Corona-Infektionen in Kitas und Schulen werden systematisch vertuscht

Obwohl das Infektionsgeschehen weiter voranschreitet und sich täglich tausende Menschen mit Covid-19 infizieren und hunderte sterben, haben Bundes- und Länderregierungen am vergangen Montag dringend notwendige Eindämmungsmaßnahmen verweigert und sich darauf geeinigt, an Schulen, Kitas und Arbeitsplätzen mit dem gefährlichen Regelbetrieb fortzufahren.

Dabei sind die Zahlen eindeutig. In der letzten Woche ist die Gesamtzahl der positiven Tests gegenüber der Vorwoche zwar leicht gesunken, doch stieg das Verhältnis zur Zahl aller Tests auf ein Allzeithoch von neun Prozent. Durch die neuen Testkriterien des Robert-Koch-Instituts (RKI) wurde lediglich die Anzahl der Tests reduziert. Der Trend dürfte sich auch in dieser Woche fortsetzen. Am Mittwoch war die Zahl mit über 20.000 neuen Fällen schon wieder über dem Vorwochenwert.

Insbesondere Schulen und Kindertageseinrichtungen sind zu Hotspots der Pandemieentwicklung geworden. Laut RKI sind mittlerweile über 24.000 Kinder bzw. Jugendliche infiziert worden und ebenso über 11.000 Angestellte in Schulen, Kitas oder Heimen. Jeweils Hunderte müssen stationär behandelt werden. Schätzungsweise 200.000 bis 300.000 Kinder befinden sich in Quarantäne.

Die Infektionszahlen dürften nicht nur wegen der gesunkenen Testzahlen deutlich zu niedrig angegeben sein. Entgegen aller Beteuerungen herrscht statt Einheitlichkeit und Transparenz in den örtlichen Behörden, insbesondere den Gesundheitsämtern, weitgehende Willkür im Umgang mit Infektionen.

In Hessen etwa verstoßen Politik und Gesundheitsämter ganz offen gegen wissenschaftliche Empfehlungen und schicken nur positiv getestete Schüler in Quarantäne, nicht aber all die Lehrer und Schüler, die mit den infizierten auf engstem Raum über Stunden zusammengedrängt waren. Aus vielen anderen Bundesländern findet man in den sozialen Medien ähnliche Berichte von Betroffenen.

Eine Lehrerin aus Berlin schreibt nach einem positiven Test einer Kollegin wütend auf Twitter: „Wir sollen so tun, als sei nichts passiert: keine Quarantäne, keine Tests, weder für Lehrer*innen noch für Schüler*innen. Gibt ja Masken und Fenster. Die Maskenpflicht in der Schule dient so als Vorwand, nicht zu testen und nicht in Quarantäne zu schicken. So drückt man die Zahl der erfassten Schulausbrüche erheblich. Die Dunkelziffer muss gewaltig sein.“

„Im Lehrerzimmer herrscht Angst“, fährt die besorgte Lehrerin fort. „Dieses Bildungssystem, nein: dieses ganze Land fühlt sich nur noch falsch an. Und das liegt nicht an dem Virus, sondern an der menschenverachtenden Reaktion darauf. Die Situation an Schulen und Kitas ist ja nur ein Teil des Problems. Ich möchte mir nicht einmal vorstellen, wie es in den Kliniken aussieht.“

Regelmäßig wird auch gar nicht oder nur verzögert über positive Tests informiert. Kollegen, Kinder und Eltern werden so im Dunkeln gehalten und einer massiven Gefahr ausgesetzt. Zwei Erzieherinnen aus Sachsen berichteten der World Socialist Web Site direkt über ihre Erfahrungen.

Michaela arbeitet in einem Dresdener Kindergarten. Ende letzter Woche wurde bekannt, dass ein Mitglied ihres Kita-Teams positiv getestet wurde. Angesichts über 100 Neuinfektionen täglich und über 100 betroffenen Schulen oder Kitas allein in Dresden war dieser Moment abzusehen. Träger- und Einrichtungsleitung waren jedoch nicht vorbereitet.

„Anstatt selber präventiv zu agieren, wurde ausschließlich auf die Anweisung des Gesundheitsamts gewartet, die viel zu lange auf sich warten ließ,“ berichtet Michaela. „Ich habe mich selber freiwillig noch am Wochenende testen lassen, um Gewissheit für mich und meine Nächsten zu haben. Auch als Erzieherin muss ich so einen Test in Sachsen komplett alleine zahlen.“

Zudem wurden dann entgegen der Richtlinien des RKI auch noch die Kinder, die unmittelbaren Kontakt zur Infizierten hatten, aufgrund Personalmangels mit anderen Kindern zusammen betreut. Es wurde dann fast zwei ganze Tage lang ein notdürftiger Regelbetrieb weitergeführt, bis endlich die Anweisung vom Gesundheitsamt kam und alle Mitarbeiter der Einrichtung in Quarantäne geschickt wurden.

