Rebellion in Matamoros, Mexiko

70.000 Arbeiter streiken in Fabriken an der US-Grenze

Mindestens 70.000 Arbeiter aus 45 Fabriken – darunter viele Zulieferer für die Automobilhersteller General Motors (GM), Ford und Fiat-Chrysler – sind in der US-mexikanischen Grenzstadt Matamoros in einen wilden Streik getreten.

Der Streik ist eine Rebellion gegen die Zuständen in den so genannten „maquiladora“ Produktionsbetrieben und gegen die unternehmerfreundlichen Gewerkschaften. In den 3.000 „maquiladora“-Fabriken, die auf der mexikanischen Seite der Grenze liegen und 65 Prozent der mexikanischen Exporte ausmachen, ertragen über 1 Million Arbeiter niedrige Löhne und Ausbeutung.

Der Streik ist ein starkes Zeichen für die wachsende Aufstandsstimmung unter den Arbeitern auf der ganzen Welt. Parallel streiken 30.000 Lehrern an öffentlichen Schulen in Los Angeles, in Frankreich protestieren die „Gelbwesten“ gegen Ungleichheit und unter US-amerikanischen und europäischen Autoarbeitern herrscht enorme Wut über den geplanten massiven Stellenabbau bei GM und Ford.

Auf einer Generalversammlung am Samstag beschlossen die Arbeiter den Streik. Die 2.000 Anwesenden wandten sich dabei gegen die verhasste Gewerkschaft der Arbeiter und Industriearbeiter der Maquiladora-Industrie (SJOIIM) und vereinbarten, Vertreter aus ihren Fabriken zu wählen, um ihren Kampf außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaft zu führen.

Nach dem Treffen besuchten Streikende jedes Werk, um ihre Kolleginnen und Kollegen herauszurufen und rot-schwarze Banner an geschlossene Werke zu hängen - das traditionelle mexikanische Symbol für eine Fabrikbesetzung.

Trotz der Anweisung der Gewerkschaft, bis Mittwoch am Arbeitsplatz zu bleiben, strömten Gruppen von Arbeitern durch die Stadt, um die Eingänge zu den geschlossenen Werke zu blockieren und Tag und Nacht Streikwache zu halten. Die Arbeiter haben auch gemeinsame Streikcafés und andere Anlaufstellen für Streikende eingerichtet.

Die Arbeiter fordern eine 20-prozentige Lohnerhöhung, eine Einmalzahlung von 30.000 Pesos (knapp 1.400,00 EUR) und eine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche. Die Arbeiter hatten zunächst eine 100-prozentige Lohnerhöhung gefordert, dies wurde jedoch abgeschwächt, um die offizielle Unterstützung der Gewerkschaft für den Streik vom SJOIIM-Vorsitzenden Juan Villafuerte zu erhalten.

Die Entscheidung des SJOIIM, den Arbeitskampf offiziell zu unterstützen, ist ein Manöver der Gewerkschaft, um den Streik zu kontrollieren und zu ersticken. Die Beschäftigten veröffentlichen bereits Screenshots von Textnachrichten von Gewerkschaftsvertretern, die mit Massenentlassungen drohen, wenn nicht sofort die Rückkehr an den Arbeitsplatz erfolgt.

Breyssa, eine streikende Matamoros-Arbeiterin, sagte der World Socialist Web Site: „Die Gewerkschaftsführer bereichern sich an uns Arbeitern. Jeden Tag nehmen sie fünf Pesos von unserem Gehalt, und wenn du Überstunden machst, nehmen sie einen Prozentsatz der Vergütung. Im Dezember nehmen sie einen Teil unseres Weihnachtsgeldes.“

Eine der Hauptforderungen der Arbeiterinnen und Arbeiter ist die Senkung der Gewerkschaftsbeiträge. In den sozialen Netzwerken wird folgende Grafik und Parole geteilt: „Die Arbeiter von Matamoros werden nie wieder 4 Prozent Gewerkschaftsbeitrag zahlen. Es kann nicht reiche Gewerkschaft und arme Arbeiter geben.“

Eine andere Grafik verbreitet folgenden Aufruf: „Dringender Hinweis: Wir brauchen einen Vertreter aus jedem Werk, der dringend Bericht erstattet. Neue Führung wird dringend benötigt. Generalstreik am 16. Januar.“

Ein dritter Aufruf lautet: „Alle SJOII-Mitarbeiter sind zu einer Sonderversammlung eingeladen. Auf der Tagesordnung steht die Absetzung des jetzigen Gewerkschaftsführer und seiner Mitarbeiter wegen unterlassener Hilfeleistung.“ Die Massenversammlung ist für Mittwochmorgen geplant.

Zu den bestreikten Unternehmen zählen Inteva, STC, Polytech, Kemet, Tyco, Parker, AFX und Autoliv. Branchennahe Publikationen befürchten, dass sich die Streikwelle auf andere Grenzstädte wie Tijuana, Mexicali und Ciudad Juarez ausbreiten könnte.

