Am 9. März veranstalteten Neonazis im Chemnitzer Stadion im Rahmen eines Fußballspiels eine offizielle Gedenkfeier für ihr verstorbenes Idol Thomas Haller. Die Pyrotechnik, die dabei auf der Fantribüne gezündet wurde, warf auch ein grelles Licht auf das politische Beziehungsgeflecht, das den Aufstieg der AfD ermöglicht hat.
Wie die WSWS seit langem betont, stützen sich die Rechtsextremen bisher auf keine Massenbasis in der Bevölkerung. Es sind die etablierten Parteien, die Medien und Staatsorgane, die die Faschisten bewusst hofieren und ihnen Auftrieb verschaffen. Das zeigt sich anschaulich in Chemnitz, wo die rechte Szene über einen harten Kern verfügt, der eng mit Staat und Politik vernetzt ist.
Im Stadion des Chemnitzer Fußballclubs (CFC) wurden am 9. März vor einem Heimspiel drei offizielle Gedenkminuten für den kurz zuvor an Krebs verstorbenen Thomas Haller abgehalten. Hallers Bild erschien samt Trauerflor auf der Großleinwand, über die Stadionlautsprecher ertönte Musik aus dem Film „Gladiator“, und auf der Fantribüne wurden unter Abfackeln von roter Pyrotechnik riesige schwarze Transparente entrollt, die in altdeutschen Lettern an „Tommy“ gedachten.
Während des Spiels hielt CFC-Stürmer Daniel Frahn nach einem Tor ein T-Shirt mit der Aufschrift „Support your local Hools“ in die Höhe. Ein CFC-Offizieller hatte es ihm aufs Spielfeld gereicht. Wenige Tage später, am 18. März, beteiligten sich rund tausend Rechtsextreme, darunter AfD- und Pegida-Größen, an einem Trauermarsch zu Hallers Beerdigung.
Wer war Thomas Haller?
Der gelernte Fleischer war unter rechten CFC-Fans im Stadion eine Art Institution. Er hatte seit der deutschen Wende viel zum Aufbau einer gewaltbereiten, rassistischen Neonazi-Szene beigetragen. Gleichzeitig arbeitete er als Unternehmer im Security-Bereich eng mit der Chemnitzer Prominenz, dem Stadtrat und der Polizei zusammen.
2007 brüstete sich Haller im Fußballmagazin RUND, dass er Anfang der 1990er Jahre die Organisation „HooNaRa“ gegründet habe. Der Name, der für „Hooligans, Nazis, Rassisten“ steht, spricht für sich selbst. Später entstanden unter Hallers Führung die rechten Organisationen „Kaotic Chemnitz“ und „NS Boys“, wobei das „NS“ offiziell angeblich für „New Society“ stand.
Dennoch stellte die Firma Haller-Security, die dem bekennenden Neonazi gehört, im Stadion Chemnitz jahrelang den Ordnerdienst. Der CFC trennte sich erst nach dem erwähnten RUND-Interview von Haller – „wegen vereinsschädigender Äußerungen“, wie die offizielle Begründung lautete. Darüber hinaus war Haller-Security jahrelang auf dem Chemnitzer Stadtfest und auf dem Pressefest der Freien Presse für die Sicherheit verantwortlich.
Hallers Name war auch im Zusammenhang mit der rechtsextremen Mordgruppe NSU aufgetaucht. Er stand im Adressbuch von Thomas Starke, dem Mann, der den NSU-Terroristen Sprengstoff und Wohnung beschafft hatte.
Wie die Chemnitzer Freie Presse in einem Artikel („Wer war Thomas H.?“) schrieb, war Haller auch mit Ralf Marschner befreundet, dem rechtsradikalen Unternehmer, der die NSU-Mitglieder Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in seinen Firmen angestellt hatte. Der Name Thomas Hallers wurde im Handyspeicher von Ralf Marschner entdeckt. Im „Bauservice Marschner“ standen mehrere HooNaRa-Mitglieder in Lohn und Brot, und Marschner selbst nahm in einem Musikstück seiner Rechtsrockband „Westsachsengesocks“ direkt auf HooNaRa Bezug.
