Die von der Bundesregierung genehmigten Rüstungsexporte haben sich im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. Dies geht aus der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor. Demnach betrug das Exportvolumen 2019 mehr als acht Milliarden Euro und erreichte damit eine nie dagewesene Höhe.
Den Zahlen des Wirtschaftsministeriums zufolge entfielen mindestens 32 Prozent der Exportgenehmigungen auf „Kriegswaffen“. Eingesetzt werden sie in sämtlichen großen Konfliktregionen der Welt, von Südosteuropa über die Golfregion bis zur koreanischen Halbinsel. Zugleich dient der massive Rüstungsexport der Erhöhung der Produktionszahlen und der Erzielung entsprechender Skalenerträge, die für eine wirtschaftlich effiziente Aufrüstung Deutschlands und Europas unerlässlich sind.
Mit 1,77 Milliarden Euro steht Ungarn mit weitem Abstand an der Spitze der deutschen Waffenkunden. Die Bundesregierung belieferte das Regime von Ministerpräsident Victor Orban unter anderem mit 44 Leopard-Panzern, 24 Panzerhaubitzen, 36 Kampfhubschraubern und einem neuen Luftabwehrsystem.
Das Nato-Mitglied Ungarn ist ein enger Verbündeter Deutschlands und geht auf dem Balkan mit äußerster Härte und Kriminalität gegen Flüchtlinge vor. Die ungarischen Streitkräfte spielen dabei eine zentrale Rolle. So kündigte Verteidigungsminister Szilard Nemeth in den vergangenen Tagen an, den Einsatz des Militärs gegen „illegale Grenzübertritte“ für unbestimmte Zeit auf über 500 Soldaten zu verdoppeln. Die Truppen sollen an den Grenzen zu Serbien, Rumänien und Kroatien patrouillieren und so die Internierung von Kriegsflüchtlingen in Ungarns berüchtigtem „Transitlager“ unterstützen, zu dem Journalisten keinen Zutritt haben.
Im Oktober war Ungarn Schauplatz der internationalen militärischen Grenzschutzübung „Cooperative Security“ gewesen, in deren Rahmen Militär- und Polizeikräfte aus Österreich, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Slowenien, Kroatien und Polen gemeinsame Einsätze probten. Laut der Webseite des österreichischen Bundesheers verfolgte die Übung primär das Ziel, zukünftige „Migrationsaufkommen (…) mit zivil-militärischen Kräften unter Kontrolle zu bringen“.
Neben den Lieferungen an Ungarn und weitere Nato-Verbündete sind auch die Exportgenehmigungen für sogenannte „Drittländer“ um fast eine Milliarde auf mindestens 3,51 Milliarden Euro gestiegen. Dazu zählten Kriegswaffen im Umfang von 817 Millionen Euro – ebenfalls eine annähernde Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr.
Zu den zehn wichtigsten Kunden Deutschlands gehörten Ägypten (811 Millionen), Algerien (238 Millionen), Katar (223 Millionen), Indonesien (201 Millionen) und die Vereinigten Arabischen Emirate (206 Millionen). Regierungssprecher Seibert hatte diese Exportpolitik im Juni zynisch als „sehr restriktiv“ bezeichnet.
Das ägyptische Regime von General Abdel-Fattah al Sisi belegte im vergangenen Jahr insgesamt Platz zwei der wichtigsten Waffenkunden Deutschlands. Medienberichten zufolge importierte das Land unter anderem Feuerleiteinrichtungen, Zielerfassungssysteme, Raketen und Flugkörper.
Auf Platz drei lag im ersten Halbjahr 2019 Südkorea mit mindestens 241 Einzelgenehmigungen im Wert von insgesamt 278 Millionen Euro. Den Schwerpunkt bildeten Flugkörper und Flugkörperabwehrsysteme, aber auch Komponenten für U-Boote, Kampfschiffe und Panzerhaubitzen.
