Zahlreiche Museen, die zurzeit wegen Covid-19 geschlossen sind, haben aktuelle Ausstellungen für die ebenfalls unter Kontaktsperren leidenden Besucher zumindest teilweise online gestellt. So auch die Akademie der Künste (ADK) in Berlin, die über den Nachlass John Heartfields verfügt. Sie hat unter dem Titel „Kosmos Heartfield“ eine virtuelle, multimediale Präsentation von Fotos, Dokumenten und audio-visuellen Zeugnissen aus dem Leben und Wirken des Künstlers ins Netz gestellt. Die Ausstellung„John Heartfield – Fotografie plus Dynamit“ hätte eigentlich Ende März eröffnet werden sollen.
Die virtuelle Ausstellung ist nicht nur sehr gelungen, sondern in vielerlei Hinsicht auch absolut zeitgemäß. Wie kaum ein anderer bildender Künstler, ausgenommen vielleicht sein Freund George Grosz, engagierte sich Heartfield mit seinen berühmten, innovativen politischen Fotomontagen unmittelbar im Kampf gegen die Reaktion in der Weimarer Republik und gegen den Nationalsozialismus.
Wie Christoph Vandreier in seinem Buch „Warum sind sie wieder da?“ plastisch beschrieben hat, kriechen Militaristen, Nationalisten und Faschisten wie in den 1920er und frühen 1930er Jahren wieder überall aus den Poren der krisenhaften kapitalistischen Gesellschaft und durchsetzen Staatsapparat, Polizei, Militär, Justiz und Geheimdienste. Reaktionäre Ideologien werden an den Hochschulen wiederbelebt und in den Medien vielfach begeistert aufgegriffen und verbreitet. Als offizielle Oppositionspartei in die parlamentarischen Abläufe integriert und hofiert sitzt erstmals seit 1945 wieder eine rechtsradikale Partei im Bundestag, ihr fremden- und flüchtlingsfeindlicher Kurs wird mehr und mehr zur Regierungspolitik.
John Heartfield wurde am 19. Juni 1891 in Berlin-Schmargendorf als Sohn des Schriftstellers Franz Held (eigentlich Franz Herzfeld) und seiner Frau Alice Herzfeld, geb. Stolzenberg, als erstes von vier Kindern geboren. Seinen eigentlichen Namen Helmut Herzfeld anglisierte er im Ersten Weltkrieg aus Protest gegen die großdeutsche, englandfeindliche Propaganda im Deutschen Kaiserreich.
Heartfield gehörte zu den Künstlern und Intellektuellen, die sich entschieden gegen Krieg und Militarismus wandten, als viele andere noch begeistert in den Krieg zogen und ihn als großes Reinigungsgewitter priesen. Ihm gelang es, sich durch eine vorgebliche Nervenzerrüttung den Schützengräben zu entziehen.
Den Plan, ein großer Maler zu werden, den er, wie im O-Ton in der Präsentation zu hören ist, schon in früher Jugend gefasst hatte, gab er zugunsten eines bewussten künstlerischen Engagements gegen Krieg und Militarismus auf.
Die Präsentation gliedert sich, angelehnt an die fünf Finger der Arbeiterhand – ein Plakat Heartfields für die KPD von 1932 – in die Bereiche Chronologie, Lebensorte, künstlerische Genres, Materialien und Bildmotive. Sein nicht gerade leichtes Leben wird in der Online-Ausstellung an Hand der dramatischen Zeitumstände anschaulich geschildert. Daher sollen an dieser Stelle die Fakten seiner persönlichen Biographie nicht im Einzelnen aufgeführt werden.
Die Präsentation veranschaulicht auch das künstlerische Netzwerk, zu dem Zeitgenossen wie Bertolt Brecht, George Grosz, Else Lasker-Schüler, Johannes R. Becher und Erwin Piscator und die gesamte Dada-Gruppe mit Max Ernst, Hannah Höch, Raoul Hausmann und Otto Dix gehörten. Mit George Grosz, der ebenfalls aus Protest gegen die anti-englische Kriegspropaganda seinen Namen anglisiert hatte, war er bereits seit 1914 bekannt. Sie verband die vehemente Ablehnung des Krieges.
