Seit letzter Woche Samstag führen mehr als 70.000 Arbeiter von 45 „Maquiladora“-Fabriken im mexikanischen Matamoros an der Grenze zu den USA einen mutigen Kampf, der in immer mehr Fabriken in der ganzen Stadt die Arbeit zum Erliegen bringt.
Am Donnerstagabend zogen Tausende von Arbeitern von einer Fabrik zur anderen und riefen dabei „Einheit! Einheit!“, „Ausstand! Ausstand!“, „Gemeinsam werden Arbeiter nie besiegt werden!“ und „Streik!“. Sie hielten vor allen Fabriken an und appellierten an Arbeiter beim Schichtwechsel, sich dem Streik anzuschließen. Jede neue Arbeitsniederlegung begrüßten sie mit Jubel. Im Laufe der Nacht wuchs die Menschenmenge ständig an.
Die herrschende Klasse spürt, dass der Streik der „Maquiladoras“ (das sind Montage-Fabriken für den Export) außer Kontrolle geraten könnte. Während die Medien ihn vollständig totschweigen, tun die verhassten Gewerkschaften alles in ihrer Macht stehende, um die Bewegung auf „legale“, von den Gewerkschaften geführte Verhandlungen zu beschränken und zu verhindern, dass sich die Arbeitsniederlegungen auf weitere Industriekomplexe entlang der Grenze und im Rest der Welt ausbreiten.
Die Mainstream-Medien haben den Streik in Matamoros vollständig ignoriert. Er wird von keiner wichtigen mexikanischen oder internationalen Zeitung oder Website auch nur mit einem Artikel erwähnt. Amerikanische Zeitungen wie die New York Times und die Washington Post oder mexikanische wie El Universal oder Reforma berichten zwar auf den Titelseiten über die undemokratischen Manöver der Demokratischen Partei in den USA, verlieren aber kein Wort über den größten Streik auf dem nordamerikanischen Kontinent der letzten Jahre.
Der Streik könnte schon bald die globalen Versorgungsketten in den USA, Kanada und Asien stören. Industrieexperten schätzen, dass der Streik die Maquiladora-Industrie bereits 20 Millionen US-Dollar bzw. 23.000 Dollar pro Minute gekostet hat. Er wirkt sich auf wichtige Zulieferer der drei großen Autobauer GM, Ford und Fiat Chrysler sowie andere Hersteller aus. Zu den bestreikten Fabriken gehören Autoliv, Inteva, Starkey, Edemsa, Aipsa, Cepillos, STC, Polytech, Kemet, Tyco, Parker und AFX.
Die Arbeiter tauschen Informationen über Facebook aus. Auf mehreren Seiten koordinieren sie Aktionen zwischen Werken und verteidigen Arbeiter gegen die Angriffe der Gewerkschaften und der Unternehmen.
Es gibt keine unschuldige Erklärung für die fehlende mediale Berichterstattung. Die herrschende Klasse befürchtet, dass sich der Streik auf andere Städte ausbreitet und sich mit den Forderungen der Arbeiter nach sozialer Gleichheit verbindet. Die Zeitung El Diario de Ciudad Victoria aus der Hauptstadt des Bundesstaates warnte am Donnerstag in einem Leitartikel, dass sich ähnliche Unruhen auch auf die 120 Fabriken in der Grenzstadt Reynosa oder in Ciudad Victoria ausbreiten könnten, wo 6.000 Arbeiter bei den Autozulieferern Kemet und APTIV bei den aktuellen Tarifverhandlungen eine 30-prozentige Lohnerhöhung fordern.
Die Nachrichten über Matamoros werden unterdrückt, damit die Arbeiter nichts von Entwicklungen erfahren, die Millionen Menschen auf der ganzen Welt dazu bringen könnten, ihre Angelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen und selbst Arbeitskämpfe außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaften zu organisieren, wie es die Arbeiter in Matamoros bereits so mutig getan haben.
Den Maquiladora-Arbeitern wurden zwar kleine Boni angeboten, um sie wieder an die Arbeit zu bekommen. Allerdings gehen sie darauf nicht ein und fordern weiterhin eine 20-prozentige Lohnerhöhung und einen Bonus in Höhe von 32.000 Pesos (1.700 US-Dollar), darüber hinaus eine Verringerung ihrer Gewerkschaftsbeiträge von vier auf ein Prozent sowie die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche. Zunehmend wird auch eine 100-prozentige Erhöhung gefordert, wie sie andere Arbeiter entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze zu Beginn des Jahres erhalten haben.
Zahlreiche Unternehmen haben den Arbeitern auf aggressive Weise mit Werksschließungen gedroht, falls der Streik andauert. Ein Arbeiter des Autozulieferers Autoliv erklärte gegenüber der WSWS, die Unternehmen hätten ihre Zahlungskarten für Boni und andere Zuwendungen gesperrt und die Löhne für die erste Woche des Monats einbehalten, obwohl der Streik damals noch gar nicht begonnen hatte.
