Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) haben sich auf eine weitreichende Verschärfung des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetztes (NetzDG) geeinigt.
Dieses Gesetz verpflichtet Anbieter Sozialer Medien wie Facebook, Youtube und Twitter seit Januar 2018 dazu, bestimmte Meinungsäußerungen zu löschen. Sind diese rechtswidrig, muss die Löschung innerhalb einer Woche erfolgen, sind sie „offensichtlich rechtswidrig“ sogar innerhalb von nur 24 Stunden.
Die Frage, ob eine Meinungsäußerung rechtswidrig ist, die oft schwierig und Gegenstand langwieriger juristischer Auseinandersetzungen ist, wird von den Internetkonzernen entschieden. Diese müssen dem Staat halbjährlich Transparenzberichte erstatten. Kommen sie ihren Verpflichtungen nicht ausreichend nach, drohen Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro. Für fälschliches Löschen drohen demgegenüber keine Strafen. Das Overblocking, das sich daraus ergibt – „lieber zu viel als zu wenig löschen“ –, ist ein beabsichtigtes Ergebnis der Konstruktion.
Seitdem sind denn auch Zehntausende, inzwischen wohl eher Hunderttausende Beiträge gelöscht worden. Um der Frage auszuweichen, ob eine Meinungsäußerung rechtswidrig sei, verweisen die Konzerne gern auf ihre eigenen, weitergehenden und vage formulierten Nutzungsbedingungen.
Facebook-Nutzer haben zwischen Januar und Juli 2019 1050 „Hasskommentare“ gemeldet. Facebook hat davon nur 349 Inhalte gelöscht. Zusätzlich hat das soziale Netzwerk in Deutschland allerdings im ersten Quartal 2019, also von Januar bis März, mehr als 160.000 Inhalte entfernt, weil sie gegen die eigenen Richtlinien verstießen.
Das Bundesamt für Justiz bezweifelt dennoch, dass Facebooks Zahl der gelöschten Postings dem Ausmaß von Hate Speech entspricht, und verhängte im Juli ein Bußgeld von zwei Millionen Euro.
Den Regierungsparteien SPD, CDU und CSU sowie den Grünen und Vertretern von Staat und Justiz reicht die bisherige Einschränkung der Meinungsfreiheit noch nicht aus. Laut dem zwischen Lambrecht und Seehofer abgestimmten Gesetzentwurf, über den zuerst der Spiegel berichtet hatte, müssen die Anbieter die Inhalte nun auch an das Bundeskriminalamt (BKA) melden. Löschen allein reicht nicht mehr aus. Facebook, Youtube, Twitter und andere Plattformen müssen in Zukunft die IP- oder Mailadressen der Verantwortlichen an die Behörden übermitteln.
Die Bundesregierung will außerdem prüfen, ob mehr Plattformen das NetzDG umsetzen müssen. Das betrifft zum Beispiel die Game-Streaming-Plattform Twitch. Nach dem rechtsradikalen Anschlag in Halle mit zwei Toten, der beinahe zum größten Massenmord an Juden seit dem Zweiten Weltkrieg führte, hatte Innenminister Seehofer gefordert, man müsse „die Gamerszene stärker in den Blick nehmen“, und dafür teilweise Unterstützung von den Grünen erhalten.
Ermittler fordern Daten bisher über Rechtshilfeabkommen, sogenannte MLATs, an. Bei Facebook laufen solche Anfragen über die Justizbehörden in Irland, wo Facebook seinen Europasitz hat, oder über die Justiz am Facebook-Stammsitz in den USA. Um der Meldepflicht zuvorzukommen, hat Facebook kürzlich entschieden, auf Anfrage deutscher Ermittler künftig binnen weniger Tage E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von mutmaßlichen Tätern herauszugeben.
Außerdem will die Bundesregierung das Strafrecht ändern. Wer Straftaten „verharmlost“ oder zu solchen aufruft, soll künftig angezeigt werden können. Beleidigungen, die im Internet geäußert werden, sollen zudem härter bestraft werden. Für Beleidigungen soll die Meldepflicht der Plattformen jedoch vorerst nicht gelten. Trotzdem rechnen spezialisierte Staatsanwälte damit, dass eine sechs- bis siebenstellige Zahl von Ermittlungsverfahren ins Haus steht.
Dazu soll das BKA erheblich aufgestockt werden. Am 5. November hatte Justizministerin Lambrecht in der FAZ erklärt: „Die Weitergabe der privaten Nutzerbeschwerden soll die Lücke schließen, die das Ausbleiben privater Strafanzeigen hinterlässt. Damit schlagkräftig und konsequent gegen die Verantwortlichen vorgegangen werden kann, wollen wir dem Bundestag die Schaffung von mehr als 400 neuen Stellen für das BKA vorschlagen.“
Die massive Zensur, vor der die WSWS von Anfang an gewarnt hat, wird so um eine Kriminalisierung von Meinungsäußerungen im Internet erweitert. Dabei sollte sich niemand von der offiziellen Propaganda blenden lassen, damit solle der Rechtsextremismus bekämpft werden. Diesem bereitet der Staat selbst den Boden, indem er die AfD und rechte Ideologen legitimiert und gegen ihre Kritiker und Gegner vorgeht, gegen die sich die Zensur und Kriminalisierung letztlich richtet.
Zugleich verfolgt die Europäische Union noch weitergehende Pläne. Die EU-Kommission will Online-Plattformen künftig auch in anderen Fällen als Urheberrechtsverstößen zum Einsatz von Upload-Filtern zwingen. Sie begründet solche „proaktive Maßnahmen“ mit der Verringerung des „kriminellen Missbrauchs“ von Online-Diensten. Außerdem könnten unerwünschte Veröffentlichungen wie „Hassrede“ und „Desinformation“ mit der Sperrung von Online-Konten bestraft werden.
Die Plattformen sollen außerdem verpflichtet werden, „proaktiv“ und bei Ermittlungen mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Diese Vorschläge ergeben sich aus einem geleakten Arbeitsdokument der EU-Kommission.