Im Oktober 1999 tauchte der Name Haller auch im Zusammenhang mit dem Mordfall Patrick Thümer auf. Ein HooNaRa-Schläger hatte den 17-jährigen Punk totgeprügelt. Haller galt selbst als Beschuldigter, wurde jedoch nicht verurteilt. Gegen Haller und Marschner wurde auch wegen Strafvereitelung ermittelt, weil sie mehreren am Tod des Jugendlichen Beteiligten falsche Alibis verschafft hatten.
Viele von Hallers Bekannten, sowohl Thomas Starke als auch Ralf Marschner, waren zeitweise V-Leute von Polizei oder Geheimdienst: Thomas Starke arbeitete für das Berliner LKA, Marschner als V-Mann „Primus“ für den Bundesverfassungsschutz. Während des NSU-Prozesses hatten Opferanwälte ausdrücklich moniert, dass die HooNaRa-Verbindungen des abgetauchten NSU-Trios „so gut wie nicht ausgeleuchtet“ worden seien. Offenbar hielt der Geheimdienst seine schützende Hand darüber. Sehr wohl möglich, dass auch Haller auf der Gehaltsliste des deutschen Geheimdienstes stand.
Nach dem jüngsten Eklat im Stadion haben die Verantwortlichen des CFC versucht, sich vom Geschehen zu distanzieren. Der Verein sei von Rechtsextremen erpresst worden, rechtfertigte sich der Insolvenzverwalter Klaus Siemon. Er ist für den CFC zuständig, seitdem dieser vor einem Jahr, nach einem Stadionneubau, praktisch vor dem Bankrott stand. Nach dem Skandal um den toten Haller stellte Siemon Strafanzeige wegen „Nötigung und Landfriedensbruch“ gegen Unbekannt.
Dabei kann von Erpressung im Vorfeld des Gedenkens an Haller keine Rede sein. Noch am Tag nach dem Spiel schrieb der CFC: „Es ist ein Gebot der Mitmenschlichkeit, den Fans des CFC und Hinterbliebenen, die darum baten, die gemeinsame Trauer zu ermöglichen.“
Tatsächlich war der Verein in die Planung der Gedenkminuten vollkommen integriert. Dem Nachrichtenportal Tag24 liegt die Abschrift eines WhatsApp-Chatverlaufs vor, in dem sich CFC-Geschäftsführer Thomas Uhlig mit andern Mitarbeitern, unter anderem der Fanbeauftragten Peggy Schellenberger (SPD), über die Machbarkeit des Haller-Gedenkens austauschte. Inzwischen sind Uhlig, Schellenberger und andere entlassen worden.
In besagter WhatsApp-Korrespondenz wird Schellenberger, die auch für die SPD im Chemnitzer Stadtrat sitzt, mit den Worten zitiert: „Thommy hat das jetzt mehr als verdient!!!“ Sie bezeichnet Haller als „zuverlässigen Dienstleister, Fan und Freund“ und warnt: „Wir müssen gut abgestimmt auf Medien-Anfragen reagieren.“ Wie die taz berichtet, schrieb Schellenberger noch am Morgen des betreffenden Spiels auf Facebook (in einem mittlerweile gelöschten Post) über Haller: „Wir waren immer fair, straight, unpolitisch und herzlich zueinander.“
Keine Partei, auch nicht die SPD, meldete im Umgang mit dem HooNaRa-Gründer Haller irgendwelche Probleme an. Interessant ist auch, dass der Chemnitzer Stadtrat kürzlich einen Antrag der Piraten auf Vertragsänderung mit dem CFC rundheraus ablehnte. Laut dem Antrag sollte jede weitere Finanzierung an ein Engagement des Vereins gegen Rechtsextremismus geknüpft werden.
