In den Staaten Südosteuropas steigt die Zahl der Covid-19-Erkrankungen rasch an. Die schnelle Ausbreitung wirft ein Licht auf die verheerenden sozialen, ökonomischen und politischen Zustände in der Region.
Die Länder des ehemaligen Jugoslawiens und andere Balkanstaaten haben Grenzkontrollen verschärft, Quarantäne für Einreisende angeordnet und teilweise den Ausnahmezustand verhängt. Doch Maßnahmen wurden meist viel zu spät eingeleitet und sind nicht koordiniert. Darüber hinaus ist das wahre Ausmaß der Infektionen kaum abschätzbar. In den Ländern werden kaum Tests durchgeführt, und so ist die Dunkelziffer enorm.
Sollte die Covid-19-Pandemie Südosteuropa mit ähnlicher Härte treffen wie Italien oder Spanien, würden das ohnehin marode oder kaum vorhandene Gesundheitswesen und die soziale Infrastruktur vollständig kollabieren. Ein Eindämmen des Virus wäre im Grunde unmöglich.
Kroatien hat von Donnerstag auf Freitag die Grenzen für den Personenverkehr gesperrt. Es sind 254 bestätigte Infektionen (Sonntagabend) bekannt. Im Verlauf einer Woche hat sich die Zahl der Infizierten mehr als versechsfacht. Letzten Mittwoch war mit dem Tod eines älteren Mannes das erste Opfer zu beklagen.
Im benachbarten Serbien waren am Sonntagabend 188 Fälle bekannt. Es gilt eine allgemeine Ausgangssperre zwischen acht Uhr abends und fünf Uhr morgens. Die für Ende April geplanten Parlamentswahlen wurden verschoben, und die EU stellt dem Land 7,5 Millionen Euro zur Bekämpfung der Krise zur Verfügung.
In Bosnien-Herzegowina stieg die Anzahl der Fälle auf 93. In beiden Landesteilen wurde der Notstand ausgerufen.
Montenegro war bis letzten Dienstagabend das letzte Land Europas, aus dem keine Corona-Infektionen gemeldet waren. Mittlerweile sind zwei Frauen positiv getestet worden, die aus den USA bzw. Spanien zurückgekehrt waren. Die Grenzen wurden für Ausländer geschlossen. In dem 650.000-Einwohner-Land befinden sich über 1000 Menschen in Quarantäne. Die Regierung ließ Versammlungen verbieten.
In Albanien gilt seit Donnerstag ab 18 Uhr eine Ausgangssperre. Zuletzt waren hier 89 Infizierte und zwei Todesfälle registriert. Hotspot ist die Hauptstadt Tirana, wo über die Hälfte der Infizierten lebt.
Im Kosovo sind 22 Fälle bekannt. Aufgrund der desolaten öffentlichen Strukturen besitzt diese Zahl kaum Aussagekraft. Der Großteil der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitet im Ausland, daher dürfte die reale Zahl weitaus höher sein.
Im EU-Mitgliedsland Bulgarien sind 185 Menschen infiziert, fünf starben an den Folgen der Infektion. Schon vor einer Woche wurde der Notstand ausgerufen.
Besonders viele Fälle sind in Slowenien aufgetreten. Das Nachbarland Italiens meldete zuletzt 414 Infektionen und einen Todesfall.
In den letzten 30 Jahren wurden die ehemals relativ gut ausgebauten öffentlichen Gesundheitssysteme in der Region systematisch zerstört. Die Einführung kapitalistischer Verhältnisse, die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, die weitreichenden Privatisierungen und harten Spardiktate, welche die EU als Voraussetzung für einen Beitritt diktierte, haben jedes soziale Netz zerstört. In den meisten Ländern ist die adäquate Versorgung schon außerhalb von akuten Krisen kaum gewährleistet.
Die Situation im Gesundheitswesen ist dramatisch. „In den Kliniken fehlt es an allem, nicht nur an Medikamenten, an Reinigungsmitteln und natürlich an Personal“, berichtet die Taz. „Seitdem sich Deutschland weigert, Schutzkleidungen und Mundschutz außerhalb der EU zu exportieren“, so der Artikel, „sind Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Nordmazedonien und Albanien der auf sie zurollenden Corona-Epidemie fast schutzlos ausgeliefert.“
Die New York Times beschreibt ein Krankenhaus in der serbischen Hauptstadt Belgrad, das zu den „besseren“ gehört: „Mit ihrer heruntergekommenen Fassade, abblätternden Wänden und mit Metallbetten vollgestopften Räumen war die Klinik für Infektionskrankheiten im Zentrum Belgrads seit Jahrzehnten ein Symbol für Serbiens ausgeblutetes Gesundheitssystem, das nun mit einer großen Virenepidemie fertig werden muss.“ Die Zeitung zitiert Bane Spasic, der dort kürzlich wegen einer leichten Infektionskrankheit aufgenommen wurde, mit den Worten: „Wenn der Corona-Virus dich nicht umbringt, dann tut es das Krankenhaus.“
Alle Länder der Region erlebten in den letzten Jahren die massive Abwanderung von jungen Ärzten und gut ausgebildetem Pflege- und anderem medizinischem Personal. Grund dafür sind die Hungerlöhne und die katastrophalen Bedingungen, unter denen das Personal in den Heimatländern arbeiten muss. Schätzungen gehen davon aus, dass rund 50 Prozent der Ärzte und Krankenschwestern vorwiegend in westeuropäische Länder abwanderten, wo ein chronischer Mangel an Ärzten und Pflegekräften herrscht. Serbien hat bereits ein entsprechendes Abkommen mit Deutschland gekündigt, um die weitere Abwanderung von Pflegekräften zu verhindern.
