Am heutigen Samstagmorgen will Mike Pompeo an einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats über die politische Krise in Venezuela teilnehmen. Die US-Regierung hatte die Sitzung beantragt, nachdem sie die Präsidentschaft von Nicolas Maduro für „nicht legitim“ erklärt und stattdessen Juan Guaidó als Regenten anerkannt hatte.
Guaidó gehört der rechten, von den USA finanzierten Partei Voluntad Popular (Volkswille) an. Er hat sich am Mittwoch in Venezuela, dem ölreichsten Land Südamerikas, selbst zum „Übergangspräsidenten“ ernannt.
Die Anrufung des Sicherheitsrates sieht stark nach einem Propagandamanöver aus, um UN-Unterstützung für eine einseitige Intervention der USA zu erhalten. Allerdings werden Russland und China, die beide enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Venezuela unterhalten, in dem Rat mit Gewissheit jede Resolution ablehnen, die den von den USA orchestrierten Putsch unterstützt.
Die US-Regierung bereitet einer offenen Konfrontation mit der Maduro-Regierung den Boden. Wie sie angekündigt hat, missachtet sie Maduros Entscheidung, die diplomatischen Beziehungen mit den USA abzubrechen, sowie auch seine Anordnung, dass alle US-Diplomaten bis Sonntag das Land zu verlassen hätten. Die Trump-Regierung hat zwar am Donnerstag angeordnet, dass „nicht dringend benötigtes Personal“ in die USA zurückkehren solle. Führende US-Diplomaten sollten aber vor Ort bleiben, womit sie praktisch als Faustpfand in einer beispiellosen Provokation dienen, um einen möglichen Vorwand für eine militärische Intervention der USA zu schaffen.
Ein Sprecher des Weißen Hauses und der republikanische Senator Marco Rubio, der großen Einfluss auf die Lateinamerika-Politik der Regierung hat, warnten vor einer „schnellen und entschiedenen Reaktion“, sollte die venezolanische Regierung ihre Ausweisungsanordnung durchzusetzen versuchen.
Maduro bestätigte seine Anordnung am Donnerstag und gab bekannt, dass Venezuela seine Botschaft und seine Konsulate in Washington schließen und sein gesamtes diplomatisches Personal aus den USA abberufen werde.
Pompeo trat am Donnerstag vor die Organisation amerikanischer Staaten (OAS), die aus 35 Staaten besteht, und hielt eine aggressive Rede. Er sprach von der „Regierung Maduro, die jetzt nicht mehr existiert“, und forderte, dass alle OAS-Mitgliedsstaaten „sich auf die Seite der Demokratie stellen und die Herrschaft des Gesetzes anerkennen“, indem sie die nicht gewählte, von Washington unterstützte Interimsregierung anerkennen.
Es fällt auf, dass derselbe Pompeo nicht an andere Länder appellierte, „Demokratie und die Herrschaft des Rechts“ anzuerkennen: zum Beispiel an die saudi-arabischen Monarchen, die ihren kriminellen Charakter durch den grausigen Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi, der im US-Exil lebte, offenbarten. Pompeo und Trump beeilten sich sogar, dem starken Mann der Diktatur und Auftraggeber des Mordes, Kronprinz Mohammed bin Salman, ihre Unterstützung zu versichern.
Washington bezeichnet Maduro als „unrechtmäßigen“ Präsidenten und verweist auf die Wahlen im Mai 2018. Sie wurden von Teilen der rechten Opposition boykottiert und hatten eine extrem niedrige Wahlbeteiligung, worin sich die Ablehnung breiter Bevölkerungskreise sowohl der regierenden Partei wie auch der rechten Opposition ausdrückte. Derlei Bedenken plagten die US-Regierung aber nicht, als der ägyptische Diktator Al-Sisi im März 2018 97 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt und während der Wahlen Zehntausende seiner politischen Gegner inhaftieren und foltern ließ.
Pompeo hat erklärt, die USA seien „bereit“, dem venezolanischen Volk mit Lebensmitteln und Medikamenten im Wert von 20 Millionen US-Dollar „humanitäre Hilfe zu leisten“. Das ist nicht der Rede wert im Vergleich zu den Milliarden Dollar, die die US-Sanktionen die Wirtschaft Venezuelas gekostet haben. Es ist 250mal weniger als die fünf Milliarden Dollar, die Trump für den Bau einer Grenzmauer fordert und stereotyp als geringfügigen Betrag bezeichnet.
