Atomares Wettrüsten: USA wollen China mit Raketen einkreisen

Am Freitag haben sich die USA offiziell aus dem wichtigsten Atomvertrag der Welt, dem INF-Vertrag, zurückgezogen. Nur wenige Stunden später machte das Pentagon deutlich, dass es China im Rahmen eines sich rasant beschleunigenden atomaren Wettrüstens mit Raketen einkreisen will.

Eine Atomrakete vom Typ Titan II [Quelle: US-Verteidigungsministerium]

US-Verteidigungsminister Mark Esper erklärte während eines Staatsbesuchs in Australien vor Reportern, das Pentagon werde „eher früher als später“ Raketen stationieren, die gemäß dem INF-Vertrag verboten waren.

Esper erklärte: „Mir wäre es lieber, wenn es nur Monate dauern würde.“

Die Stationierung von Mittelstreckenraketen im Pazifik würde die chinesische Küste und die Pazifikinseln um sie herum in ein nukleares Kampfgebiet verwandeln. Milliarden Menschenleben in China, auf der koreanischen Halbinsel, in Japan, Taiwan und der ganzen Region wären in Gefahr.

Der INF-Vertrag, der 1987 von US-Präsident Ronald Reagan und seinem sowjetischen Amtskollegen Michail Gorbatschow unterzeichnet worden war, hat den USA und Russland die Entwicklung von Raketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.000 Kilometern verboten. Das bedeutete, dass in einem Großteil von Europa und der Pazifik-Region keine Atomraketen stationiert werden durften.

Michail Gorbatschow, Generalsekretär der Sowjetunion, und US-Präsident Ronald Reagan bei der Unterzeichnung des Vertrags über nukleare Mittelstreckenwaffen, Ostsaal des Weißen Hauses, 8. Dezember 1987 [Photo: White House Photographic Office]

Doch seither hat sich das militärische Gleichgewicht durch technologische Entwicklungen verschoben, und die USA haben ihren Konflikt mit China, das den Vertrag nicht unterzeichnet hat, verschärft. Vor diesem Hintergrund hat Washington den Vertrag aus der Zeit des Kalten Kriegs zunehmend als Hindernis für seine Ziele gesehen, Peking militärisch einzukreisen.

Die mögliche Stationierung von US-Atomraketen, die in wenigen Minuten das chinesische Festland erreichen können, wird die Spannungen drastisch verschärfen, und die riesige Bevölkerung der Region wird mit dem Schreckgespenst der atomaren Vernichtung leben.

UN-Generalsekretär António Guterres erklärte als Reaktion auf den Rücktritt der USA vom INF-Vertrag: „Die Welt wird eine unschätzbare Bremse für den Ausbruch eines Atomkriegs verlieren.“

Der leitende Direktor der Arms Control Association, Daryl Kimball, erklärte, Trump „verfolgt eine Strategie, die die Bedingungen für ein gefährliches Wettrüsten schaffen wird“. Auch die Financial Times warnte, Trump „facht das atomare Wettrüsten wieder an“.

Esper verteidigte die Entscheidung zur Stationierung von Raketen in einem dicht besiedelten Gebiet Tausende von Kilometern von Amerika entfernt mit dem Vorwurf, China würde „durch räuberische Wirtschaftspraktiken das globale Gemeinschaftsgut als Waffe einsetzen“.

Mit anderen Worten, China bedroht die USA durch friedliche wirtschaftliche Aktivitäten und sollte deshalb mit militärischer Vernichtung bedroht werden.

Esper erklärte weiter: „Wir glauben fest daran, dass kein Land den Indo-Pazifik dominieren kann oder sollte.“ Diese Worte kommen vom Vertreter eines Landes, das im Zweiten Weltkrieg Hunderttausende von japanischen Zivilisten „verbrannt, gekocht und zu Tode gebacken“ hat (wie es Air-Force-General Curtis Lemay formulierte), um den Pazifik zu erobern.

US-Außenminister Mike Pompeo, der Esper bei seinem Besuch in Australien begleitet, erklärte später, die USA hätten hinsichtlich der „Gefahr“, die von China ausgeht, „mit offenen Augen geschlafen“.

