Die Führungsgremien der SPD haben am Montag Olaf Scholz einstimmig zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst 2021 nominiert. Sie haben damit eine Entscheidung getroffen, die bestens zur SPD passt. Der Vizekanzler und Finanzminister der Regierung Merkel verkörpert wie kein anderer die rechte Politik einer Partei, die absolut nichts mehr mit ihren einstigen Wurzeln in der Arbeiterbewegung verbindet.
Die Nominierung von Scholz ist ein Signal an die Finanzoligarchie und die rechten Elemente im Staatsapparat, dass sie sich angesichts wachsender sozialer Konflikte uneingeschränkt auf die SPD verlassen können. Es gab in den letzten beiden Jahrzehnten keinen Angriff auf soziale und demokratische Reche, an dem Scholz nicht persönlich beteiligt war.
Die Corona-Pandemie hat den sozialen Gegensätzen und internationalen Spannungen, die sich seit langem entwickeln, weltweit eine außerordentliche Schärfe verliehen. In Betrieben, Schulen und Krankenhäusern wächst der Widerstand, Handelskrieg und Kriegsgefahr greifen um sich, demokratische Strukturen brechen zusammen, die Opposition gegen den Kapitalismus wächst. Unter diesen Umständen hat die SPD entschieden, auf die üblichen politischen Feigenblätter zu verzichten und sich offen zu ihrer rechten Politik zu bekennen, indem sie Scholz mehr als ein Jahr vor dem Wahltermin zum Kanzlerkandidaten bestimmt.
Noch im vergangenen Jahr hatte die Partei einen wochenlangen Wanderzirkus veranstaltet, in dem sich sieben Kandidatenpaare auf 23 Regionalkonferenzen um den Parteivorsitz bewarben und Basisdemokratie vorgaukelten. Scholz hatte damals eine demütigende Niederlage erfahren. Er und seine Partnerin Klara Geywitz unterlagen im zweiten Wahlgang dem Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, das seither die Partei führt. Die beiden hatten sich als linke Kritiker der Großen Koalition ausgegeben und waren dabei vom Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert unterstützt worden, dem Wortführer der GroKo-Gegner bei der SPD-Mitgliederbefragung im Jahr 2018.
Die WSWS hatte dieses Täuschungsmanöver bereits damals zurückgewiesen. Nach der Wahl der neuen SPD-Führung kommentierten wir: „Die Behauptung, Walter-Borjans und Esken verfolgten eine andere Politik, verkörperten einen linken Flügel der Partei und lehnten die Große Koalition ab, ist ein Mythos, der keiner ernsthaften Überprüfung standhält.“
Nun haben Walter-Borjans und Esken den unterlegenen Scholz als Kanzlerkandidaten vorgeschlagen, was bedeutet, dass er den Kurs der Partei vorgibt. Auch Juso-Chef Kühnert unterstützt Scholz. Er begründete dies mit den Worten: „Wir tun das in dem Wissen und der Erkenntnis, dass wir – und das ist der Unterschied zu den vergangenen Jahren – in eine gemeinsame Richtung laufen.“ Kühnert appellierte an die angebliche „Parteilinke“, sich konstruktiv in die Debatte einzubringen. „Wir sind auch lernfähig“, sagte er.
Mit „gemeinsame Richtung“ meint Kühnert die Milliarden- und Billionensummen, die Finanzminister Scholz während der Corona-Krise für Banken und Großunternehmen locker gemacht hat. Diese sind kein Bruch mit seinem bisherigen Sparkurs, der Politik der „Schwarzen Null“, sondern deren Fortsetzung mit anderen Mitteln. Sie setzen die Bereicherung der Reichen auf Kosten der Armen fort, die die Große Koalition seit Jahren betreibt.
So fließen von dem 756-Milliarden-Notpaket, das die Bundesregierung im März verabschiedete, 600 Milliarden an Großunternehmen, 50 Milliarden an kleine Firmen und Selbständige (die 58 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ausmachen), etliche Milliarden in die Rüstung und nichts in Bildung und Soziales. Scholz plant zudem bereits, die Geschenke an Konzerne und Reiche durch weitere Sozialkürzungen wieder hereinzuholen.
Diese Politik im Interesse der Finanzoligarchie durchzieht Scholz‘ politische Karriere wie ein roter Faden.
