Gestützt auf IG Metall und Betriebsrat legt Mercedes Traditionswerk in Berlin still

Der Daimler-Konzern will die Produktion des V6-Dieselmotors in seinem ältesten Werk in Berlin Marienfelde aufgeben. 80 Prozent der 2500 Arbeitsplätze sollen vernichtet werden – der Beginn vom Ende des Standortes.

Die Unternehmensleitung stützt sich dabei auf die sehr enge Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und der IG Metall. Seit Jahr und Tag gibt es im Werk Marienfelde und auch an allen anderen Mercedes-Standorten kein Unternehmensentscheidung mit Auswirkungen auf die Beschäftigten, die nicht vorher mit dem Betriebsrat diskutiert wird, der dann die Strategien für ihre Durchführung erarbeitet.

Teil dieses abgekarteten Spiels sind gewerkschaftliche Pseudo-Proteste am Werkstor mit IG Metall-Fahnen und Trillerpfeifen. Am vergangenen Donnerstag war es wieder so weit. Die IG Metall rückte an, verteilte Fahnen, Pfeifen und IGM-Kappen an ihre Vertrauensleute. Die Medien waren informiert, und der Erste Bevollmächtige der IG Metall Berlin, Jan Otto, appellierte an die Verantwortung der Unternehmensleitung. Arbeiter des Schichtwechsels wurden für einen IGM-Medientermin missbraucht.

Ziel der Kundgebung war es, eine Nebelkerze zu zünden, um von der eigenen Rolle bei der Schließung des Motorenwerks abzulenken. Während in der Belegschaft die Sorgen und die Wut über die Stilllegungspläne wachsen und sich in allen Autowerken von Daimler und anderen Herstellern eine hohe Bereitschaft zeigt, gegen historisch beispiellose Sparmaßnahmen zu kämpfen, weigert sich die IG Metall auch nur die geringsten, ernsthaften, gemeinsamen Kampfmaßnahmen zu organisieren. Ganz im Gegenteil nutzt sie die Stilllegungsdrohung, um die Beschäftigten zu erpressen und Lohnsenkung und Sozialabbau durchzusetzen.

Wie weit die Gewerkschaften dabei gehen, zeigte sich vergangene Woche bei der Lufthansa. Freiwillig, gewissermaßen in vorausseilendem Gehorsam, bieten die drei dort zuständigen Gewerkschaften dem Lufthansa-Vorstand einen Einkommensverzicht von 1,2 Milliarden Euro und den Abbau jedes fünften Arbeitsplatzes an. Dies beinhaltet Gehaltsreduzierungen von bis zu 50 Prozent.

Einen Tag vor ihrer Kundgebung hatte die IG Metall die Meldung in die Presse lanciert, der Werksleiter des Motorenwerks, René Reif, würde das Unternehmen verlassen und zum Konkurrenzunternehmen Tesla wechseln. Auf der Kundgebung brandmarkten dann die IG Metallfunktionäre und der Betriebsratsvorsitzende lauthals diesen „Verrat“ des Managers.

Jan Otto, der vor zwei Monaten den hoch dotierten Posten des Ersten Bevollmächtigen der IG Metall in Berlin übernommen hat, überschlug sich regelrecht in seinen Attacken auf den „seelenlosen Manager“, der die Seiten gewechselt habe und sich einem nicht-deutschen Unternehmen andiene. Das reaktionäre, nationalistische Geschwätz von Otto ist aus seiner Görlitzer-Zeit gut bekannt, als er mehr Regierungsunterstützung gegen die ausländische Konkurrenz forderte und die AfD auf einer IGM-Demonstration mitmarschieren ließ.

Über die angekündigten Massenentlassungen in den anderen Mercedes-Werken und die milliardenschweren Sparmaßnahmen, die der Daimler-Konzern in den letzten Monaten und Jahren bereits im engen Schulterschluss mit der IG Metall den Belegschaften aufgebürdet hat, verlor Otto keine Silbe.