Diese offene Zusammenarbeit zwischen Politik und rechtsradikalen Strukturen ist besonders brisant, wenn man sie im Zusammenhang mit den pogromartigen Ausschreitungen betrachtet, die im letzten August und September in Chemnitz stattfanden.
Praktisch zur selben Zeit, zu der rund tausend Neonazis zu Hallers Beerdigung durch Chemnitz marschierten, begann am 18. März in Dresden der Prozess zum gewaltsamen Tod des Deutsch-Kubaners Daniel Hillig. Er war am Rande des Stadtfestes im August 2018 erstochen worden. Diesen Tod hatten rechtsradikale Organisationen, allen voran die „NS-Boys“ und „Kaotic Chemnitz“, zum Anlass für tagelange rassistische Hetzjagden auf Ausländer und ein jüdisches Restaurant genommen.
Zu Beginn des Prozesses in Dresden beantragte die Verteidigerin Ricarda Lang, dass das Verfahren eingestellt und der Haftbefehl gegen den Angeklagten, einen syrischen Flüchtling, aufgehoben wird. Es mangle an handfesten Beweisen, Tatzeit, Tatort und Motive seien ungeklärt und die Anklage sei von „eklatanten Ungereimtheiten“ geprägt.
Bezeichnenderweise verlangte Rechtsanwältin Lang auch zu überprüfen, ob die Berufs- und Laienrichter, die über den Angeklagten urteilen werden, selbst schon jemals an Kundgebungen von Pegida oder AfD teilgenommen haben, und wie ihre Einstellung zu Flüchtlingen ist. Die Verteidigerin versuchte damit zu klären, ob die Richter ihrem Mandanten mit der notwendigen Objektivität und Unbefangenheit begegnen.
Wie berechtigt ihre Befürchtungen sind, zeigte die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), die am Vortag des Prozesses trotz der schwachen Beweislage eine Verurteilung des Angeklagten gefordert hatte. Sie sie hoffe, „dass es eine Verurteilung gibt, damit die Angehörigen Ruhe finden können“, sagte sie. Über die Möglichkeit eines Freispruchs äußerte sich Ludwig sehr besorgt: „Dann würde es schwierig für Chemnitz.“
Im selben Interview zum Stadion-Skandal sagte sie dem Sachsen-Fernsehen, sie werde dem CFC als erstes Unterstützung anbieten, damit er seine Arbeit „im Umgang mit der Fankultur“ verbessern könne. Im Übrigen, so Ludwig, hätten „in Chemnitz schon immer rechte Strukturen existiert“.
Sachsens Regierungschef, Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), bemerkte, die Ereignisse im Stadion hätten gezeigt, „dass da mehr vorhanden ist, als wir gedacht haben“. Kretschmer hatte im letzten Herbst, nach den Ausschreitungen in Chemnitz, als erster öffentlich in Zweifel gestellt, dass es überhaupt zu Hetzjagden auf Ausländer gekommen sei.
Auch Hans-Georg Maaßen, damals Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hatte sich offen mit den rechtsradialen Ausschreitungen solidarisiert. In der Bild-Zeitung hatte er sie rundheraus bestritten und gesagt, er schließe „gezielte Falschinformation“ nicht aus. Im November 2018 wurde Maaßen deshalb in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Die Ereignisse um den Tod des Neonazis Haller zeigen exemplarisch, dass Politiker aller etablierten Parteien, Wirtschafts- und Fußballgrößen, Medienjournalisten und der Verfassungsschutz für die Rückkehr des Faschismus und den Aufstieg der AfD mit verantwortlich sind. Tatsächlich treten Rechtsextreme, Rassisten und Hooligans nur deshalb so unverschämt auf, weil sie wissen, dass sie sich auf ein rechtes Netzwerk verlassen können, das bis in die höchsten Ebenen von Regierung und Staat reicht.