Mordfall Jan Kuciak: Slowakisches Gericht spricht Drahtzieher frei

Ein slowakisches Sondergericht hat die mutmaßlichen Drahtzieher im Mordfall Ján Kuciak am vergangenen Donnerstag freigesprochen.

Das Gericht in Pezinok bei Bratislava begründete den Freispruch des Millionärs Marián Kočner sowie der mitangeklagten Alena Zsuzsová mit Mangel an Beweisen. Es sei nicht nachweisbar, dass die Angeklagten den Mord in Auftrag gegeben hätten, erklärte Richterin Ruzena Sabová bei der Urteilsverkündung, obwohl ein Kronzeuge gegen die beiden ausgesagt hatte und zahlreiche weitere Indizien gegen sie vorlagen.

„Wenn trotz aller Beweise begründete und verständliche Zweifel bestehen bleiben, dann wird ein Angeklagter für unschuldig befunden und so ist das Gericht hier vorgegangen“, begründete Richterin Sabová das Urteil.

Der 27-jährige Journalist Ján Kuciak, der beim Nachrichtenportal Aktuality.sk über Korruption, Steuerhinterziehung und Verbindungen hochrangiger slowakischer Politiker zur italienischen Mafia recherchiert hatte, war im Februar 2018 von einem Auftragskiller kaltblütig erschossen worden. Mit ihm wurde seine Verlobte Martina Kušnírová ermordet, die sich zufällig im Haus befand.

Bereits Ende Dezember 2019 hatte das Gericht den Unternehmer Zoltan Andrusko zu 15 Jahren Haft verurteilt. Andrusko hatte den Auftragsmord gegen Bezahlung vermittelt. Er stellte sich der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung, um eine mildere Strafe zu bekommen. Er belastete Kočner und seine Komplizin Zsuzsová in der Verhandlung massiv. Für sie habe er die Tat organisiert und zwei Männer angeheuert, die sie ausführen sollten.

Am 6. April verurteilte das Gericht dann den ehemaligen Soldaten Miroslav Marček, der die tödlichen Schüsse abgefeuert hatte, zu 23 Jahren und am 3. September seinen Cousin Tomas Szabo, einen ehemaligen Polizisten, der den Todesschützen zu Kuciaks Haus gefahren hatte, zu 25 Jahren Haft. Beide waren geständig und gaben zu, für den Auftragsmord 35.000 bis 40.000 Euro bekommen zu haben.

Lediglich Kočner und Zsuzsová leugneten, den Mord in Auftrag gegeben zu haben, obwohl sie neben der Aussage des Kronzeugen auch Protokolle ihrer Kommunikation über den Messengerdienst Threema schwer belasteten.

Dabei war das Verfahren selbst mehr als merkwürdig. Die Vorsitzende Richterin, die die Schuld der Angeklagten für erwiesen ansah, wurde von ihren beiden Nebenrichtern überstimmt, ein laut slowakischer Presse äußerst ungewöhnlicher Vorgang. Die Vorsitzende Richterin Sabová war demnach die Einzige der drei, welche die 25.000 Seiten umfassenden Akten vollständig studiert hatte. Noch in letzter Minute hatte die Staatsanwaltschaft am Montag außerdem versucht, weitere Beweise geltend zu machen, die aber das Gericht nicht mehr zuließ.

Bereits im Laufe der Ermittlungen hatte sich gezeigt, dass Kočner tief in den Fall verwickelt ist. Der ermordete Journalist hatte zu Verbindungen zwischen der italienischen Mafia und slowakischen Politikern recherchiert und dabei auch die dubiosen Geschäfte von Kočner und seinen zahlreichen Unternehmen im Auge.

Kočner hatte in den 1980er Jahren zunächst Karriere als regierungstreuer Journalist gemacht und hervorragende Kontakte zur stalinistischen Führung der Tschechoslowakei, aber auch zu rechten Dissidenten gepflegt. Mit diesen Beziehungen, seiner Skrupellosigkeit und enormer krimineller Energie wurde er anschließend zu einer der einflussreichsten und reichsten Figuren des Landes.

Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Péter Tóth gestand im Herbst 2018, Kuciak im Auftrag von Kočner beschattet zu haben. Kuciak selbst hatte ein halbes Jahr vor seiner Ermordung einen Drohanruf von Kočner erhalten, der dem Journalisten drohte, ihn und seine Familie „auszurotten“. Obwohl er die Drohung zur Anzeige brachte, wurde nicht weiter ermittelt.

Während des Verfahrens wurde deutlich warum: Kocner war eng mit Größen in Politik, Polizeibehörden und Justiz vernetzt. Er hatte enge Kontakte zum damaligen sozialdemokratischen Regierungschef Robert Fico. Eine Staatssekretärin im Justizministerium nannte er in Chats „mein Äffchen“. Sein Netzwerk umfasste weite Teile des Justizapparates. Im März wurden 13 Richter wegen Bestechlichkeit festgenommen. Darunter befanden sich auch die ehemalige Justiz-Staatssekretärin Monika Jankovska sowie die stellvertretende Vorsitzende des Obersten Gerichts der Slowakei.

