Gewerkschaften stellen sich hinter Merkel und Macron

Die deutschen und französischen Gewerkschaften haben sich hinter die Initiative von Angela Merkel und Emmanuel Macron für einen europäischen Wiederaufbaufonds gestellt. In einer gemeinsamen Erklärung vom 20. Mai begrüßen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sowie die französischen Gewerkschaftsverbände CFDT, CGT, FO, CFTC und UNSA „ausdrücklich die deutsch-französische Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Coronakrise, die vom französischen Staatspräsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin am 18. Mai 2020 vorgestellt wurde“.

Sie bezeichnen die Initiative als „Richtungswechsel zu mehr Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“ und verkünden: „Wir sind davon überzeugt, dass unsere beiden Länder jetzt die besondere Verantwortung wahrnehmen müssen, die ihnen zukommt, damit die Europäische Union stärker, sozial gerechter, demokratischer, verantwortungsbewusster und ökologisch nachhaltiger aus dieser Krise hervorgeht.“ Es gelte nun, „alle anderen EU-Mitgliedsstaaten von den deutsch-französischen Vorschlägen zu überzeugen, damit wir ein solidarischeres und nachhaltigeres Europa nach der Krise aufbauen“.

Die hochbezahlten Gewerkschaftsfunktionäre wissen natürlich genau, dass Merkels und Macrons Vorschlag nichts mit sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und ökologischer Nachhaltigkeit zu tun hat. Er dient auch nicht der europäischen Solidarität – schon gar nicht der Solidarität mit den Millionen Arbeitern, Angestellten und kleinen Selbständigen, die wegen der Coronakrise ihr Einkommen und ihre Existenz verlieren. Stattdessen wird der Fonds – wie die zahlreichen nationalen Hilfsprogramme und die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank – die Aktienportfolios und Bankkonten der Reichen weiter aufblähen.

Wie wir in einem früheren Artikel aufgezeigt haben, verfolgt die deutsch-französische Initiative vor allem das Ziel, die europäischen Konzerne im Handelskrieg mit ihren Rivalen, insbesondere mit den USA und China, zu stärken. Zu diesem Zweck sollen „strategische Projekte“ gefördert und „globale Champions“ aufgebaut werden. Die Coronakrise soll genutzt werden, um die europäische Wirtschaft im globalen Kampf um Märkte und Profite neu aufzustellen.

Insbesondere die Wirtschaft der schwächeren EU-Staaten, für die der Fonds hauptsächlich bestimmt ist, soll neu strukturiert werden. Dass dies mit Massenentlassungen, Lohnsenkungen und Sozialkürzungen einhergeht, versteht sich von selbst. Schon jetzt haben große Konzerne in der Auto-, der Luftfahrt- und der Stahlindustrie sowie in zahlreichen anderen Branchen zehntausende Entlassungen angekündigt.

Das Wiederaufbauprogramm, das die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen am 27. Mai präzisiert hat, soll sich auf 750 Milliarden Euro belaufen, von denen 500 Mrd. als Zuschüsse und 250 Mrd. als Kredite vergeben werden. Um es zu finanzieren, nimmt die EU-Kommission ausnahmsweise Schulden auf, die dann zwischen 2028 und 2058 aus dem EU-Haushalt zurückbezahlt werden. Die Mitgliedsländer werden dann möglicherweise zur Kasse gebeten; im Gespräch sind aber auch neue Importsteuern, die direkt in den Haushalt der EU fließen. Zu den Empfängern gehören neben Italien (82 Mrd. Zuschüsse / 91 Mrd. Kredite), Spanien (77 / 63 Mrd.) und Polen (38 / 26 Mrd.) auch Frankreich und Deutschland, die Zuschüsse von 39 bzw. 29 Mrd. Euro erhalten sollen.

Am 18. und 19. Juni wird ein EU-Gipfel erstmals über den Vorschlag diskutieren. Bis zu einer Einigung wird aber noch mindestens ein weiteres Gipfeltreffen nötig sein.

Da die Gelder im Rahmen des EU-Haushalts vergeben werden, sind sie wie alle EU-Programme an strikte neoliberale Auflagen gebunden. Von der Leyen will erreichen, dass die jährlichen Empfehlungen der EU-Kommission für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mitgliedsländer, die bisher weitgehend ignoriert wurden, für die Empfänger von Zuschüssen verbindlich sind. Brüssel könnte dann, wie nach der Finanzkrise 2008 in Griechenland, Einsparungen bei den Sozial-, Bildungs- und Kulturausgaben diktieren.

