Igor Levit tritt auf Anti-AfD-Kundgebung in Potsdam auf

Wenige Tage nachdem in mehreren Zeitungen Hetzartikel gegen Igor Levit erschienen waren, trat der weltbekannte Pianist auf einer Kundgebung gegen die AfD in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam auf.

Am Wochenanfang stand er im Mittelpunkt einer Protestaktion unter dem Motto „Flügel statt Flügel“, die sich gegen die Neubesetzung der AfD-Landtagsfraktionsspitze durch einen Vertreter des offen rechtsradikalen und faschistischen „Flügels“ der Nazi-Partei richtete. An einem großen Konzertflügel auf einer improvisierten Bühne vor dem Landtag begeisterte Levit die versammelten AfD-Gegner.

Levit machte damit deutlich, dass er sich von der Hetze und den antisemitischen Attacken der vergangenen Wochen nicht einschüchtern lässt. In der Süddeutschen Zeitung hatte ihn der Feuilleton-Autor Helmut Mauró angegriffen und behauptet, nicht sein musikalisches Können, sondern seine politischen Twitter-Attacken gegen rechts seien die Grundlage seiner Bekanntheit und seines Erfolges. Gespickt mit antisemitischen Andeutungen warf Mauró Levit „die vehemente Ausgrenzung vermeintlicher und tatsächlich Andersdenkender“ vor.

Schon als der Artikel vor zwei Wochen erschien, erhob sich ein Sturm des Protests, und die SZ-Redaktion sah sich zu einer Entschuldigung gezwungen. Levit wurde mit Unterstützungsbotschaften überhäuft. Die Zahl der Follower auf seinem Twitter-Account sprang in die Höhe. In vielen Mails wurde er gebeten, nicht nachzugeben und sich von der rechten Hetze nicht einschüchtern zu lassen.

Am Dienstag in Potsdam bedankte er sich für die Unterstützung. Das Motto „Flügel statt Flügel“ spielt sprachlich mit dem rechtsradikalen, offen faschistischen „Flügel“, einer Gruppierung innerhalb der AfD, die mittlerweile offiziell aufgelöst wurde, aber nach wir vor die Partei dominiert. Der bisherige brandenburgische Fraktionsvorsitzende Andreas Kalbitz zählte zu den Führern des Flügels. Als sein Nachfolger wurde am Dienstag Hans-Christoph Berndt gewählt, der nicht weniger weit rechts steht als sein Vorgänger.

„Bei dieser Wahl wird ein Rechtsextremist gegen den anderen ausgetauscht“, sagte der Brandenburger Künstler Rainer Opolka zu Beginn der Kundgebung. Opolka trat als Initiator und Organisator der Gegenveranstaltung zur AfD-Wahl auf. Man wolle musikalisch „der Dummheit und dem Hass“ etwas entgegensetzen, rief er den – Corona-bedingt – etwa 250 Kundgebungsteilnehmern zu.

„Wir wollen aufklären über eine Partei, die Ausländer und Migranten ständig verächtlich macht“, sagte Opolka und forderte die Zuhörer auf, „nicht dabei zuzusehen, wie diese Republik nach rechts rückt“. Die AfD mache sich über die Demokratie lustig und zerstöre sie. So etwas habe sich in der deutschen Geschichte schon einmal zugetragen. „Das endete in Auschwitz“, rief Opolka.

Später antwortete er einem Journalisten auf die Frage nach dem Grund für sein politisches Engagement, er habe vor etwa zehn Jahren vor einem Haufen Kinderschuhe im Vernichtungslager Lublin-Majdanek gestanden. Schuhwerk von Kindern, die von den Nazis umgebracht wurden. Diese Bilder hätten sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt.

Ein Kundgebungsteilnehmer trug ein selbst gemaltes Pappschild mit der Aufschrift: „Faschisten im Landtag. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ein Geschichtsbuch oder fragen Sie Ihren Großvater.“

Neben Levit umfasste das Musikprogramm Interpretationen der Konzertpianisten Björn O. Wiede, Andy Schulte und der Pianistin Simone Seyfarth. Auch der Pop-Sänger Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen) beteiligte sich an der Veranstaltung. Er sang „Deutschland peinlich Abendland“ und bekannte singend am Flügel: „Meine Nation sind die Liebenden auf der ganzen Welt – grenzenlos“. Auf der Kappe, die er auf dem Kopf trug, stand: „Paradiesvögel statt Reichsadler.“

Zwischen den Musikstücken traten junge Schauspieler vom Potsdamer Hans-Otto-Theater auf. Eine Schauspielerin zitierte ein Gedicht der Poetin Mascha Kaléko mit den Worten: „Wir wissen nicht, was morgen wird, wir ackern und pflügen das Heute.“

Igor Levit erhält am heutigen Samstag auch den diesjährigen Preis für Verständigung und Toleranz, der vom Jüdischen Museum Berlin (JMB) vergeben wird. In der Presseerklärung des JMB heißt es: „Igor Levit kennt keine Trennung zwischen Ästhetik und Alltag, zwischen Musik und gesellschaftlichem Engagement.“

Er gehöre zu den wichtigsten politischen Stimmen seiner Generation und positioniere sich klar und mutig gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit. „Solidarität zu zeigen ist für Igor Levit, der im Frühjahr dieses Jahres mit seinen über 50 auf Twitter gestreamten ,Hauskonzerten‘ mitten in der Corona-Pandemie ein Zeichen für Zusammenhalt setzte, auch in seinem künstlerischen Wirken essenziell.“

Die Jury aus dem Vorstand der Freunde des Jüdischen Museums Berlin zeichne mit dem Preis nicht nur einen Ausnahmepianisten, „sondern einen Ausnahmemenschen mit einem ebenso unermüdlichen wie zutiefst humanitären Engagement aus“, heißt es in der Begründung der Jury.