Danach bekräftigte er Espers Erklärung, Chinas friedliches Wirtschaftswachstum stelle eine militärische Bedrohung für die USA dar.

Er erklärte: „Ich höre, wie Leute über handels- und wirtschaftspolitische Fragen sprechen, als wären sie getrennt von der nationalen Sicherheit. Wir dürfen nicht vergessen, dass Chinas militärische Fähigkeit, die Fähigkeit der Volksbefreiungsarmee, genau das zu tun, was sie tut, ein direktes Ergebnis der Handelsbeziehungen ist, die China aufgebaut hat.

Sie haben ihr Land mit einer Reihe von unfairen Handelsbestimmungen groß gemacht. Deshalb konnte ihre Wirtschaft so schnell wachsen.“

Er fügte hinzu: „Diese wirtschaftlichen Werkzeuge, die Präsident Trump so dringend in Ordnung bringen will, haben es China auch ermöglicht, mit seinem Militär all die Dinge zu tun, die es tut.“

Mit anderen Worten, es gibt keine Trennlinie zwischen friedlicher Koexistenz und militärischem Konflikt. Wirtschaftswachstum und Handel sind militärische Bedrohungen, auf die Washington mit allen Mitteln reagieren wird – von Handelskriegsmaßnahmen über Säbelrasseln bis hin zu einem offenen Krieg.

Pompeos Äußerungen entsprechen der Doktrin der Großmachtrivalität mit China und Russland, die das Pentagon letztes Jahr übernommen hat. Darin heißt es: „Nicht Terrorismus, sondern Großmachtkonkurrenz ist die größte Gefahr für die nationale Sicherheit der USA.“

Das Pentagon erklärte, solche Konflikte würden den „Einsatz der gesamten Gesellschaft“ erfordern. Üblicherweise würde man das einen totalen Krieg nennen.

Abgesehen vom Ausstieg aus dem INF-Vertrag am Freitag haben die USA letzte Woche noch drei weitere Breitseiten in ihrem Konflikt mit China abgefeuert.

 Am Mittwoch senkte die US-Zentralbank den Leitzins, was allgemein als Versuch gesehen wurde, den Dollar abzuwerten und die Exporte der USA zu verbessern. Letzten Monat hatte Trump erklärt, „andere Währungen sind im Vergleich zum Dollar abgewertet worden, das hat den USA einen großen Nachteil eingebracht“, und er hatte die Fed zum Handeln aufgefordert.

 Am Donnerstag kündigte Trump an, einen zehnprozentigen Zoll auf alle chinesischen Waren einzuführen, auf die bisher noch keine Importzölle erhoben wurden, darunter eine ganze Reihe von Konsumgütern wie Telefone und andere Elektronikprodukte.

 Am gleichen Tag verabschiedeten die Demokraten im Senat gemeinsam mit den Republikanern den größten Militäretat in der Geschichte der USA. Die Fähigkeit der USA, einen Krieg gegen eine „Großmacht“ zu führen, hat sich dadurch beträchtlich erhöht.

Über keine dieser Entscheidungen findet eine ernsthafte Diskussion oder Mediendebatte statt, weil sich die Demokraten und Trump einig sind, dass ein Krieg gegen China vorbereitet werden muss. Trumps ehemaliger Wahlkampfchef Steve Bannon erklärte dazu: „Der Sieger der Wahlen, egal ob Demokrat oder nicht, wird ein genauso großer Falke sein wie Donald Trump, vielleicht sogar ein noch größerer [...] Die Haltung der Demokraten dazu ist genauso hart wie die der Republikaner.“

In mancher Hinsicht sind die Demokraten in ihrer Wortwahl noch radikaler. So hatte der demokratische Präsidentschaftskandidat Pete Buttigieg im Juni erklärt, ein Konflikt mit China sei die Grundlage für „nationale Einheit“.

Er erklärte: „Die neue Herausforderung durch China bietet uns eine Gelegenheit, über die politischen Gräben hinweg zusammenzukommen. Mindestens die halbe Schlacht wird im eigenen Land geschlagen.“

Loading