Menschenverachtende Zustände

Wohnungslose und Obdachlose in der Coronakrise

Die Corona-Pandemie hat die katastrophalen Zustände für die rund 678.000 Menschen weiter verschärft, die in Deutschland offiziell als wohnungslos gelten.

Seit Mitte März sind bundesweit Hilfeeinrichtungen, Notübernachtungen, Suppenküchen, Kleiderkammern und der Zugang zu medizinischer Grundversorgung geschlossen oder befinden sich im Notbetrieb. An den wenigen noch geöffneten Essensausgaben bilden sich lange Schlangen.

Aus Hamburg berichtet der Leiter einer im Notbetrieb geöffneten Obdachloseneinrichtung, die Nachfrage nach Mahlzeiten sei von 1500 in normalen Zeiten auf 2800 gestiegen. Weiter schildert er, dass viele Menschen seit drei Wochen keine Chance mehr gehabt hätten, zu duschen oder auf die Toilette zu gehen, da die entsprechenden Einrichtungen geschlossen seien. Viele obdachlose Menschen seien daher gezwungen, ihre Notdurft auf der Straße zu verrichten. An Hände Waschen und Desinfizieren sei unter solchen Bedingungen gar nicht zu denken.

Viele der bundesweit 50.000 Obdachlosen sind über fünfzig Jahre alt und haben Vorerkrankungen. Sie gehören damit häufig zur Risikogruppe, bei der ein schwerer Krankheitsverlauf von Covid-19 wahrscheinlich ist.

Aus medizinischer Sicht müssten diese Menschen besonders vor der Ansteckung mit Covid-19 geschützt werden. Dafür ist es notwendig, die Menschen sofort und zeitlich unbegrenzt in Einzelzimmern mit eigenen Sanitär- und Waschräumen unterzubringen, ihnen gesichert warme Speisen und Getränke zur Verfügung zu stellen und sie mit Informationen über das Virus sowie mit Schutzartikeln wie Masken und Desinfektionsmitteln und mit eigenem Geld zu versorgen. Eine medizinische Betreuung muss gesichert sein, ebenso die Möglichkeit, sich testen zu lassen.

Die aktuellen Zustände, in denen wohnungslose und obdachlose Menschen untergebracht sind – meistens in Mehrbettzimmern mit häufig wechselnder Bettenbelegung gerade in den noch geöffneten Notübernachtungen –, sind wie gemacht für eine ungebremste Ausbreitung des Virus.

Seit 2016 werden auch anerkannte Flüchtlinge, die keinen festen Wohnsitz haben, in der Statistik der wohnungslosen Menschen mit insgesamt 441.000 Personen berücksichtigt. In Flüchtlingsunterkünften sind bereits mehrere Fälle, unter anderem in NRW und Baden-Württemberg, bekannt geworden, in denen sich Bewohner und Mitarbeiter mit Covid-19 infiziert haben.

Einige von ihnen mussten sich in Vollquarantäne begeben. In Baden-Württemberg wird die Bundeswehr in mindestens drei Einrichtungen zur „Unterstützung“ in den Unterkünften eingesetzt, nachdem sich in Ellwangen mehr als die Hälfte der 600 Bewohner der Unterkunft mit Covid infiziert hatten.

Auch in Hamburg wurde am 14. März ein erster Fall von Covid-19 in einer Notübernachtung für obdachlose Menschen bekannt. Der Betreiber sah sich auf Anordnung des Gesundheitsamtes gezwungen, die Notübernachtung mit rund 300 Gästen für 14 Tage unter Quarantäne zu stellen.

Die Einrichtung ist jedoch nicht für die ganztägige Unterbringung von Menschen geeignet und kann keine Einzelunterbringung gewährleisten. Die Behörde hielt es jedoch nicht für notwendig, eine alternative Unterbringung z.B. in Hotels oder Jugendherbergen anzuordnen. Der Behördensprecher argumentierte lediglich, wer keine Symptome habe, der werde weiter im Mehrbettzimmer untergebracht.

Mit einer medizinisch verantwortlichen Einschätzung hat das nichts zu tun. Der Patient ist zwei Tage vor Symptombeginn am ansteckungsfähigsten. Wie aus wissenschaftlichen Studien hervorgeht, ist zu diesem Zeitpunkt die Viruslast im Rachen des Patienten am höchsten und kann sich so besonders schnell in geschlossenen Räumen verbreiten.

Für die Mitarbeiter der Einrichtung sei erst nach der Quarantäneanordnung durch das Gesundheitsamt Schutzkleidung organisiert worden. Unter Quarantäne wurden die Mitarbeiter jedoch nicht gestellt.