Mit keinem Wort ging er auf die Tatsache ein, dass der Konzern, wie die gesamte Autoindustrie, die Corona-Pandemie nutzt, um einen seit langem geplanten Kahlschlag zügig umzusetzen. Auch dass trotz rapide steigender Corona-Zahlen nach wie vor zehntausende Daimler-Arbeiter in die Fabriken gezwungen werden und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen, interessiert ihn nicht. Auch kein Wort über die vielen anderen Daimler-Standorte in Deutschland, Europa und weltweit, die geschlossen oder drastisch reduziert werden sollen.

Seine ganze Empörung erschöpfte sich in der Anklage gegen den „schamlosen“ Betriebsleiter, der den Betriebsrat und die IG Metall im Stich gelassen habe. Außerdem verlangte er vom Konzernchef Ola Källenius eine schnellere Transformation vom Verbrennungs- zum Elektromotor, die IG Metall stehe dafür bereit.

Jan Otto appellierte im vertrauten Du eines Kumpels an den Daimler-Chef: „Ola Källenius, du machst einen Fehler, du machst Unsinn, aber du hast Glück. Wir sind da, wir bewahren dich von dem größten Fehler deiner – hoffentlich nicht ganz kurzen – Karriere.“

Der Betriebsratsvorsitzende Michael Rahmel blies ins selbe Horn – nicht weniger lautstark, aber noch theatralischer bekannte er offen, wie eng, vertraulich und übereinstimmend sie mit dem Betriebsleiter René Reif zusammengearbeitet hatten. Jetzt stünden sie mit leeren Händen vor der Belegschaft und seien geliefert. Die zur Schau gestellten Empörung hängt damit zusammen, dass die Rolle des Betriebsrats als Handlanger der Konzernleitung immer offensichtlicher wird und der Widerstand dagegen von Tag zu Tag zunimmt.

Die Stilllegung des Berliner Werks ist eine Zäsur. Es handelt sich um das älteste noch produzierende Mercedes-Werk der Welt. Es besteht seit 118 Jahren. 1902 übernahm die Daimler-Motoren-Gesellschaft eine marode Motorenfabrik und baute sie aus. Im selben Jahr ließ sich Daimler „Mercedes“ als Markennamen schützen.

Zunächst produzierte Daimler in Marienfelde Fahrzeuge und Schiffsmotoren. 1916/17 wurde die Produktion auf Rüstung umgestellt und der erste deutsche Panzer „A7V“ entwickelt und gefertigt. 1926 erfolgte die Fusion mit Benz & Cie. zur Daimler-Benz AG. Auf rund 38.000 Quadratmetern entstand danach ein riesiges Motorenwerk.

Seit Jahren behauptet die IG Metall, aufgrund dieser Tradition könne sich die Konzernleitung eine Stilllegung des Berliner Werks nicht leisten. Immer wieder haben die Betriebsräte die Belegschaft belogen und den schrittweisen Arbeitsplatzabbau als unvermeidlich für die Standortsicherung bezeichnet. Diese Lügen sind nun völlig entlarvt.

Es ist bekannt, dass Betriebsratschef Michael Rahmel fester Bestandteil der Konzernleitungsebene ist. Er sitzt im erlesenen Kreis des Aufsichtsrats der Mercedes-Benz AG. Für seine dortige Tätigkeit bekommt er außer den stattlichen Vergütungen und Zulagen auch alle relevanten Informationen. Zusammen mit den anderen Betriebsratsfürsten von Daimler/Mercedes sitzt er regelmäßig mit dem Vorstand in der Schaltzentrale des Weltkonzerns, der über 300.000 Mitarbeiter herrscht.

Die Liste der gekauften Gewerkschaftsbürokraten ist lang. Ganz oben thront Michael Brecht, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Daimler AG. Er ist im Gesamtkonzern stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats, des Vermittlungsausschusses, des Präsidialausschusses und des Prüfungsausschusses. Dafür bezieht er Vergütungen von fast 500.000 Euro im Jahr, plus unzählige Zulagen. Sein eigentliches Gehalt ist da noch gar nicht mitgerechnet; für den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Daimler AG dürfte es in der Höhe eines oberen Daimler-Managers liegen.