Die symbolische Summe von 20 Millionen wird die verzweifelte Krise der venezolanischen Arbeiter und Armen nicht im mindesten lindern. Ihre Lebensbedingungen sind das Ergebnis der globalen Krise des Kapitalismus, den von Washington verhängten Sanktionen und der Politik der Maduro-Regierung, die im Bund mit der herrschenden venezolanischen Kapitalistenklasse das ausländische Kapital verteidigt und ihre Auslandsschulden bedient hat, während sie den arbeitenden Massen einschneidende Sparmaßnahmen verordnete.
Mit dieser so genannten humanitären Hilfe ist eine weitere Provokation verbunden: Die US-Regierung will nach eigenen Angaben das Geld an der Regierung vorbei der Nationalversammlung Venezuelas und damit Guaidó zukommen lassen. Bolton hat mittlerweile erklärt, die US-Regierung „konzentriert sich darauf, … das unrechtmäßige Maduro-Regime von seinen Einnahmequellen abzuschneiden“ und diese Geldmittel der „legitimen Regierung“, ihrer Marionette Guaidó, zukommen zu lassen.
Dieser Prozess sei „sehr kompliziert“, fügte Bolton hinzu. Venezolanisches Vermögen in den USA könnte enteignet werden, darunter auch die Raffinerien von Citgo, einer Tochtergesellschaft der staatlichen venezolanischen Ölgesellschaft. Auch könnten die Zahlungen für venezolanisches Öl eingestellt werden. Das Ziel ist die uneingeschränkte Kontrolle der US-Ölkonzerne über die Ölvorkommen Venezuelas, die die größten der Welt sind.
Pompeo erhielt bei weitem nicht die ungeteilte Zustimmung der OAS. Weniger als die Hälfte der Mitgliedstaaten stimmte für die Anerkennung Guaidós. Sechs stellten sich auf die Seite Maduros, und die restlichen Länder enthielten sich oder erklärten, dass Venezuela eine humanitäre Krise durchlebe.
Während die Mehrzahl von Washingtons Verbündeten sich seiner Linie angeschlossen haben, verurteilte Russland, das große Investitionen in Venezuelas Ölindustrie getätigt hat und Beziehungen zu seinem Militär unterhält, die Anerkennung Guaidós durch die USA als „schmutziges und kriminelles Spiel“.
„Dass die Vereinigten Staaten und einige andere Länder den selbsternannten Präsidenten unterstützen, zeigt, dass sie die Krise in Venezuela mitverursacht haben“, äußerte sich der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einer Pressekonferenz in Algiers. Der Versuch, eine Gegenregierung zu installieren, könne nur zu „Chaos und Instabilität“ führen.
China, das Venezuela im Gegenzug für Öl große Kredite gewährt hat, äußerte sich etwas vorsichtiger, lehnte aber in seiner Erklärung eine ausländische Intervention in die Angelegenheiten Venezuelas ebenfalls ab.
Mit am deutlichsten für Maduro und gegen den US-orchestrierten Putsch äußerte sich der türkische Präsident Erdogan, ein offizieller Nato-Verbündeter Washingtons. Erdogan bekundete seine Solidarität mit Maduro und verglich die Machenschaften in Caracas mit Putschversuch, den die USA gegen seine Regierung im Juli 2016 unterstützt habe. Das kann damit zusammenhängen, dass Venezuela unter Missachtung von US-Sanktionen Gold in die Türkei exportiert hat.
Die Ereignisse in Venezuela beweisen unwiderlegbar, dass es im herrschenden Establishment der USA niemanden gibt, der die Rückkehr zu US-Putschen in Lateinamerika oder die glatte Missachtung souveräner Rechte anderer Nationen ablehnen würde. Die kapitalistische Presse betreibt schamlos Propaganda für den Putsch und lobt Venezuelas angeblichen „demokratischen“ Retter, den vom US-Außenministerium gehätschelten und finanzierten Rechten Guaidó.