Nun werden pensionierte Ärzte, die selbst zur Risikogruppe gehören, sowie Medizinstudenten eingesetzt, um die Versorgung – bei momentan geringen Fallzahlen – aufrecht zu erhalten. Bulgarien erhöht das monatliche Gehalt von Angestellten im Gesundheitsbereich um 500 Euro, Albanien, wo das Durchschnittsgehalt bei rund 400 Euro liegt, sogar um 1000 Euro. Auch die rechte serbische Regierung von Aleksandar Vucic hat eine Lohnerhöhung von 10 Prozent angekündigt. In diesen Ländern war es in den letzten Jahren immer wieder zu Streiks und Protesten für eine bessere Bezahlung im Gesundheitswesen gekommen, die allesamt von den Regierungen ignoriert und unterdrückt wurden.
In Slowenien hat eine Organisation junger Ärzte auf die prekäre Situation im Land aufmerksam gemacht. Nach ihren Berechnungen benötigt das kleine Land zwischen Alpen und Adria Mitte April voraussichtlich 500 Intensivbetten. Derzeit stehen 200 zur Verfügung, die schon in einer Normalsituation voll belegt sind.
Die Croatian Association of Hospital Physicans (HUBOL) erklärte am Freitag, dass die Gesundheitseinrichtungen in Kroatien für eine Corona-Epidemie nicht hinreichend ausgestattet seien. Es gebe einen akuten Mangel an Schutzausrüstung, Behandlungsmaterial und Personal, die das Personal, Patienten und das gesamte Gesundheitssystem massiv gefährde, so die Organisation.
In Bosnien erklärte der Chef einer Klinik in Sarajewo, Zlatko Kravic, gegenüber AFP, das Land erwarte eine „Explosion“ der Infektionen und diese sei „schwierig zu kontrollieren“. Die beiden Kliniken in der Hauptstadt sind nicht auf eine solche Situation vorbereitet. In beiden Einrichtungen stehen insgesamt nur 70 Atemschutzmasken zur Verfügung.
Die in der Regel rechten und zutiefst verhassten Regierung in der Region begegnen dem Ausbruch der Epidemie mit unkoordinierten Maßnahmen. Im früheren Jugoslawien sind die Regierungen heftig zerstritten. Konflikte zwischen Serbien und Kroatien, Albanien und dem Kosovo oder zwischen den verfeindeten Teilen Bosniens dominieren das politische Geschehen. Unter diesen Bedingungen gibt es auf engstem Raum keine koordinierten Maßnahmen, geschweige denn gegenseitige Unterstützung, die eine Ausbreitung des Virus eindämmen könnte.
Stattdessen versuchen die Regierungen, von ihrer eigenen Verantwortung für die Krise abzulenken, und reagieren mit rassistischen Kampagnen. Während in Bulgarien das Gesundheitswesen ruiniert ist und ein großer Teil der Bevölkerung in Armut und miserablen sozialen Verhältnissen lebt, geht die Regierung unter dem Vorwand, gegen die Ausbreitung des Corona-Virus zu kämpfen, gegen die Minderheit der Roma vor.
„In einigen Teilen Bulgariens gelten für zehntausende Roma bereits Maßnahmen, die an Kriegsrecht erinnern,“ merkte Euractiv dazu an. Für komplette Stadtbezirke in Nowa Sagora, Kasanlak und Sliwen, in denen insgesamt mehr als 50.000 Roma leben, gelten besondere Maßnahmen. Mit massivem Polizeiaufgebot werden die Bewohner daran gehindert, das Gebiet zu verlassen.
Damit folgt die Regierung der konservativen GERB von Ministerpräsident Bojko Borissow den Forderungen des faschistischen Koalitionspartners VMRO. Dieser fordert die komplette Isolation der Bewohner, denen es „an Disziplin“ mangele. Die Roma leben, wie häufig in Osteuropa, in Bulgarien zum größten Teil unter katastrophalen Bedingungen. In den Vierteln gibt es keine oder nur unzureichende Wasserversorgung, teilweise keine Kanalisation und keine Möglichkeit zur Versorgung mit Lebensmitteln. Sollte hier das Virus auftreten, würde es sich ungehindert ausbreiten.
Die kriminellen politischen Eliten in Südosteuropa nutzen die Krise auch, um Angriffe auf die Bevölkerung zu verschärfen. So schlug der kroatische Rechtsextremist Miroslav Škoro, der bei der Präsidentschaftswahl Ende letzten Jahres 24 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte und von mehreren rechten und konservativen Parteien unterstützt wurde, vor, alle Beschäftigten nur noch nach dem Mindestlohn zu bezahlen, um die Wirtschaft zu stützen. Der Mindestlohn liegt in Kroatien bei rund 500 Euro.