Am Sonntag fand im Centre Francais in Berlin der Wahlauftakt der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) zu den Europawahlen statt. Von der Veranstaltung, an der etwas 50 Arbeiter und Jugendliche teilnahmen, ging eine enorme politische Stärke aus. Führende Vertreter der SGP und der Vierten Internationale verteidigten Julian Assange, warnten vor der Rückkehr von Faschismus und Krieg, sprachen zum Anwachsen des Klassenkampfs und riefen zum Aufbau der Vierten Internationale als neuer Massenpartei der sozialistischen Revolution auf.
Die zweite Veranstaltung zum Wahlauftakt findet am Dienstag in Frankfurt statt.
„Die Tatsache, dass wir zwei führende Vertreter der Vierten Internationale aus Großbritannien und Frankreich als Sprecher haben, ist sehr bedeutsam und entspricht unserer zentralen Orientierung im Europawahlkampf“, erklärte Johannes Stern, SGP-Vorstandsmitglied und Redakteur der World Socialist Web Site, der die Veranstaltung leitete. Dies sei „der Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in ganz Europa und die Vereinigung der europäischen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms.“
Die Teilnahme von Chris Marsden, nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (SEP) in Großbritannien, war von besonderer Bedeutung. Marsden spielt eine führende Rolle in der Kampagne des IKVI zur Verteidigung von Julian Assange und hat in den Wochen vor Assanges Verhaftung auf zahlreichen Kundgebungen vor der ecuadorianischen Botschaft in London gesprochen.
In Berlin erklärte Marsden: „Das Internationale Komitee und all seine Sektionen führen eine intensive globale Kampagne gegen die Verhaftung des Gründers von WikiLeaks, Julian Assange, und gegen seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten. Dort werden Anklagen gegen ihn erhoben, die ihn lebenslang ins Gefängnis bringen könnten und die mit der Todesstrafe belegt sind.“ Dabei sähen viele Millionen Assange „als Helden für die wesentliche Rolle, die er bei der Aufdeckung imperialistischer Kriegsverbrechen gespielt hat.“
Marsden erklärte, dass die Verteidigung von Assange die Mobilisierung der Arbeiterklasse erfordere. Pseudolinke Tendenzen wie die Socialist Workers Party hüllten sich entweder in Schweigen oder verbreiteten die Propagandalügen der bürgerlichen Presse, um Assange zu diskreditieren. Auch Jeremy Corbyn sei bereit, Assange den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen. Der Vorsitzende der britischen Labour Party wisse, „dass seine zugewiesene Rolle darin besteht, eine zusammenbrechende Tory-Regierung zu stützen und zu verhindern, dass die Arbeiterklasse politisch zu ihrer eigenen Verteidigung eingreift.“
„Das Schicksal von Assange und Chelsea Manning, die so viel getan haben, um imperialistische Verbrechen aufzudecken, liegt jetzt in den Händen der einzigen sozialen Kraft, die solche Verbrechen beenden kann - der internationalen Arbeiterklasse“, betonte Marsden am Ende seiner Rede. Das IKVI werde ihre Verteidigung deshalb zu einer zentralen Frage im Wahlkampf machen und „in den nächsten Wochen Treffen, Proteste und Demonstrationen organisieren, um Assanges sofortige Freilassung und sichere Rückkehr nach Australien zu fordern.“
Als zweiter Sprecher wurde der SGP-Spitzenkandidat und stellvertretende Parteivorsitzende, Christoph Vandreier, via Livestream aus den USA zugeschaltet. Er präsentiert dort gegenwärtig die englische Ausgabe seines Buchs „Warum sind sie wieder da?“, das aufzeigt, wie der Aufstieg der AfD durch Professoren, Medien und alle Bundestagsparteien ideologisch und politisch vorbereitet wurde.
„Auf den ersten drei Veranstaltungen in San Francisco, San Diego und Detroit bin ich sehr beeindruckt davon gewesen, wie groß das Interesse unter Arbeitern und Jugendlichen in den Vereinigten Staaten ist, über den Aufstieg der extremen Rechten in den Deutschland zu diskutieren“, berichtete Vandreier. „Das wurde hier überhaupt nicht als Frage gesehen, die irgendwo weit weg wäre, oder nichts zu tun hätte mit der Situation in den USA selbst. Sie wurde sehr stark gesehen als ein Ausdruck einer internationalen Entwicklung, die in Wirklichkeit jedes Land der Welt betrifft.“
In den USA würde sich Präsident Donald Trump immer direkter auf faschistische Kräfte stützen, um sein brutales Vorgehen gegen Migranten und Flüchtlinge zu forcieren und die Kriegsvorbereitungen gegen die Nuklearmächte Russland und China voranzutreiben, so Vandreier. Nun habe er auch „den Kampf gegen Sozialismus ausgerufen und damit klar gemacht, worum es bei der Mobilisierung des rechten Bodensatzes der Gesellschaft eigentlich geht. Nämlich darum, die wachsende Opposition in der Arbeiterklasse gegen Krieg, soziale Ungleichheit und Angriffe auf demokratische Rechte zu unterdrücken“.