1958 als Sohn eines Beamten geboren, studierte er in Hamburg Jura und begann seine politische Laufbahn bei den Jusos, wo er – wie Helmut Schmidt, Andrea Nahles und viele andere prominente SPD-Führer – linke und pseudomarxistische Phrasen drosch. Von 1982 bis 1988 war der Vertreter des sogenannten Stamokap-Flügels stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD-Jugendorganisation.
1998 wurde Scholz in den Bundestag gewählt. 2001 übernahm er in Hamburg das Amt des Innensenators. Schon damals machte er als Law-and-Order-Politiker auf sich aufmerksam, weil er die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Beweissicherung bei Drogendealern einführte, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte später als menschenrechtswidrig verurteilte.
2002 holte ihn Bundeskanzler Gerhard Schröder als SPD-Generalsekretär nach Berlin, um die Agenda-Politik und die Hartz-Gesetze gegen massive Widerstände durchzusetzen. 2007 wurde er dafür mit dem Amt des Arbeitsministers im ersten Kabinett Merkel belohnt. In dieser Funktion setze er die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre um.
Von 2011 bis 2018 war Scholz Erster Bürgermeister in Hamburg, wo er erneut durch sein enges Verhältnis zur Wirtschaft und durch seine Law-and-Order-Politik hervorstach. In Scholz‘ Verantwortung fällt das brutale Vorgehen der Polizei gegen die G20-Demonstrationen im Sommer 2017. Einer der größten Polizeiaufmärsche der bundesdeutschen Geschichte diente dazu, hunderte Jugendliche zu kriminalisieren, die von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machten.
2018 gehörte Scholz dann zu den treibenden Kräften in der SPD, die sich für die Fortsetzung der Großen Koalition einsetzten, um ein Programm des Sozialabbaus, der inneren Aufrüstung und des Militarismus zu verwirklichen. Mit dem Eintritt in die Große Koalition verhalf die SPD der AfD zudem gezielt zur Rolle der Oppositionsführerin, was ihren Einfluss – bei nur 13,5 Prozent der Wählerstimmen – enorm erhöhte.
Scholz übernahm im vierten Kabinett Merkel das Amt des Finanzministers von Wolfgang Schäuble (CDU) und setzte dessen Austeritätskurs in Europa und Deutschland fort. Um den Banken seine Loyalität zu beweisen, holte er den Deutschlandchef der US-Großbank Goldman Sachs, Jörg Kukies, als Staatssekretär in sein Ministerium.
Kukies hielt bis Ende letzten Jahres enge Kontakte zum Dax-Konzern Wirecard, der inzwischen bankrottgegangen ist und dessen Führungskräfte wegen gewerbstätigen Bandenbetrugs, Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Veruntreuung von Vermögen und Geldwäsche in U-Haft sitzen. Die jahrelange Abdeckung von Wirecard durch die Aufsichtsbehörden des Finanzministeriums könnte Scholz noch Probleme schaffen.
Die Nominierung von Scholz ist ein klares Bekenntnis zur Fortsetzung der Großen Koalition, der rechtesten Regierung seit Bestehen der Bundesrepublik. Scholz‘ Verhältnis zu Bundeskanzlerin Merkel ist inzwischen so eng, dass sich die Süddeutsche Zeitung zur Bemerkung veranlasst sah: „Vizekanzler Scholz könnte sich durchaus erfolgreich um die Wähler bemühen, die gerne hätten, dass à la Angela Merkel weiterregiert wird.“
Scholz hat sich bei seiner Nominierung aber auch bereit erklärt, gemeinsam mit den Grünen oder der Linkspartei zu regieren, die dieselbe reaktionäre Politik verfolgen.
Vom Neuen Deutschland auf eine mögliche Zusammenarbeit mit Scholz angesprochen, signalisierte Linken-Chef Riexinger sofort Zustimmung. „Entscheidend ist, ob es inhaltliche Übereinstimmungen gibt“, sagte er. „Wir haben am Wochenende interessante Ansagen der SPD-Spitze gehört: Sie wollen das Hartz-IV-System überwinden und Sanktionen abschaffen, was Die Linke schon lange fordert. Sie wollen einen deutlich höheren Mindestlohn und Reiche stärker besteuern.“
Dass Scholz, der selbst von der bürgerlichen Presse als rechter Frontmann der SPD bezeichnet wird, und die SPD sich plötzlich verwandelt haben, glaubt natürlich auch Riexinger nicht. Was bleibt, ist seine Bereitschaft, auch mit einer Scholz-SPD zusammenzuarbeiten.