“Wir sind Menschen, und sie können uns nicht auf diese Weise misshandeln“

Schlachtereiarbeiter fordern Schutz, da die Pandemie in der US-Lebensmittelindustrie einschlägt

Beschäftigte in der Lebensmittelindustrie in den Vereinigten Staaten fordern Schutz, da sich Covid-19 in Schlachthöfen, Fleischverpackungsbetrieben, Lagerhäusern, Supermärkten und anderen Teilen der Versorgungskette ausbreitet.

Die Beschäftigten in der Fleischverarbeitung und in Lebensmittelgeschäften werden als „unentbehrlich“ für die Versorgung der Bevölkerung betrachtet, gleichzeitig verweigern Arbeitgeber ihnen die grundlegendsten Schutzmaßnahmen. In den letzten Wochen wurden mehr als 2.000 Beschäftigte positiv auf Covid-19 getestet und viele sind gestorben, darunter fünf Arbeiter in Schlachtbetrieben und mindestens 41 Beschäftigte in Lebensmittelgeschäften.

Am Sonntag verkündete Smithfield Foods, der größte Schweinefleischproduzent der Vereinigten Staaten, die Schließung des Werks in Sioux Falls „bis auf weiteres“. Zuvor hatte es Proteste gegeben, nachdem sich Hunderte Arbeiter im Werk infiziert hatten. Vertreter der Gesundheitsbehörde sagten am Sonntag, dass 293 der 730 Personen, bei denen im Bundesstaat South Dakota Covid-19 diagnostiziert wurde, in der Fabrik arbeiteten.

Nachdem in der vergangenen Woche zahlreiche Arbeiter positiv getestet wurden, ordnete das Unternehmen eine dreitägige Schließung des riesigen Werks für Reinigungsarbeiten an. Außerdem sollten von Unternehmensseite künftig Seife und Handdesinfektionsmittel zur Verfügung gestellt sowie Plexiglastrennwände montiert werden, um die „soziale Distanzierung“ in dem Werk mit 3.700 Beschäftigten zu verstärken. Vertreter des Unternehmens weigerten sich jedoch, das Werk zu schließen, und Vorstandschef Kenneth Sullivan erklärte: „Als Nation müssen wir eine Wahl treffen: Entweder wir produzieren Lebensmittel, auch angesichts von Covid-19, oder nicht.“

Während die Gewerkschaft United Food and Commercial Workers (UFCW) den Unternehmensplänen zustimmte, waren die Arbeiterinnen und Arbeiter verärgert. Sie hatten Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Geschäftsführung und wandten sich an die örtliche Interessenvertretung für Einwanderer ¿Que Pasa Sioux Falls?, der sie von den unsicheren Bedingungen im Werk berichteten.

Hier einige Kommentare:

„Auf den Toiletten gibt es keine Seife. Die Tische der Cafeteria stehen in den Fluren, so dass jeder, der vorbeikommt und niest, alle Tische benetzt. Ich habe nie jemanden gesehen, der die Tische in der Cafeteria nach den Mahlzeiten desinfiziert hat.“

„Die Masken, die sie in meiner Abteilung ausgaben, waren die Haarnetze, die man sich über den Kopf zieht. Sie sagten uns, wir sollten sie uns über das Gesicht ziehen und sie als Maske benutzen.“

„Meine Abteilung hatte bis Donnerstag, den 9. April, noch keine Schutzmasken erhalten, aber wir dürfen alle nicht mit der Presse sprechen, denn wir wurden in Versammlungen immer wieder davor gewarnt wurden, damit nach außen zu gehen.“

„Sie geben uns eine Prämie von 500 Dollar, wenn wir im Monat April keinen einzigen Arbeitstag versäumen. Ich habe das Gefühl, dass hier Menschen in Not ausgenutzt werden.“

„Ich fühlte mich drei Tage lang krank und mein Vorgesetzter ignorierte mich immer wieder, bis ich positiv auf Covid-19 getestet wurde.“

„Ich habe jetzt große Angst, an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren, weil es keine wirkliche Hygiene gibt. Ich sehe niemanden, der die Tische im Pausenraum reinigt. Ich sehe niemanden, der die Toiletten desinfiziert. Es gibt kein Desinfektionsmittel, wo wir mit dem Fleisch arbeiten, und wir arbeiten alle in Nähe zueinander! Bitte, wir sind Menschen, und sie können uns nicht auf diese Weise misshandeln. Es gibt viele Dinge, die dieses Unternehmen verbirgt, aber es gibt mehr als 190 kranke Menschen.“

Am Samstag organisierte die Migrantenorganisation eine Protestaktion vor dem Werk, bei der zahlreiche Arbeiter mit ihren Autos im Konvoi um das Gelände fuhren, um die Schließung zu fordern. Da sich ein potenzieller Streik abzeichnete, drängten der Gouverneur von South Dakota Kristi Noem und der Bürgermeister von Sioux Falls Paul TenHaken das Unternehmen, den Betrieb für 14 Tage auszusetzen, damit sich die Beschäftigten in freiwillige Quarantäne begeben können und das Werk desinfiziert werden kann.