Diese menschenverachtenden Zustände wurden in den letzten Jahrzehnten von allen etablierter Parteien geschaffen, unter anderem durch die Hartz- Gesetze (SPD, Grüne), den Verkauf von landeseigenen Wohnungen (Berlin; SPD und Linke) oder die Teilprivatisierung des Rentensystems (SPD, Grüne).

Die Ärmsten der Armen hat diese Politik am härtesten getroffen. Doch stellt sie einen Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse dar, der jetzt auf dem Rücken der Corona-Pandemie noch weiter vorangetrieben wird. Es werden Milliarden Euro für die Rettung der Großkonzerne und des Finanzsystems zur Verfügung gestellt, eine sichere Unterbringung der bundesweit rund 41.000 obdachlosen Menschen in Einzelzimmern in Hotels oder Jugendherbergen, die auf Grund des Lock-Downs genügend freie Zimmer hätten, soll aus Kostengründen dagegen leider nicht machbar sein. So teilte es die Sozialsenatorin von Berlin, Elke Breitenbach (Linke), am 29. April auf einer Pressekonferenz mit.

Obwohl der Berliner Senat im Zuge der Corona-Pandemie etwa 350 weitere Mehrbettunterkunftsplätze geschaffen hat, gibt es derzeit berlinweit insgesamt nur 678 Schlafplätze für fast 2000 Menschen. Mindestens 1320 Menschen haben demnach keine Aussicht auf einen sicheren Schlafplatz.

Bereits vor der Corona-Pandemie gab es Pläne von der Sozialsenatorin, weitere 600 Ganzjahresplätze als Notübernachtung für obdachlose Menschen zu schaffen, davon wurde jedoch nichts realisiert.

Im Gegenteil: Die Einrichtung „Moabiter Pumpe“, die von der AWO betrieben wird, kann von Oktober bis März 17 Frauen eine Notübernachtung geben. Die Betreiber gingen davon aus, dass das Bezirksamt Mitte die monatlichen Kosten von 30.000 Euro auf Grund der aktuellen Situation weiter übernehmen werde. Dem war jedoch nicht so. Um die Frauen Anfang April nicht auf die Straße setzen zu müssen, startete der Verband einen Spendenaufruf, um bis zum 1. Juni einen Notbetrieb aufrecht zu erhalten. Seit dem 1. Juni ist auch diese Einrichtung geschlossen.

Auch für die groß angekündigte erste Quarantäne-Station in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofes, die am 13. Mai 2020 eröffnet wurde, fielen Notübernachtungsplätze für Frauen sowie Pflegezimmer weg. Insgesamt können dort maximal 16 Personen in Quarantäne untergebracht werden. Bei fast 2000 obdachlosen Menschen in Berlin ist diese Maßnahme gegenüber dem Leben von obdachlosen Menschen fahrlässig und gleichgültig.

Für Arbeiter und Jugendliche sollte das eine Warnung sein. So wie die Kampagne, die Produktion übereilt wieder in Gang zu setzen, den Tod und gesundheitliche Risiken von Millionen Arbeitern in Kauf nimmt, um die Profite zu steigern, zeigt sich auch hier, wie wenig das Leben eines Arbeiters oder eines obdachlosen Menschen wert ist.

Im Gegensatz zur offiziellen Politik gibt es von Arbeitern, Studenten und Jugendlichen große Bemühungen, die Ärmsten der Armen durch diese Krise zu bringen. Ähnlich wie auch in der Flüchtlingskrise von 2015 zeichnen sich diese spontanen Hilfsaktionen durch großes Engagement und Solidarität aus. In vielen Städten wurden sogenannte Sach- und Lebensmittelspenden an leicht zugänglichen öffentlichen Plätzen, wie z.B. an Zäunen von Sportplätzen, eingerichtet, als ein Versuch, die hilfebedürftigen Menschen mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Hilfsorganisationen berichten, dass in den letzten Wochen besonders viele junge Menschen erstmalig ihre Hilfe angeboten hätten. Das kann den Rückgang älterer ehrenamtlicher Helfer zwar nicht annähernd ausgleichen, die aufgrund der Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus ihr Ehrenamt einstellen mussten, doch es zeigt, dass unter jungen Menschen ein Bewusstsein von der massiven sozialen Ungleichheit und der Wunsch nach Veränderung herrscht.

Die Corona-Pandemie hat weltweit den Bankrott des Kapitalismus offengelegt, der das Leben von Milliarden Menschen den Profitinteressen einer kleinen Minderheit unterordnet. Eine menschenwürdige Unterbringung aller Menschen kann nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programes durchgesetzt werden.

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