Alex Lantier, der nationale Sekretär der Parti d‘égalité socialiste, der französischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), sprach aus Paris zum Anwachsen des Klassenkampfs in Europa und weltweit. Unter anderem ging er auf die Proteste der Gelbwesten in Frankreich, die Massenproteste in Algerien, den Lehrerstreik in Polen und die Streiks und Proteste von Krankenschwestern- und Pflegern in Portugal ein. „Auch Berlin, wo die deutsche Bourgeoisie davon träumt, zum Hegemon eines remilitarisierten und kapitalistischen Europas ohne soziale Zugeständnisse zu werden, ist in Wirklichkeit das Zentrum einer politischen Gegenoffensive der Arbeiter“, sagte Lantier.
„Um diese Kämpfe zu vereinen und erfolgreich zu führen, ist es notwendig, nationale Sektionen des IKVI als revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse aufzubauen. Die Arbeiter haben das Beispiel des revolutionären Aufstands der ägyptischen Arbeiter im Jahr 2011 vor Augen, wo drei Jahre heldenhafter Kampf 2013 mit einem blutigen Staatsstreich von General Abdel Fattah endeten. Das ist eine unvergessliche Lehre, die mit Tausenden von Menschenleben bezahlt wurde: Proteste reichen nicht aus, um die herrschende Klasse zu besiegen. Die Arbeiter brauchen eine revolutionäre Führung.“
Der Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei, Ulrich Rippert, konzentrierte sich in seinem abschließenden Redebeitrag auf diese zentrale Frage. Er erinnerte daran, dass sich in diesem Jahr zum 30. Mal der Fall der Mauer jährt, die den Auftakt zur deutschen Wiedervereinigung und kurze Zeit später zur Auflösung der Sowjetunion gelegt hatte. „Nur die trotzkistische Bewegung hat damals eine korrekte Einschätzung dieses fundamentalen politischen Umbruchs gehabt und für eine progressive Perspektive gekämpft“, so Rippert. „Genau das macht die Stärke unserer Partei aus“.
Während die SED/PDS, die Vorläuferin der heutigen Linkspartei, und die anderen stalinistischen Parteien in Osteuropa den Kapitalismus restauriert und verteidigt hätten, sei das IKVI der offiziellen Propaganda vom „Ende der Geschichte“ als einzige politische Kraft entgegengetreten. Man habe unermüdlich betont, dass mit der Sowjetunion nicht der Sozialismus gescheitert sei, sondern der Stalinismus. Nun sei klar, dass der vermeintliche „Triumph des Kapitalismus“ nicht Frieden, sozialen Fortschritt oder etwa Demokratie gebracht habe, sondern genau das Gegenteil: massive soziale Ungleichheit, Autoritarismus und die Rückkehr von Faschismus und Krieg.
Rippert betonte, dass die Wiederkehr dieser Übel ein Ergebnis der historischen Krise des Kapitalismus sei, die aber gleichzeitig die Voraussetzungen schaffe, sie zu überwinden. Er nahm auf die explosive Entwicklung des Klassenkampfs Bezug und zitierte aus dem von Leo Trotzki verfassten Gründungsprogramm der Vierten Internationale: „Alles hängt ab vom Proletariat, d. h. in erster Linie von seiner revolutionären Vorhut. Die historische Krise der Menschheit ist zurückzuführen auf die Krise der revolutionären Führung.“
Ripperts abschließender Appell, jetzt politisch aktiv zu werden und sich am Aufbau der Vierten Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution zu beteiligen, fand große Resonanz. Die meisten Teilnehmer, die das erste Mal auf einer SGP-Veranstaltung waren, darunter zwei Arbeiter aus Italien, registrierten sich als Kontakte. Viele bedankten sich explizit für die Verteidigung von Julian Assange und erklärten, dass sie sich der Kampagne zu seiner Freilassung anschließen und den Wahlkampf der SGP unterstützen wollten.