Auch ohne Pandemie sind Fleisch- und Geflügelfabriken berüchtigt für tödliche Unfälle und regelmäßige Arbeitsunfälle durch rutschige Böden, Arbeitshetze und gefährliche Schneidegeräte. Dieser menschliche Tribut wird sich unter den neuen Richtlinien der Centers for Disease Control (CDC), die letzte Woche von der Trump-Regierung angekündigt wurden, nur noch verschlimmern. Hiernach können Arbeitgeber von den Beschäftigten verlangen, dass sie auch nach Kontakt mit Infizierten am Arbeitsplatz bleiben, solange sie keine Symptome zeigen.

Die Bundesbehörde für Arbeitsschutz OSHA setzt keine neuen pandemiespezifischen Normen durch sondern überlässt es den Arbeitgebern, wie sie für Schutz sorgen.

Angesichts dieser Bedingungen haben Arbeiter in der Fleischindustrie ebenso wie Beschäftigte im Gesundheitswesen, in der Automobilindustrie, im öffentlichen Nahverkehr und in der Abwasserentsorgung in den USA und auf der ganzen Welt die Dinge selbst in die Hand genommen, um ihr Leben zu schützen.

Neben Protesten haben sich viele Beschäftigte einfach geweigert, zur Arbeit zu erscheinen, was die Schließung von mindestens 10 Betrieben in den USA und Kanada erzwungen hat.

  • Fast ein Drittel der Arbeiter - zwischen 800 und 1.000 Arbeiter pro Tag - sind seit Ende März in der Rindfleischfabrik JBS USA in Greeley, Colorado abwesend. Mindestens 50 Fabrikarbeiter wurden positiv getestet, und der 78-jährige Saul Sanchez, der seit 30 Jahren im Betrieb arbeitete, starb am 7. April an der Krankheit.
  • Der Betrieb in der Schweinefleischverarbeitungsanlage von JBS USA in Souderton, Pennsylvania, wurde eingestellt, nachdem Enock Benjamin, ein 70-jähriger haitianischer Einwanderer und Gewerkschaftsvertreter im Betrieb, an Covid-19 gestorben war und mehrere Manager „grippeähnliche Symptome“ zeigten
  • Ein Cargill-Werk in Hazleton im östlichen Pennsylvania wurde vorübergehend geschlossen, nachdem 164 Fälle diagnostiziert worden waren.
  • Die Schweinefleischfabrik Olymel in Quebec wurde am 29. März geschlossen, nachdem 50 Arbeiter positiv getestet worden waren. Die Arbeiter „haben nicht das Gefühl, dass das Unternehmen alle Maßnahmen ergriffen hat, die sie hätten ergreifen können, um sie zu schützen“, so eine Gewerkschaftssprecherin.
  • Die Beschäftigten eines Hühnerverarbeitungsbetriebs in Wayne Farms in Alabama reagierten mit Wut, nachdem das Unternehmen ihnen mitgeteilt hatte, dass sie für den Kauf von Schutzmasken 10 Cent pro Tag zahlen müssten.
  • Tyson Foods, der größte US-Fleischproduzent, schloss wegen Ausbrüchen des Coronavirus vorübergehend mehrere Werke, darunter einen Betrieb in Columbus Junction, Iowa, wo mehr als zwei Dutzend Mitarbeiter positiv getestet wurden. Zuvor waren bereits drei Beschäftigte in einer Geflügelfabrik des Konzerns in Camilla, Georgia gestorben.

Einem Bericht der New York Times zufolge wurde eine der verstorbenen Arbeiterinnen aus Georgia aufgefordert, zur Arbeit zurückzukehren, obwohl sie krank war: „Annie Grant, 55, hatte zwei Nächte lang Fieber gehabt. Besorgt wegen des Coronavirus hatten ihre erwachsenen Kinder auf sie eingeredet, zu Hause zu bleiben, anstatt in die kühle Geflügelfabrik zu gehen, wo sie seit fast 15 Jahre am Packband arbeitete.