Eine wichtige Rolle spielte auch der jüngere Bruder, Wieland Herzfelde, mit dem gemeinsam er schon im Ersten Weltkrieg die Zeitschrift Die neue Jugend und später den Malik Verlag gründete, der sich auf moderne politisch-ästhetische Kunst und kommunistische Literatur spezialisierte. Heartfield gestaltete die Buchcover der vom Malik Verlag herausgegebenen Bücher. In typischem Dada-Design entwarf er die George Grosz-Mappe, die 1917 in der Neuen Jugend erschien.
Für den Malik Verlag schuf Heartfield auch seine ersten Fotomontagen und Plakate. Die Präsentation zeigt u. a. ein von ihm gestaltetes Schaufenster gegen Zensurmaßnahmen. An einer Litfaßsäule können einzelne Plakate angeklickt werden. All dies ist recht informativ aufbereitet.
Allerdings hätte eine nähere Untersuchung einiger biographischer Fakten, Probleme und Entscheidungen Heartfields und der Zeitumstände, in denen sie stattfanden, dem heutigen Leser oder Zuschauer sicher beim Verständnis der in gewisser Hinsicht tragischen Rolle dieses Künstlers geholfen. So wird in der Präsentation zwar erwähnt, dass Heartfield bereits unmittelbar bei der Gründung der KPD 1919 in diese Partei eintrat und sein Parteibuch von Rosa Luxemburg erhielt, aber weshalb er so entschieden Partei auf der Seite der Arbeiterklasse ergriff, bleibt unklar.
Heartfield sah den einzigen Weg vorwärts aus kapitalistischer Ausbeutung und Kriegstreiberei in der Machtübernahme der Arbeiterklasse nach dem Vorbild der Russischen Oktoberrevolution von 1917. Nur im Onlinearchiv finden sich zahlreiche Hinweise, Fotos und Dokumente als Montagematerial, die von seiner intensiven Beschäftigung mit der Russischen Revolution zeugen. Wie zahlreiche andere Künstler und Intellektuelle sah Heartfield in der Kommunistischen Partei die einzige politische Kraft, die wirksam gegen die kapitalistische Reaktion und ihre Diktaturbestrebungen vorgehen konnte.
So war es nicht überraschend, dass Heartfield sowohl dem KPD-Organ Rote Fahne als auch der von Willi Münzenberg herausgegebenen der ArbeiterIllustrierten Zeitung (AIZ) der Internationalen Arbeiterhilfe (AIH) seine wirkmächtigen Fotomontagen als Titelbilder zur Verfügung stellte. Viele davon sind in der Präsentation zu sehen. (Eine vollständige Dokumentation findet sich im Heartfield-Online-Archiv der ADK.)
Im Laufe der 1920er Jahre entwickelte sich die AIZ zu einem über die Arbeiterklasse hinaus anerkannten Publikationsorgan, zu dem unter anderen Käthe Kollwitz, Anna Seghers, Erich Kästner, Maxim Gorki oder Kurt Tucholsky (Theobald Tiger) Beiträge lieferten, obwohl die KPD in diesen Jahren zunehmend stalinistisch degenerierte.
Heartfields Festhalten an der KPD, auch als diese sich vollständig der stalinistischen Bürokratie untergeordnet hatte, entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Einerseits zeigte er mit seinen Fotomontagen messerscharf den Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Krise, dem Krieg und dem Nationalsozialismus auf, andererseits ignoriert er die Rolle der KPD bei der Machtergreifung der Nazis.
Wie viele seiner Freunde und intellektuellen Zeitgenossen hinterfragte Heartfield zumindest nicht öffentlich, wie die katastrophale Politik der KPD dazu beitrug, dass die Nazis an die Macht gelangen konnten. Unter dem Einfluss Stalins hatte sich die KPD strikt geweigert, für eine Einheitsfront mit der Sozialdemokratie zu kämpfen, wie dies die Linke Opposition unter Leo Trotzki forderte, und die Sozialdemokraten stattdessen als „Sozialfaschisten“ denunziert.
