In der Anhörung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange am Montag, 27. Juli, ging die fortgesetzte Travestie eines juristischen Verfahrens weiter, dem er seit mehr als einem Jahrzehnt unterworfen ist.
Der Journalist und Verleger kämpft gegen die Auslieferung an die Vereinigten Staaten. Dort ist er mit abgekarteten Spionagevorwürfen konfrontiert, die einer politischen Verschwörung entspringen, und die bedeuten, dass er mit einer möglichen Gesamtstrafe von 175 Jahren Gefängnis rechnen müsste. In den letzten drei Monaten hat er auf das Anraten von Ärzten hin an den Anhörungen auch über Videolink nicht teilgenommen, da sein Gesundheitszustand sehr labil ist, und er Gefahr läuft, sich mit Covid-19 anzustecken.
Bei der vorherigen Anhörung am 29. Juni hatte Bezirksrichterin Vanessa Baraitser Assanges Abwesenheit kritisiert und verlangt, dass er künftig für sein Nichterscheinen ein medizinisches Attest vorlegen müsse. Doch als er darauf am Montag teilnehmen wollte, und die Gefängnisverwaltung von Belmarsh dies zu vereiteln versuchte, entschied Baraitser plötzlich, dass die Anhörung auch ohne Assange stattfinden könne. Die Gefängnisbehörden behaupteten, sie hätten vergessen, eine Videoleitung für ihren bekanntesten politischen Gefangenen einzurichten.
Da erklärte Edward Fitzgerald QC, Assanges Hauptverteidiger, ihm wäre es lieber, wenn sein Mandant dabei wäre. Also wurde die Anhörung zehn Minuten verschoben, damit er Assange kontaktieren konnte. Als das Gericht die Verhandlung wieder aufnahm, bestand Fitzgerald auf der Anwesenheit seines Mandanten, und die Anhörung wurde für weitere eineinviertel Stunden vertagt.
Als Assange schließlich per Videolink zugeschaltet wurde, wirkte er laut Reportern im Gerichtssaal müde und niedergeschlagen.
Im Mittelpunkt des kurzen Austauschs zwischen Fitzgerald, Baraitser und Staatsanwalt Joel Smith stand die vom US-Justizministerium am 24. Juni erlassene Ersatzklage gegen Assange.
Die neue Anklageschrift basiert auf der Aussage von Sigurdur Thordarson, über den WikiLeaks schrieb, er sei ein „Soziopath, verurteilter Betrüger und Sexualverbrecher, der in eine FBI-Provokation gegen WikiLeaks verwickelt war“. Die neue Anklageschrift behauptet, dass Assange von 2009 bis 2015 Hacker rekrutiert und zum Einbruch in mehrere geschützte, offizielle und private Computer angestiftet habe. Die Schrift enthält keine neuen Anklagepunkte, erweitert aber den Umfang der Anschuldigungen gegen WikiLeaks erheblich und verschärft den Angriff der US-Regierung auf die Pressefreiheit insgesamt.
In der neuen Anklageschrift wird Assanges Parteinahme für den Whistleblower Edward Snowden und sein Einsatz für Transparenz von Informationen als Anstiftung und Diebstahl von Verschlusssachen aufgefasst. Die ehemalige WikiLeaks-Redakteurin Sarah Harrison und der ehemalige WikiLeaks-Sprecher Jacob Applebaum werden darin ebenfalls beschuldigt.
Aber die neue Schrift war den britischen Gerichten zum Zeitpunkt der letzten Anhörung (29. Juni) noch nicht offiziell zugestellt worden, und sie ist offenbar auch jetzt noch immer nicht eingereicht worden. Baraitser bemerkte: „So wie es aussieht, ist keine weitere überlagernde Anklage vor diesem Gericht anhängig.“ Staatsanwalt Smith antwortete für die Anklage: „Sie wurde nur der Verteidigung offengelegt“, und Baraitser bestätigte: „Sie wurde dem Gericht nur per E-Mail von der Verteidigung zugänglich gemacht, aber nicht offiziell.“
Smith sagte, er könne sich nicht auf einen Zeitplan für die Zustellung der neuen Anklageschrift festlegen. Dann behauptete er absurderweise, dass die „üblichen Verfahren“ befolgt würden. An diesem Fall ist nichts „üblich“ und normal, auch nicht, wenn es eine neue Anklageschrift gibt. Wie Fitzgerald während der Anhörung sagte: „Wir haben das auf uns zukommen lassen.“
Kristinn Hrafnsson, Chefredakteur von WikiLeaks, erklärte gestern: „Das Vorgehen der USA ist wirklich ohne Beispiel. Eine neue Anklageschrift wird eingeführt, obwohl das Auslieferungsverfahren schon seit einem Jahr im Gange ist. Das Auslieferungsverfahren gegen Assange begann im Februar und sollte im Mai wieder aufgenommen werden, musste dann aber wegen des Covid-Lockdowns auf September vertagt werden.“
