Am Dienstag beteiligten sich Zehntausende Lehrer in ganz Frankreich an einem eintägigen Streik gegen die verbrecherische und rücksichtslose Durchseuchungspolitik der Macron-Regierung an den Schulen.
Laut den Gewerkschaften lag die Beteiligung bei 20 Prozent (unter Grundschullehrern) bis 45 Prozent (unter Mittelschullehrern). Die Zahlen der Regierung, die die tatsächliche Beteiligung an Streiks allgemein zu niedrig wiedergeben, lagen bei 8,8 bzw. 10,4 Prozent der Grund- und Mittelschullehrer.
Bereits vor dem eintägigen Streik hatten seit dem Ende der Herbstferien am letzten Montag immer wieder Lehrer die Arbeit niedergelegt. An Dutzenden Schulen beschlossen die Lehrer bei Treffen vor dem Unterrichtsbeginn, angesichts eines massiven Wiederauflebens der Pandemie ihre Klassenzimmer nicht mehr zu betreten, solange nicht zumindest die grundlegendsten sozialen Distanzierungsmaßnahmen in Kraft sind, um die Ausbreitung des Virus unter Schülern, Lehrern und Familien zu verhindern.
Außerdem protestierten am Dienstag die Schüler an mindestens zehn Oberschulen im Großraum Paris. Sie blockierten die Eingänge der Schulen und forderten ihre Schließung. Genau wie letzte Woche wurden die Proteste von der Polizei nach kurzer Zeit mit Tränengas und Angriffen mit Schutzschilden unterdrückt. Die Polizei riegelte mehrere Schulen ab und forderte von allen Schülern Ausweise, bevor sie die Schüler einließ.
Die Politik der Macron-Regierung hat dazu geführt, dass die Pandemie außer Kontrolle geraten ist. Am Dienstag starben erneut 472 Menschen. Am Montag waren es 551, was den höchsten täglichen Anstieg im Herbst bedeutet und nur knapp unter dem Höchstwert von 613 Toten am 6. April lag. Die Zahl der belegten Intensivpflegebetten stieg innerhalb der letzten 24 Stunden um 472 auf 4.736. Insgesamt wurden 3.168 Menschen in Krankenhäuser eingewiesen. Der gleitende Sieben-Tages-Durchschnitt bei neuen Covid-Fällen in Frankreich liegt bei deutlich über 40.000, was auf einer Pro-Kopf-Basis mehr als 200.000 neuen Fällen pro Tag in den USA entspricht.
Lehrer, die sich an dem Streik beteiligten, beschrieben im Gespräch mit der World Socialist Web Site die katastrophalen Bedingungen in den Schulen. Lehrer erfahren nicht, wenn ein Schüler wegen einer Corona-Erkrankung fehlt. Das bedeutet, es ist nicht möglich festzustellen, ob sich ein Cluster entwickelt, und darauf zu reagieren. In Klassenzimmern sitzen weiterhin zwischen 25 und 35 Schüler. In den Kantinen tummeln sich immer noch Hunderte Schüler auf einmal. Die Schulflure, öffentlichen Verkehrsmittel und Schulhöfe sind brechend voll, und es gibt es keine sozialen Distanzierungsmaßnahmen.