Die Ermordung des Journalisten und seiner Verlobten warf ein grelles Licht auf das Geflecht von reichen Geschäftsleuten, korrupten Politikern und Kriminellen, das nach der Einführung des Kapitalismus und der Auflösung der Tschechoslowakei vor drei Jahrzehnten entstanden ist. Nach dem Mord brachen im ganzen Land Massenproteste aus, die Regierungschef Fico und seinen Innenminister Robert Kalinak zum Rücktritt zwangen.

2019 gewann dann überraschend die liberale Politikerin Zuzana Čaputová die Präsidentenwahl und im Frühjahr die neugegründete Partei „Gewöhnliche Leute“ (Olano) von Igor Matovič die Parlamentswahl. Matovič wurde Regierungschef. Sowohl er wie Čaputová hatten versprochen, den Filz im Land zu bekämpfen. Tatsächlich löste nur eine korrupte Oligarchenclique die andere ab.

Der Medientycoon Matovič bildete er eine Koalition mit der neoliberalen Partei Freiheit und Solidarität (SaS) um den Unternehmer Richard Sulik, in der er selbst seine politische Laufbahn begonnen hatte, und mit der rechtsextremen Partei „Wir sind eine Familie“ (Sme rodina), die auf EU-Ebene Mitglied der rechtsextremen Fraktion Identität und Demokratie ist.

Umfragen zufolge sinkt die Zustimmung zur Regierung derzeit drastisch. Seit diesem Februar hat Olano sieben Prozentpunkte eingebüßt und liegt derzeit nur noch bei 18 Prozent. Gerade in der Corona-Pandemie zeigt sie ihre kriminelle Gleichgültigkeit gegenüber der breiten Bevölkerung.

Obwohl die Zahl der Neuansteckungen am Samstag mit 226 Fällen den höchsten Stand seit Beginn der Pandemie erreichte, beharrt die Regierung rücksichtslos auf der Öffnung der Schulen und die uneingeschränkte Aufnahme der Produktion. Vor allem die Autoindustrie besteht darauf, dass es zu keinem weiteren Lockdown kommen dürfe, wie zu Beginn der Pandemie, als einige Werke stillstanden.

Der Reichtum der herrschenden Eliten des Landes beruht darauf, dass es als Niedriglohnplattform für die globalen Autokonzerne dient. In keinem anderen Land Europas werden, gemessen an der Bevölkerung, so viele Autos gebaut wie in der Slowakei.

Staatspräsidentin Čaputová erklärte sich zwar „geschockt“ über das Urteil, betonte aber, dass sie das Gericht natürlich respektiere, und verwies auf die Revisionsinstanz. Sie hoffe, dass „vor der Obersten Rechtsinstanz die Gerechtigkeit doch obsiegen wird“. Auch Peter Pellegrini, der nach Ficos Rücktritt zwei Jahre die Regierung geführt hatte, erklärte ausdrücklich seine Unterstützung für das Urteil.

Bemerkenswert ist auch das Schweigen aus den europäischen Hauptstädten. Während EU-Politiker im Fall des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny in anti-russische Hysterie verfallen, obwohl es keinerlei Beweise gibt, dass Nawalny durch den russischen Staat vergiftet wurde, kam es im Fall Kuciak höchstens zu leiser, verhaltener Kritik an der slowakischen Regierung und Justiz.

Ob der Mord an Kuciak und Kušnírová vor das Oberste Gericht gelangen wird und wie dieses entscheidet, ist weitgehend offen. Große Teile der herrschenden Kreise im EU- und Nato-Mitglied Slowakei wollen dies unter allen Umständen verhindern. Das mafiöse Netzwerk, dem Kočner angehört, ist weit verzweigt. Gegenwärtig werten einige Journalisten die sogenannte Kočner-Bibliothek aus. Sie umfasst 57 Terabyte Daten, darunter Chatprotokolle und Telefondaten des Millionärs. Letzten Monat führte dies zu neuen Erkenntnissen im Geldwäschefall um die mächtige Finanzgruppe Penta, die enge Kontakte zu einer Vielzahl an Größen aus Wirtschaft und Politik unterhält.

Der Fall macht erneut deutlich, dass mit der Einführung des Kapitalismus vor 30 Jahren eine schmale Schicht an die Spitze der Gesellschaft gelangte, die sich mit legalen und illegalen Mitteln auf Kosten der Bevölkerung schamlos bereichert. Fest steht, dass die massiven Proteste nach der Ermordung Kuciaks nicht die letzten gewesen sein werden.

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