Das Wall Street Journal präsentierte die Selbsternennung des nicht gewählten Guaidó als „Übergangspräsidenten“, als handle es sich um einen Akt der gesamten Nation, die ihre „Demokratie“ einfordert. Gleichzeitig wies die Zeitung deutlich auf die Möglichkeit einer direkteren Intervention der USA hin. „Man ist versucht zu glauben, die USA sollten Truppen reinschicken, wie 1989 nach Panama, um die Rebellion zu unterstützen. Doch das venezolanische Volk muss seine Freiheit selbst erobern, und wenn ihm das gelingt, wird es sie umso mehr zu schätzen wissen“, kommentierte das Journal. Und wenn es ihnen nicht gelingt, im Sinne von Washingtons Diktaten und Interessen „ihre Freiheit zu erobern“? Dann „sind alle Optionen auf dem Tisch“, wie Trump und seine Leute immer wieder erklären.
In den Medien erwähnt niemand die Millionen Dollar, die die Denkfabrik National Endowment for Democracy und die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID in Guaidós Partei Voluntad Popular gepumpt haben.
Die Demokraten, die seit Langem eine Kampagne gegen die Trump-Regierung wegen der angeblichen russischen „Einmischung“ in den Wahlkampf 2016 führen, unterstützen jetzt eilfertig die Manöver des Weißen Hauses zum Sturz des venezolanischen Präsidenten. Senator Bob Menendez, leitender Demokrat im Ausschuss des Senats für Außenpolitik, gab zusammen mit Rubio eine Erklärung zur Unterstützung Guaidós ab.
Besonders groß war die Euphorie über die Ereignisse in Venezuela an der Wall Street. Anleihen in Venezuela legten um 40 Prozent zu. Die Ereignisse verhalfen „Investoren und Händlern zu seltenen Zusatzgewinnen mit den vielen notleidenden Papieren des ölreichen Landes“, wie es hieß. Die Finanzbranche setzt natürlich darauf, dass ein US-Marionettenregime in Caracas bedeutet, dass aus der unterdrückten und hungernden Arbeiterklasse Venezuelas Profite herausgepresst werden, notfalls durch Blutvergießen, und dass US-Ansprüchen Vorrang eingeräumt wird gegenüber russischen und chinesischen.
Venezuelas Verteidigungsminister Wladimir Padrino trat am Donnerstag mit den Oberkommandierenden der Streitkräfte an die Öffentlichkeit und erklärte, das Land sei mit einem Putsch gegen seine „Institutionen und Demokratie“ konfrontiert. Er warnte vor einem „Bürgerkrieg und einer Konfrontation zwischen Brüdern“. Die versammelten Generäle und Admirale brachten ihre Unterstützung für Maduro zum Ausdruck.
Der Erfolg von Washingtons Putschversuch hängt letztlich davon ab, dass die USA die Unterstützung von Elementen des venezolanischen Militärs gewinnen. Führende Offiziere haben in der Regierung Maduros und seines Vorgängers Hugo Chavez, eines ehemaligen Oberleutnants und gescheiterten Putschführers, immer eine wichtige Rolle gespielt.
Guaidó und seine Unterstützer haben das Militär schon mehrmals aufgefordert, gegen Maduro einzugreifen, und auch US-Offiziere haben dies wiederholt getan. Die venezolanische Nationalversammlung hat ein Gesetz verabschiedet, das Offizieren, die sich gegen die Regierung erheben, bedingungslose Amnestie verspricht.
Gelingt es den USA nicht, eine militärische Erhebung gegen die Maduro-Regierung zu provozieren, bleibt ihnen noch das Verhängen schärferer Sanktionen, sowie auch eine Blockade venezolanischer Ölexporte – oder eine direkte militärische Intervention.
Die verzweifelte Krise in Venezuela ist vom Kapitalismus verursacht, und nun droht dem Land zusätzlich eine militärische Intervention der USA. Der einzige Ausweg besteht darin, die venezolanische Arbeiterklasse unabhängig von der kapitalistischen Maduro-Regierung und ihren Helfershelfern, den Gewerkschaften, zu mobilisieren. Arbeiterversammlungen müssen organisiert werden, mit dem Ziel, das ausländische und inländische Kapital zu enteignen und eine Arbeiterkontrolle über die riesigen Ölvorräte des Landes herzustellen. Dieser Kampf muss mit dem der Arbeiter der gesamten Hemisphäre verbunden werden, um dem Kapitalismus ein Ende zu bereiten.