„Die verantwortungslose Linie setzte sich bei uns von der Regierung über die Gesundheitsämter bis hin zum Träger fort“, resümiert Michaela. „Bei uns wurde, soweit ich weiß, niemand aufgefordert, sich zu testen, weder Kollegen noch Kinder. Angesichts von Geschwisterkindern, die in die benachbarten Schulen gehen, und Kollegen mit Schulkindern ist das einfach fahrlässig. Die Nachvollziehung von Infektionsketten ist offensichtlich nicht gewollt.“

Evelyn arbeitet nur eine halbe Autostunde von Michaela entfernt in einem Hort im Landkreis sächsische Schweiz. Anfang November habe es in der Kita, die im selben Haus wie Evelyns Hort liegt, einen Corona-Fall gegeben. Auch dort wurden keine Maßnahmen ergriffen oder Anweisungen gegeben. Sie selbst und die Kollegin im Kindergarten mussten am darauffolgenden Montag zum Frühdienst antreten und wussten nur durch die Online-Meldung der Gemeinde überhaupt über den Fall Bescheid. Beide sollten den normalen Regelbetrieb fortführen.

„Da braucht man sich nicht zu wundern, warum die Zahlen so explodieren,“ kommentierte sie gegenüber der WSWS. Mittlerweile ist ihr eigenes Kind in Quarantäne, und sie sollte laut ihrem Arbeitgeber ebenfalls in freiwillige Quarantäne gehen. Auch bei ihr wurde in keinem der Fälle jemand im Umfeld getestet.

Ein Blick auf die jüngsten Zahlen des RKI offenbart das ganze Ausmaß der Durchseuchung, insbesondere an den Schulen und Kitas. Der 7-Tage-Inzidenzwert je 100.000 Einwohner hat sich seit Ende der Sommerferien bis jetzt verzehnfacht, und das unabhängig von der Altersgruppe.

Der Wert bei unter 4-Jährigen ist über 60, bei 5- bis 9-Jährigen auf 93, bei 10- bis 14-Jährigen auf 140 und bei 15- bis 19-Jährigen über 214 gestiegen. Noch höher ist mit 243 einzig der Inzidenzwert bei den 20- bis 24-Jährigen, worunter sich ebenfalls viele Berufsschüler, Studenten und natürlich junge Eltern befinden.

In einzelnen Regionen ist die Situation sogar noch dramatischer. Trauriger Spitzenreiter ist das rot-rot-grün regierte Berlin. Dort liegt die Inzidenz in der Altersgruppe 10 bis 14 sogar bei 238 und in der Gruppe 15 bis 19 bei 368. Das sind 100 Punkte über dem Durchschnitt.

Das RKI fordert in seinen Empfehlungen für „Präventionsmaßnahmen in Schulen während der Covid-19-Pandemie“ vom 12. September bereits beim Überschreiten eines Inzidenzwerts von 50 (!), die Verkleinerung der Klassen bzw. die teilweise Schließung von Schulen und die Einführung von Distanzunterricht zu prüfen. Eine höhere Inzidenzstufe gibt es in dem Papier überhaupt nicht.

Trotzdem beharrt Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), wie ihre Kollegen in den anderen Bundesländern, auf vorwiegendem Regelbetrieb an den Schulen. Erst letzte Woche behauptete sie im Bildungsausschuss vollkommen faktenwidrig, dass „Schulen und Kitas die sichersten Orte sind, um Infektionsketten zu durchbrechen“.

In Nordrheinwestfalen fordert das Ministerium Schulleiter sogar offen zu Schönfärberei und Selbstzensur auf. Das Bildungsmagazin News4Teachers zitiert aus einem Schreiben der Pressestelle der Bezirksregierung Münster an alle Schulleiter. Darin wird diesen eingebläut, dass Eltern, Kinder, Medien, Politiker und Kollegen „nicht hören wollen, dass Sie Zweifel haben – sondern, dass Ihre Schule ein sicherer Ort ist! Entsprechend sollten Sie diese Botschaft verstärken.“ Es folgte eine Vielzahl von Textbausteinen, mit denen die Regierungslinie von den „sicheren Schulen“ propagandiert werden soll.

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