Kelly, Hauswirtschaftslehrerin an einer Mittelschule in der Region Bouches-du-Rhône, an der mehr als 80 Prozent der Lehrer an dem Streik teilnahmen, erklärte gegenüber der WSWS: „Letzte Woche hatten wir eine Schülerin, die am Montag gekommen ist und gesagt hat, sie habe mit einem positiv Getesteten Kontakt gehabt, warte aber noch auf das Ergebnis. Am Dienstag fehlte sie, weil sie positiv war. Aber die Schulleitung hat uns nichts davon gesagt. Wir erfahren nicht, ob Schüler oder sogar Kollegen das Virus haben. Wir erfahren es nur, wenn wir mit Lehrern und Eltern reden.“
Sie erklärte, an ihrer Schule seien üblicherweise 30 Schüler in einer Klasse: „Mein Sohn ist in der Mittelschule, er fährt dort mit einem Bus hin, der so überfüllt ist, dass er keinen Sitzplatz bekommt. Ich persönlich bin sehr wütend über die Lügen unseres Ministers. Er hat seit dem ersten Lockdown behauptet, alles sei bereit, organisiert und unter Kontrolle. Tatsächlich sind wir auf uns allein gestellt.“ Sie fügte hinzu, ihrer Meinung nach wolle die Regierung das Virus bewusst über die jungen Menschen in der Bevölkerung verbreiten: „Dabei ist es egal, dass es auch unter Kindern schwere Fälle gibt, und ganz besonders sind wir und unsere Familien ihnen egal.“
Sie wies darauf hin, dass man in ihrer Familie (zu der auch Restaurantpersonal gehört) „nicht versteht, warum 20 Kunden [im Restaurant] verboten sind, nicht aber 400 Schüler in einer Kantine“. Die Öffnung der Schulen zielt darauf ab, Eltern das Arbeiten zu ermöglichen: „Wir werden geopfert, um die Profite der Großkonzerne zu schützen.“
Laure, die seit 14 Jahren an einer Mittelschule in der Region Rhône Alpes unterrichtet, erzählte der WSWS, dass es in ihrer Schule „in den Lehrerzimmer kein Desinfektionsmittel gibt. Die Klassengrößen wurden trotz der äußerst kleinen Zimmer in dem alten Gebäude nicht verringert. Wir erfahren offiziell nicht, welche Schüler positiv sind, damit wir uns ,keine Sorgen machen‘. Wir erfahren das nur durch andere Schüler. Ich weiß, dass meine Schule das Maximum leistet, aber das bedeutet gar nichts, wenn man nicht die Mittel hat.“
Neben den Berichten von Lehrern, sie hätten keine Möglichkeit, die Zahl der Fälle festzustellen, mehren sich auch die Beweise dafür, dass die Zahl der Covid-19-Infektionen unter Schülern bewusst vertuscht wird. Laut den Zahlen der Regierung wurden letzte Woche 3.528 Schüler positiv getestet, doch die Statistiken des Gesundheitsministeriums zeigen, dass allein in den ersten drei Tagen der Woche mehr als 25.000 Menschen unter 19 Jahren positiv getestet wurden. Die Regierung hat gar nicht erst versucht, die offensichtlich widersprüchlichen Zahlen in Einklang zu bringen.
Der Streik und die Proteste von Lehrern und Eltern zeigen, dass der Widerstand gegen die Politik der Macron-Regierung enorm zunimmt. Die Schulen werden nicht aus Sorge um das Wohlergehen der Schüler offengehalten, sondern damit ihre Eltern zur Arbeit geschickt werden und für die Konzerne noch mehr Profite erwirtschaften können. Deshalb droht allein in Frankreich in den kommenden Monaten Zehntausenden Menschen der Tod.
Die dringlichste Aufgabe ist der Aufbau einer vereinten politischen Bewegung der Arbeiterklasse, die die Schließung aller Schulen und nicht systemrelevanten Arbeitsstätten fordert, damit die Arbeiter zu Hause bleiben können, um die Ausbreitung des Virus aufzuhalten und Menschenleben zu retten.
Die Gewerkschaften hatten zu dem Streik am Dienstag nicht aufgerufen, weil sie einen solchen Kampf führen wollen. Tatsächlich sollte der Streik die Bewegung der Lehrer demobilisieren, die bereits letzte Woche aktiv geworden sind.
Die Gewerkschaften bezeichneten die eintägige Aktion als „Warnstreik“ gegen die Regierung. In ihrer Erklärung zu dem Streik hieß es, die Priorität müsse sein, dass die Schulen geöffnet bleiben. Sie stellten nur vage Forderungen nach einem „Notfallplan“ für die Einstellung von Lehrern im großen Stil. Dass die Mehrheit der Lehrer nicht an dem Streik teilgenommen hat, liegt daran, dass sie ihn nur als eine weitere der zahlreichen eintägigen Aktionen der Gewerkschaften betrachteten, deren einziger Zweck darin besteht, dass die Arbeiter Dampf ablassen, ohne einen echten Kampf zu organisieren.
Die Parti de l'égalité socialiste veröffentlichte eine Erklärung zu dem Streik, in der sie Lehrer, Schüler und Eltern aufrief, unabhängig von den Gewerkschaften ihre eigenen Sicherheitskomitees in allen Schulen zu gründen. Die Gewerkschaften sind auf der Seite der Konzerne und der Regierung. Diese Komitees sollen die Möglichkeit geben, die unabhängige Stärke der Lehrer und Schüler zu mobilisieren, u.a. für einen Streik für die sofortige Schließung aller Schulen.