Die Gewerkschaftsbürokraten sind nicht nur durch die Mitbestimmung eingebettet und bestens informiert, sie liefern den Konzernen auch ausgefeilte Konzepte und Strategien. Ohne diese, für die Arbeiter meist unsichtbare Schützenhilfe wären die Unternehmen nahezu aufgeschmissen. Sie würden beim Arbeitsplatz- und Sozialabbau direkt auf den Widerstand der Arbeiter stoßen. Bei der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung werden diese Konzepte ausgearbeitet. Sie ist eine große Unternehmensberaterfirma der besonderen Art.

Doch es geht noch weiter. Die IG Metall hat im Sommer eine eigene Fondsgesellschaft mit dem Namen „Best Owner Group“ (BOG), gegründet. Die BOG soll Zulieferfirmen, denen die Insolvenz droht, ganz oder teilweise aufkaufen. Auf diese Weise sollen einerseits die Lieferketten der Autokonzerne gesichert, andererseits „Überkapazitäten“ abgebaut oder Betriebe ganz stillgelegt werden.

Die WSWS schrieb dazu folgendes: „Bisher hatten die IG Metall und ihre Betriebsräte als Co-Manager Sanierungs- und Entlassungspläne mit ausgearbeitet und in den Betrieben gegen die Belegschaften durchgesetzt. Nun gehen sie noch einen Schritt weiter und schlachten die Betriebe als Fonds-Manager selber aus. Das Manager Magazin hat deshalb seinen Bericht über den neuen Fonds spöttisch mit ‚Die guten Geier der IG Metall‘ überschrieben.“

Als im Sommer bekannt wurde, dass Konzernchef Ola Källenius 30.000 Jobs abbauen und sechs Standorte ganz schließen möchte, titelte das Manager Magazin: „Daimler-Boss startet härtesten Kahlschlag in der Geschichte.“ Neben dem Smart-Werk im französischen Hambach sollen die Pkw-Produktion im brasilianischen Iracemápolis, das neue Motorenwerk im polnischen Jawor wie auch das Werk im mexikanischen Aguascalientes geschlossen werden. Außer dem Werk in Berlin-Marienfelde sind auch das Komponenten-Werk in Hamburg sowie das Werk in Ludwigsfelde mit seiner Sprinter-Produktion bedroht.

Die Corona-Krise und die technischen Veränderungen in der Automobilindustrie werden von Investoren und Aktionären genutzt, um in der Autoindustrie tabula rasa zu machen. Das heißt: Die Pandemie dient als Vorwand, um viele tausend Arbeiter zu entlassen, in der Vergangenheit erkämpfte soziale Errungenschaften zu zerstören und in den Fabriken sklavenähnliche Bedingungen einzuführen.

Die Gewerkschaften, die das kapitalistische Profitsystem verteidigen und eng mit dem Nationalstaat verbunden sind, werden immer gegen die Interessen der Arbeiter vorgehen. Es ist höchste Zeit, dass die Daimler-Arbeiter der Verschwörung aus Vorstand und Betriebsrat entgegentreten.

Das Recht auf Arbeit und Lohn steht höher als die obszöne Bereicherung der Großaktionäre und ihrer Handlanger. Die Betriebsräte müssen gezwungen werden, alle Einzelheiten der geheimen Verhandlungen mit der Unternehmensleitung offenzulegen.

Die Autoarbeiter stehen vor der Aufgabe, mit den Gewerkschaften und ihren gekauften Betriebsräten zu brechen, unabhängige Aktionskomitees zu bilden, sich international zusammenzuschließen und für ein sozialistisches Programm zu kämpfen. Wir rufen alle Leser und speziell die Daimlerarbeiter auf, mit der WSWS Kontakt aufzunehmen, um über diese Fragen zu diskutieren und einen gemeinsamen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu organisieren.

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