Über die genaue Verwendung der Gelder wird noch gestritten. Neben den traditionellen Regional- und Finanzhilfen sind auch Zuschüsse für Klimaschutz, erneuerbare Energien, Digitalisierung und vor allem Rüstungsgaben im Gespräch.

Die gemeinsame Erklärung der Gewerkschaften, die nur eineinhalb Seiten umfasst, ist ein Signal an die Regierenden in Paris und Berlin und an die Brüsseler EU-Kommission, dass sie sich im globalen Handelskrieg gegen ihre Rivalen und bei den damit verbundenen Angriffen auf die Arbeiterklasse auf die uneingeschränkte Unterstützung der Gewerkschaften verlassen können.

Schon jetzt sind es die Gewerkschaften, die die Arbeiter trotz anhaltender Infektionsgefahr zurück in die Betriebe treiben, wo sie ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren. So haben IG Metall und Betriebsrat in Wolfsburg eine dreitägige Lichtshow an der Wand des Volkswagenwerks veranstaltet, um für die Rückkehr der Arbeiter in die größte Autofabrik Europas zu werben. In Deutschland gibt es seit Jahren keine Werksschließung und keine Entlassung, die nicht die Unterschrift eines Gewerkschaftsfunktionärs trägt

Doch mit der Coronakrise erreicht der Korporatismus – die Verschmelzung von Unternehmern, Gewerkschaften und Regierung – ein neues Ausmaß. Der größte wirtschaftliche Einbruch seit den 1930er Jahren hat den freien Markt, der sonst so eifrig beschworen wird, weitgehend außer Kraft gesetzt. Die Regierungen unterstützen Luftfahrt-, Auto- und andere Konzerne mit Milliardenbeträgen und steigen sogar als Anteilseigner ein, um sie im Überlebenskampf gegen ihre Konkurrenten zu stärken.

Mit Sozialismus hat diese Form der Verstaatlichung nichts zu tun. Sie dient vielmehr dazu, die Profite der Konzerne gegen ihre internationalen Rivalen und die Ansprüche der Arbeiter zu verteidigen, und ist unweigerlich mit dem Aufpeitschen von Nationalismus verbunden. Die Gewerkschaften, nationalistisch bis aufs Mark, können da nicht abseitsstehen. Wie immer in Krisen- und Kriegszeiten geben sie selbst den Anschein auf, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten.

So hatten die deutschen Gewerkschaften im August 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach, einen „Burgfrieden“ verkündet und ihre Mitglieder an die Front geschickt, um französische und russische Kollegen abzuschlachten. Am 1. Mai 1933, drei Monat nach Hitlers Machtübernahme, marschierten sie sogar unter dem Hakenkreuz, um den neuen Machthabern ihre Dienste anzubieten. Hitler interpretierte dies als Schwäche und ließ die Gewerkschaften am nächsten Tag auflösen.

Die Gewerkschaften in Frankreich und anderen Ländern verhielten sich in ähnlichen Situationen nicht anders. Wenn deutsche und französische Gewerkschaften jetzt einen gemeinsamen Aufruf unterzeichnen, dann nur, weil sie der Ansicht sind, dass sich Deutschland und Frankreich ohne Europäische Union auf dem Weltmarkt nicht behaupten können. Geht es dagegen um den Abbau von Arbeitsplätzen – etwa bei Airbus oder in der Autoindustrie – spalten sie die Arbeiter und spielen einen Standort gegen den anderen aus.

Der Drang der Gewerkschaften zum Korporatismus ergibt sich unweigerlich aus ihrer pro-kapitalistischen Perspektive. Es ist bezeichnend, dass auch die CGT, die sich gerne als radikalste unter den französischen Gewerkschaften gibt, den gemeinsamen Aufruf mit unterzeichnet hat.

Im Kampf gegen die gesundheitlichen und sozialen Folgen der Coronakrise sind Arbeiter in Europa nicht nur mit den Konzernen und den Regierungen, sondern auch mit den Gewerkschaften konfrontiert. Sie müssen mit ihnen brechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen.

Der Kampf gegen die Folgen der Pandemie ist letztendlich ein politischer Kampf gegen den Kapitalismus. Er erfordert die Einheit der europäischen und internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. An die Stelle der Europäischen Union, eines Werkzeugs der mächtigsten Kapitalinteressen, müssen Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa treten.

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