Autoarbeiter aus den USA und Kanada haben Unterstützungserklärungen an die streikenden Arbeiter in Matamoros geschickt und drängen sie dazu, ihren Streik fortzusetzen. Sie haben erkannt, dass Arbeiter überall mit den gleichen Zuständen konfrontiert sind und ihre Kämpfe miteinander verbinden müssen.
Die Arbeiter in Matamoros haben auch gegen eine zweite Gewerkschaft rebelliert, die Gewerkschaft der Arbeiter in den Montagewerken (SIPTME). Am Donnerstag versammelten sich hunderte von Arbeitern des Autozulieferers Tridonex vor den Büros der SIPTME und forderten, dass ihre Werke die derzeit streikenden Arbeiter unterstützen. Statt sich ihren Mitgliedern zu stellen, schlossen die Gewerkschaftsbürokraten ihre Büros bereits vor der Ankunft der Demonstranten, angeblich aus „Sicherheitsgründen“. Ein einfacher Funktionär tauchte schließlich auf und lehnte alle gemeinsamen Aktionen mit den Arbeitern ab, die in der Gewerkschaft der Hilfs- und Industriearbeiter der Maquiladora-Industrie (SJOIIM) organisiert sind.
Die SJOIIM ist allgemein verhasst, weil sie den Arbeitern jede Woche vier Prozent ihrer Löhne abnimmt und lediglich als Vermittler von billigen Arbeitskräften auftritt. Ihr Vorsitzender Juan Villafuerte Morales arbeitet Tag und Nacht daran, den Streik zu sabotieren und wieder unter die erstickende Kontrolle der Gewerkschaft zu bringen. Am Donnerstag erklärte er: „Die Verhandlungen zwischen Arbeitern und den Unternehmen werden noch weitere zehn Tage andauern, und es wäre sehr hilfreich, wenn die Arbeiter wieder an ihren Posten zurückkehren würden.“
Auch andere Kräfte versuchen, die Arbeiter auf Verhandlungen zwischen den Unternehmen und der SJOIIM zu beschränken. Die Anwältin für Arbeitsrecht Susana Prieto Terrazas kam aus Ciudad Juarez, einer Grenzstadt im Bundesstaat Chihuahua, um die streikenden Arbeiter juristisch zu beraten. Am Donnerstag traf sie sich mit Villafuerte, um die Tarifabkommen von der Gewerkschaft anzufordern, die bisher den Mitgliedern nicht zugänglich gemacht wurden. Bei einer Massendemonstration erklärte sie daraufhin: „Kollegen, ihr müsst zuerst eure Gewerkschaft unter Druck setzen. Ihr könnt Villafuerte momentan nicht loswerden. Ihr müsst Druck auf Villafuerte und die Unternehmen ausüben, bis sie nachgeben.“
Obwohl Prieto einen Streik mit legalen Mitteln unterstützt, müssen die Arbeiter gewarnt sein: wenn sie es zulassen, dass ihr Kampf unter den Einfluss der Gewerkschaften und der Morena-Partei von Präsident López Obrador gerät, werden sie isoliert und besiegt werden. Prietos Vorschlag, die Arbeiter sollten Druck auf die Gewerkschaft ausüben, wird ihnen den wirklichen Zugang ihrer Macht versperren: ihr unabhängiges vereintes Vorgehen außerhalb von und gegen das Bündnis aus Unternehmen und Gewerkschaften. Statt die Gewerkschaft unter Druck zu setzen, müssen sie auf ihre Brüder und Schwestern in der Arbeiterklasse in anderen Städten und Industriezweigen zugehen. Das ist der Weg zum Sieg.
Die unmittelbare Aufgabe ist die Bildung von Basiskomitees, die den Gewerkschaften die Kontrolle über den Kampf entreißen. Arbeiter müssen sich auf die Stärke der ganzen Arbeiterklasse stützen, wenn sie den Einschüchterungsversuchen der Unternehmen entgegentreten wollen. Sie erhalten große Unterstützung von Arbeitern aus den USA und Kanada, die ihren Kampf mit großem Interesse und Begeisterung verfolgen.
Wir rufen alle mexikanischen Arbeiter, die sich mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in ganz Nordamerika verbünden wollen, dazu auf, sich per E-Mail unter auto@wsws.org oder über unsere Facebook-Seite mit uns in Verbindung zu setzen.
Am 9. Februar findet um 14 Uhr vor der GM-Hauptzentrale in Detroit (Michigan) eine Demonstration der Autoarbeiter gegen den Arbeitsplatzabbau statt, den die Auto- und Zuliefererunternehmen angekündigt haben. Arbeiter aus der ganzen Welt können diese Demonstration hier auf Facebook verfolgen und unterstützen.