In ihrem Koalitionsvertrag von 2018 hatten Union und SPD behauptet, man wolle Waffenexporte an „unmittelbar“ am Jemenkrieg beteiligte Länder stark einschränken. Dies stellt sich nun als Lüge heraus. Ägypten und die VAE gehören zu den Grundpfeilern der von Saudi-Arabien angeführten internationalen „Koalition“, die im verarmten und isolierten Jemen seit Jahren einen völkermörderischen Angriffskrieg führt. Der Kampf gegen sogenannte „Rebellen“ hat einem von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen Bericht zufolge insgesamt 233.000 Menschen das Leben gekostet, ein Großteil davon Kinder unter fünf Jahren.
Wenn nun SPD- und Oppositionspolitiker eine „Verschärfung der bestehenden Rüstungsexportrichtlinien“ fordern, so ist dies zutiefst verlogen. So verlangte etwa der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Sören Bartol, dessen Partei für die bisherigen Exportgenehmigungen mit verantwortlich zeichnet, „deutsche Waffen“ solle es „höchstens für enge Partner“ geben.
Tatsächlich wird in der herrschenden Klasse seit geraumer Zeit eine Diskussionen über eine „Europäisierung“ der Rüstungsindustrie und der Rüstungsexporte geführt, die auch von der SPD unterstützt wird. Eine solche „Europäisierung“ würde die laschen deutschen Exportregeln weiter aushöhlen, da andere europäische Länder noch weniger Beschränkungen kennen, und die Exportchancen der deutschen Waffenindustrie auf dem Weltmarkt erhöhen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
„Gerade für Deutschland würden einheitliche europäische Regeln die bisherigen Nachteile ausgleichen, die deutsche Anbieter auf dem Weltmarkt gegenüber anderen europäischen Anbietern haben“, heißt es dazu in einem Strategiepapier der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vom 19. Dezember.
Eine „europäisierte Rüstungsexportpolitik“ könne „europäische Kräfte“ bündeln, „die sonst zum Teil gegeneinander arbeiten“, schreibt der einflussreiche deutsche Thinktank weiter. „Im Verständnis vieler europäischer Staaten [gehört] zu einer handlungsfähigen EU auch eine leistungsfähige industrielle Basis. Nur so kann in zentralen Bereichen unabhängig agiert werden. Dann dienen Exporte auch der Finanzierbarkeit der industriellen Basis, denn der EU-Markt allein ist zu klein. Der außereuropäische Export ist also ein Teil der rüstungsindustriellen Gesamtstruktur der EU und ermöglicht seine Existenz.“
Mit anderen Worten: Um seine „rüstungsindustrielle Basis“ zu schützen und von den USA und anderen Großmächten zunehmend „unabhängig agieren“ zu können, müsse Deutschland, gemeinsam mit „zukünftigen rüstungsindustriellen Partnern“, den „außereuropäischen Export“ auf europäischer Ebene organisieren. Zu diesem Zweck solle Deutschland „das Thema Industriekonsolidierung in Europa wieder ins Spiel bringen“ und „ein eigenes sicherheitspolitisches Koordinatensystem“ festlegen. Andernfalls, so das Papier, drohe, dass Deutschland in den EU-Rüstungsexportverhandlungen „ein weiteres Mal scheitert“.
Zuletzt hatten widerstreitende Wirtschaftsinteressen Deutschlands und Frankreichs in dieser Frage zu Verzögerungen und handfesten Konflikten bei den transnationalen Kampfpanzer- und Jagdflugzeugprojekten MGCS und FCAS geführt.
Die „Europäisierung“ der Rüstungsexporte soll außerdem dazu dienen, andere Länder unter Druck zu setzen und von Europa abhängig zu machen. „Mit einer europäisch-einheitlichen Rüstungsexportpolitik ließe sich größerer politischer Druck auf (…) Abnehmerstaaten europäischer Rüstungsgüter ausüben“, schreibt die DGAP.