Darüber hinaus wächst die Unterstützung für Levit weiter. Sie macht deutlich, wie stark die Opposition gegen die AfD in breiten Bevölkerungsschichten ist. In den Zeitschriften- und Twitterkommentaren hält die Empörung über den antisemitischen Hetzartikel gegen Levit noch immer an, und sein politisches Engagement gegen die rechtsradikale, in vielen Fragen offen faschistische Politik der AfD erhält viel Zuspruch.

„Er soll weitermachen!“, schreibt ein Leser der Süddeutschen Zeitung aus Mainz. Er habe den Artikel von Helmut Mauró zweimal lesen müssen, weil er nicht habe glauben wollen, was da stand, und sei „nur noch wütend“ gewesen. Denn der Text nutze „eine von mir nicht geteilte Musikkritik“ als Deckmantel für einen politischen Angriff. Der Beifall aus der rechten Ecke sei entlarvend. Weshalb die SZ „dem Autor hierfür auch noch ein Forum bietet“, sei rätselhaft. „Ich kann Igor Levit nur ermuntern, sein Engagement außerhalb des Konzertsaales fortzusetzen.“

Ein SZ-Leser aus Hamburg schreibt, man könne zwar über musikalische Interpretationen immer streiten, aber Levit „spöttisch dafür zu tadeln, dass er Tag für Tag die rechten Feinde beschwört“, sei nicht zu akzeptieren. „Dieser Pianist aus russisch-jüdischer Familie, aufgewachsen und ausgebildet in Deutschland, muss nicht nur auf die Bühne der Hamburger Elbphilharmonie von vier Leibwächtern geleitet werden, weil er Todesdrohungen (!) erhalten hat.“ Dass ihn antisemitische Gewalttaten wie die vor einer Hamburger Synagoge nicht schweigen lassen, sei nur zu begrüßen! „So etwas mit ‚Opferanspruchsideologie‘ in Verbindung zu bringen und Levit ‚sein ceterum censeo, die AfD sei eine Nazi-Partei‘, vorzuwerfen, ist haarsträubend.“

Unter der Überschrift „Grauzone für Antisemitismus“ schreibt eine Leserin: „Daniil Trifonov in diesem üblen Spiel so schäbig zu benutzen, das ist widerlich, billig und absolut unprofessionell.“ Die „Äußerungen von Herrn Mauró zur Thematik Antisemitismus“ finde sie „widerlich und erschreckend“.

Aus Köln schreibt eine Leserin, der Artikel über Igor Levit habe sie tief getroffen. „Als Nachkomme von im Dritten Reich Verfolgten fühlt es sich bedrohlich an, wenn in der SZ (!) die öffentliche Positionierung eines Juden derart kritisiert wird.“ Gerade in einer Zeit, „in der Antisemiten im Deutschen Bundestag sitzen und massive neonazistische Umtriebe in den Sicherheitsbehörden festzustellen sind“, sei es „ungeheuerlich“, einen jüdischen Künstler und „Public intellectual dermaßen in den Senkel zu stellen, ja ihm sein Dasein als solcher abzusprechen“.

Igor Levit habe gerade jetzt in der Corona-Pandemie mit öffentlichen Auftritten „einen herausragenden Beitrag zur Wiederbelebung musikalischer Aufführungen“ geleistet und habe nicht zuletzt dafür öffentliche Anerkennung verdient. Der SZ-Schmähartikel disqualifiziere nicht Levit, sondern den Autor, schreiben Leser aus Berlin.

Die anhaltende Unterstützung für Levit macht deutlich, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung nach links, gegen die AfD und ihre rechte Politik richtet, während auf der anderen Seite in den Medien die Rechtspartei hofiert und propagiert wird. Die antisemitische Attacke auf Levit war kein einmaliger Ausraster eines übellaunigen Redakteurs, sondern Teil einer systemischen Kampagne, ernsthafte Künstler politisch einzuschüchtern. Deshalb wird der Artikel nach wie vor in rechten Medien verteidigt.

Die herrschende Klasse fürchtet gesellschaftlich bewusste und politisch engagierte Künstler, die sich für die Hebung des kulturellen Niveaus der Arbeiterklasse einsetzen.

Es zeigt sich, wie korrekt unsere Einschätzung war, als wir vor wenigen Tagen schrieben: „Levit ist nicht nur wegen seiner politischen Haltung zur Zielscheibe der Rechten geworden. Sein Bemühen, die Werke Beethovens und anderer Komponisten breiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen und damit das Interesse an der Kultur insgesamt zu steigern, wird von der herrschenden Klasse nicht nur mit Argwohn, sondern auch als Bedrohung betrachtet.“

Loading