Er fuhr fort: „Die 'neue' übergreifende Anklageschrift enthält eigentlich nichts wesentlich Neues. Alle angeblichen Vorkommnisse sind der Staatsanwaltschaft seit Jahren bekannt. Die Schrift enthält keine neuen Anklagepunkte. Was hier wirklich passiert, ist, dass die Staatsanwaltschaft trotz ihres jahrzehntelangen Vorsprungs immer noch nicht in der Lage ist, einen kohärenten und glaubwürdigen Fall zu präsentieren. Deshalb haben sie ihre beiden früheren Anklagepunkte fallen gelassen und einen dritten Versuch unternommen. Sie verschwenden die Zeit des Gerichts und missachten in eklatanter Weise ein ordnungsgemäßes Verfahren.“
So wie es aussieht, setzen die britischen Gerichte das Auslieferungsverfahren von Assange auf der Grundlage einer veralteten Anklage fort. Die neue Fassung wurde erheblich angepasst. Sie könnte höchstens neue und substanzielle rechtliche Fragen aufwerfen, auf die reagiert werden müsste. Die Verteidigung wird am 25. August darauf ihre Entgegnung in großen Züge vorbringen. Bei der letzten Anhörung stellte Summers fest, dass die neue Ersatzanklageschrift „leicht den September-Termin [für die nächste Phase der Anhörung] kippen könnte“.
Fitzgerald sagte gestern vor Gericht, es wäre „unzulässig“, wenn das Vorgehen der US-Regierung zu einer weiteren Verzögerung des Falles führen würde, besonders, wenn das bis nach den US-Präsidentschaftswahlen im November dauern würde. Damit würde Assange zu einem politischen Spielball werden. Er fuhr fort: „Wir sind besorgt darüber, dass in diesem Stadium ein neuer Antrag gestellt werden könnte, mit der möglichen Folge, dass das Verfahren völlig entgleisen würde.“ Er äußerte die Vermutung, dass der US-Generalstaatsanwalt dies aus politischen Gründen sogar anstreben könnte.
Baraitser forderte ihn auf, sich „seiner Kommentare“ zu dem neuen Ersuchen zu enthalten, da es noch nicht zugestellt sei.
Fitzgerald wies darauf hin, dass die Verteidigung wahrscheinlich eine vierte Woche benötigen werde, um ihre Argumente in der zweiten Phase der Auslieferungsanhörung (die derzeit auf drei Wochen angesetzt ist) vollständig darzulegen. Smith sagte darauf, dass der Hauptanwalt der Anklage, James Lewis QC, für eine vierte Woche nicht zur Verfügung stehe, und Baraitser stimmte zu, dass es für das Gericht ein „echtes Problem“ wäre, wenn sich der Fall auf eine weitere Woche erstrecken würde. Beide Parteien einigten sich, dass das Gericht später entscheiden könne, ob eine vierte Woche erforderlich sei.
Journalisten und Beobachter politischer, juristischer und medizinischer Organisationen, die versuchten, über eine Konferenzschaltung Zugang zum Gericht zu erhalten, konnten erneut den Verhandlungen nicht folgen. Die Audioqualität ist immer schlecht, aber bei dieser Gelegenheit waren nicht einmal Gesprächsfetzen hörbar, da das Gespräch nach der Vertagung zum zweiten Mal offenbar auf stumm geschaltet war. Der Platz im Gericht ist nach wie vor durch soziale Distanzierungsmaßnahmen streng begrenzt.
Während Assange gestern aus dem Belmarsh-Gefängnis über Video vorgeführt wurde, sagte seine Partnerin Stella Morris vor einem spanischen Gericht über die Spionageaktivitäten von UC Global aus. Die spanische Sicherheitsfirma war von der CIA angeheuert worden, um Assange und seine engsten Mitarbeiter während der letzten Jahre seines politischen Asyls in der ecuadorianischen Botschaft in London auszuspionieren. Sie nahm alles auf, Assanges vertrauliche Treffen mit seinen Anwälten und seine privaten Gespräche mit Ärzten und Journalisten. Die Aktivitäten von UC Global umfassten sogar Pläne, Assange zu entführen oder umzubringen. Dies allein zeigt schon den kriminellen und allumfassenden Charakter der US-Vendetta gegen Assange und WikiLeaks.
Assanges letzte Anhörung wird am 14. August um 10 Uhr im Westminster Magistrates Court stattfinden, bevor die eigentliche Auslieferungsanhörung am 7. September im Central Criminal Court beginnen sill. Es wurde vereinbart, dass Assange, die Richterin, die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft alle persönlich anwesend sein werden, aber es bleibt unklar, welche Bestimmungen für die Öffentlichkeit, die Presse und internationale Beobachter gelten werden.