„Aber am dritten Tag ihrer Erkrankung bekam sie eine Nachricht von ihrer Mutter. ‚Sie sagen mir, ich muss wieder zur Arbeit kommen‘, hieß es darin. Annie Grant kam schließlich zurück nach Hause und starb am Donnerstagmorgen in einem Krankenhaus, nachdem sie mehr als eine Woche lang an einem Beatmungsgerät um ihr Leben gekämpft hatte. Zwei weitere Arbeiter in demselben Geflügelwerk von Tyson Foods in Camilla sind in den letzten Tagen ebenfalls gestorben.“

Die UFCW feiert sich für eine Vereinbarung mit mehreren fleischverarbeitenden Unternehmen, darunter Pilgrim's Pride, Conagra Foods, Cargill, Hormel, JBS, Kraft Heinz, Olymel und Maple Leaf, die den 40.000 UFCW-Mitgliedern während der Pandemie kleine Boni gewährt sowie Versprechen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des Zugangs zu Krankengeld enthält.

Der UFCW-Vorsitzende Anthony Perrone pries die Unternehmen für ihre „echte Führung“ und behauptete fälschlich: „Diese Lohn- und Leistungserhöhungen werden nicht nur die Gesundheit und das Wohlergehen dieser hart arbeitenden Männer und Frauen schützen, sondern sie werden auch dazu beitragen, dass alle amerikanischen Familien die Nahrung erhalten, die sie zur Überwindung der öffentlichen Gesundheitskrise benötigen, mit der unsere Nation konfrontiert ist.“

Viele der Prämien sind tatsächlich an Anwesenheit geknüpft und setzen die Arbeiterinnen und Arbeiter unter Druck, trotz Lebensgefahr an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben. Im letzten Jahr verdiente Perrone 340.684 Dollar, aber nach Jahrzehnten verratener Streiks und Lohnzugeständnisse durch die UFCW verdient der durchschnittliche Fleisch- und Geflügelarbeiter 15 Dollar pro Stunde oder weniger als 30.000 Dollar im Jahr. Da ein Drittel der Belegschaft aus eingewanderten Arbeitnehmern besteht, darunter auch Arbeiter ohne Papiere, verdienen viele weitaus weniger.

Nachdem er gezwungen worden war, das Werk in Sioux Falls zu schließen, erklärte Smithfield-CEO Sullivan - der 4 Millionen Dollar im Jahr erhält - dass die Schließung des Werks und anderer Fleischverarbeitungswerke „unser Land gefährlich nahe an den Rand bringt, was unsere Fleischversorgung betrifft. Es ist unmöglich, volle Regale in unseren Lebensmittelläden zu haben, wenn unsere Betriebe nicht laufen.“

Die Lebensmittelversorgung ist in der Tat ein kritischer Bereich. Aber die riesigen Lebensmittelverarbeitungskonzerne scheren sind nicht um das Wohlergehen der Verbraucher oder Bauern - viele von ihnen greifen auf Maßnahmen aus der Zeit der Großen Depression zurück, indem sie aufgrund der sinkenden Nachfrage von Restaurants und Schulen Milch verklappen und Ernten vernichten. Sie werden ganz im Gegenteil von Profitinteressen getrieben und wollen die Arbeitnehmer auch bei Lebensgefahr am Arbeitsplatz halten.

Ende 2018 freute sich Sullivan gegenüber der Fachzeitschrift National Hog Farmer darüber, dass die afrikanische Schweinepest und das anschließende Töten von Schweinen in ganz China und Osteuropa das Angebot verknappen und 2019 zu steigenden Schweinefleischpreisen und Gewinnen für Smithfield, den weltweit größten Schinken- und Schweinefleischproduzenten, führen würde.

Wie auch andere Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen von Beschäftigten im Gesundheitswesen, in der Automobilindustrie, im öffentlichen Nahverkehr und in der Abwasserentsorgung auf der ganzen Welt sowie Aktionen von nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten bei Whole Foods, Amazon und Instacart sind die Proteste der Beschäftigten in der Fleischindustrie hauptsächlich von den Arbeitern selbst initiiert worden, und zwar gegen die Bestrebungen der Gewerkschaften, sie an unsicheren Arbeitsplätzen am Arbeitsplatz zu halten.

Diese Bewegung muss durch die Bildung von Fabrik- und Arbeitsplatzkomitees entwickelt werden, um die Schließung infizierter Betriebe, die volle Entschädigung der entlassenen Arbeiter und solange die Nicht-Rückkehr an den Arbeitsplatz zu fordern, bis diese Komitees in Zusammenarbeit mit Gesundheitsexperten sicherstellen können, dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter über die notwendige Schutzausrüstung, die nötigen Tests und die erforderliche Arbeitsumgebung verfügen, um sicher arbeiten zu können.

Dies muss mit dem Kampf für ein sozialistisches Programm verbunden sein. Hierzu gehört auch die Verstaatlichung der riesigen Lebensmittelkonzerne, so dass die Bereitstellung von Lebensmitteln, wie die Gesundheitsversorgung und alle anderen sozialen Rechte, entlang der menschlichen Bedürfnisse und nicht nach privatem Profit ausgerichtet wird.

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