Arbeitsgesetzes auf der Grundlage eines „flexiblen Achtstundentags“ an. Das Gesetz soll es den Arbeitgebern ermöglichen, die tägliche Arbeitszeit von acht auf zehn Stunden zu erhöhen, ohne zusätzliche Überstunden bezahlen zu müssen. Daneben sieht es weitere Einschränkungen des Streikrechts vor, u.a. die Pflicht zur Einführung einer elektronischen Abstimmung durch Organisationen, die zu einem Streik aufrufen.

Angesichts der wachsenden Wut über die katastrophale Corona-Politik der Regierung in einem Land, das aufgrund der Zerstörung seines Gesundheits- und Sozialsystems die Pandemie nicht bewältigen kann, hat die Gewerkschaft ADEDY für den heutigen Donnerstag einen Generalstreik im öffentlichen Dienst angesetzt. Zu den Forderungen gehören Schutzmaßnahmen für Beschäftigte und Masseneinstellungen im Gesundheitswesen. Allerdings sind die griechischen Gewerkschaften, genau wie die Gewerkschaften im Rest der Welt, für die schrecklichen Zustände verantwortlich, mit denen ihre Mitglieder konfrontiert sind. Sie haben mit Regierungen jeder Couleur zusammengearbeitet, um Arbeiter zur Rückkehr an unsichere Arbeitsplätze zu zwingen und Schulen und Universitäten offen zu halten. So wurden Betriebe und Bildungseinrichtungen zu zentralen Orten der Virusübertragung.

Loading