Der AIZ blieb Heartfield auch in Prag treu, wohin er geflüchtet war, nachdem er sich 1933 durch einen Sprung vom Balkon seiner Wohnung in Berlin vor einer SS-Bande gerettet hatte. Im Prager Exil, das er mit zahlreichen aus Deutschland geflüchteten Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen linksgerichteten Intellektuellen teilte, schuf er nicht nur einige seiner eindrucksvollsten und politisch schärfsten Fotomontagen, er arbeitete auch weiter für den ebenfalls ins Exil gegangenen Malik Verlag seines Bruders.
Auch seine Reise in die Sowjetunion, wo er sich 1931 ein halbes Jahr aufhielt, wird in der Präsentation nicht erwähnt, und die Informationen darüber im Onlinearchiv wie im Katalog zur Ausstellung sind relativ spärlich. Er wohnte in Moskau bei dem Schriftsteller und Brecht-Freund Sergej Tretjakow, einem ausgesprochenen Vertreter der russischen Avantgarde, der 1937 wie zahlreiche andere Künstler und Intellektuelle, die sich nicht der offiziellen Doktrin des „Sozialistischen Realismus“ beugten, den stalinistischen Säuberungen zum Opfer fiel. In Odessa wurde er zum Mitaufbau der Außenbauten für den Piscator-Film „Aufstand der Fischer von Santa Barbara“ von Anna Seghers herangezogen.
Dass Heartfield 1938, als die Nazis die Tschechoslowakei besetzten, nicht etwa noch Osten in Stalins Machtbereich floh, sondern sein zweites Exil in London fand, war sicher kein Zufall, sondern mit der Absicht verbunden, sich nicht der gleichen Gefahr auszusetzen. Dennoch brach er auch in England nicht mit dem Stalinismus und blieb Mitglied der dortigen Exil-KPD. Er engagiert sich in verschiedenen Aktivitäten deutscher Exilanten, vor allem im Freien Deutschen Kulturbund.
Im Sommer 1940 wurde er als „feindlicher Ausländer“ interniert, jedoch aus Gesundheitsgründen (Kopfleiden) nach sieben Wochen wieder entlassen.
Nach dem Krieg verzögerte sich seine gewünschte Rückkehr nach Deutschland zunächst aus gesundheitlichen Gründen und wurde dann angesichts des Kalten Krieges problematisch, da die DDR-Regierung allen Emigranten, die aus dem westlichen Exil heimkehren wollten, großes Misstrauen entgegengebrachte. Auch als die Rückkehr schließlich gelang, fiel es ihm schwer, in der DDR an seine früheren Erfolge anzuknüpfen. Die engstirnige Kulturbürokratie verunglimpfte seine Fotomontagen als „formalistisch“.
1951 schrieb er in seinem Lebenslauf: „Ich betätige mich als freischaffender Künstler. Ich arbeite mit meinem Bruder Professor Wieland Herzfelde zusammen. Meine Druckarbeiten und Montagen sind von nun an stets ‚Heartfield Herzfelde‘ gezeichnet.“ Der englische Name allein machte ihn offenbar verdächtig.
Einigermaßen erfolgreich konnte Heartfield in der DDR an seine Theaterarbeit anknüpfen, wenn auch nicht in gleicher Weise wie in den 1920er Jahren bei Erwin Piscator, sondern relativ konventionell. Seine Aufnahme in die Partei, die SED, und dann in die Akademie der Künste wurde erst nach Intervention von Brecht 1957 gestattet. Heartfield starb am 26. April 1968 in Ostberlin.
Sollte die Ausstellung mit ihren 400 Exponaten in der Akademie der Künste noch öffentlich zugänglich werden, ist sie unbedingt zu empfehlen. Sie soll nach Berlin auch in Zwolle (Niederlande) und London gezeigt werden.
Der Katalog „Fotografie plus Dynamit“ von Angela Lammert, Rosa von der Schulenburg und Anna Schultz ist über den Buchladen der Akademie der Künste derzeit zum Sonderpreis 29,90 € (ab Juli 39,90 €) plus Versandkosten zu beziehen. Im Vorwort weist die ADK auf das aktuelle Erstarken des Rechtsradikalismus hin.