Der Streik findet in Mexiko direkt hinter der Grenze zu den USA statt, in der Nähe von Brownsville, Texas, wo US-Präsident Donald Trump vergangene Woche Mexikaner und Latinos als „Kriminelle“ beschimpfte und einmal mehr den Bau einer Mauer forderte. Ein Hauptziel dieser Mauer ist es, die Arbeiterklasse Lateinamerikas physisch von ihren natürlichen Verbündeten nördlich der Grenze zu trennen.

Die US-amerikanischen und kanadischen Autoarbeitergewerkschaften machen sich Trumps nationalistische, mexikanerfeindliche Äußerungen zu Eigen, um die Aufmerksamkeit der Arbeiter von den wahren Feinden abzulenken: den Unternehmen und den mit ihnen kooperierenden Gewerkschaften.

Im November, als General Motors bekannt gab, dass 15.000 Arbeitsplätze in den USA und Kanada abgebaut wurden, warfen die Gewerkschaften United Auto Workers und Unifor mexikanischen Arbeitern vor „Arbeitsplätze zu stehlen“.

Ford hat auch einen massiven Stellenabbau in Europa angekündigt, und angesichts weiterer Kürzungen im Zuge einer internationalen Umstrukturierung der Automobilindustrie befürchten die Gewerkschaften und Unternehmen, dass sich die Arbeitnehmer über die Landesgrenzen hinweg in einem gemeinsamen Kampf vereinen. Kürzlich stand bei einer Unifor-Gewerkschaftskundgebung in Ontario eine Frau mit Poncho und Sombrero am Rednertribüne und beleidigte die mexikanischen Arbeiter. Hier zeigen sich die rassistischen Ansichten der wohlhabenden Gewerkschaftsführer – dies sind nicht die Ansichten der US-amerikanischen und kanadischen Arbeitnehmer, die nach einem Weg suchen, um die Kürzungen bei Arbeitsplätzen, Löhnen und Leistungen zu stoppen.

Mexikanische maquiladora-Arbeiter sind nicht die Feinde der US-amerikanischen und kanadischen Arbeiter. Sie werden von denselben Unternehmen ausgebeutet und befinden sich im gleichen Produktionsprozess. Während die Gewerkschaftsbürokraten in den USA mehr als 200.000 Dollar Jahresgehalt einstreichen, verdienen die Arbeiter in Matamoros durchschnittlich 176 Pesos (8 EUR) pro Tag.

Die maquiladora-Arbeiter von Matamoros kämpfen auch gegen die neuen Regierung des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO), dessen Bewegung Morena die Mehrheit im Parlament hat. Die maquiladora-Arbeiter von Matamoros sind wütend, dass sie im Rahmen der neuen Sonderwirtschaftszone von AMLO keine besseren Bedingungen erwarten dürfen sondern lediglich die Ausbeutung mexikanischer Arbeiter durch US-Hersteller in der Grenzregion erleichtert wird.

Der Plan von AMLO sieht zwar eine 100-prozentige Erhöhung des Mindestlohns vor, doch die Arbeiter von Matamoros sind negativ betroffen, da sie bereits etwas über Mindestlohn verdienen. Die Unternehmen nutzen die Mindestlohnerhöhung als Vorwand, um Sonderzahlungen und Sozialleistungen für alle Beschäftigten zu kürzen.

Matamoros neuer Bürgermeister Mario Lopez, Mitglied von Morena, sagte in einem Interview Ende 2018 in Central TV, dass wegen der Erhöhung des Mindestlohns die Lohnforderungen der maquiladora-Arbeiter „für die Fabriken finanziell nicht tragbar“ sind. Im selben Interview sagte Lopez, dass er im Hinterzimmer „Gespräche“ mit den Gewerkschaften und Unternehmern führt, um die Sonderzahlungen für Arbeiter aus den neuen Verträgen zu streichen. „Ich greife ein, um sicherzustellen, dass die Parteien einen versöhnlichen Plan erzielen“, sagte er zu dem Zeitpunkt.

Arbeiterinnen und Arbeiter auf der ganzen Welt erleben Gleiches und Ähnliches. Breyssa, die in Matamoros streikt, beschreibt das Leben in ihrer Fabrik, in der Autoteile gefertigt werden:

„In meiner Fabrik liegt immer Maschinenöl auf dem Boden, und es ist schrecklich laut. Wir erhalten keine Sicherheitsschuhe oder Gehörschutz. Wir müssen unsere eigene Sicherheitsausrüstung mitbringen. Die Schichten sind mehr als 10 Stunden pro Tag, von Montag bis Samstag. Wir sind auf den Beinen, können nirgendwo sitzen, und manchmal sind wir gezwungen, Überstunden zu machen.“

„Wir beginnen um 5:30 Uhr und gehen abends um 6 oder 7 Uhr. Wir dürfen während unserer Schicht nicht mehr als fünfmal auf die Toilette gehen, und dann können wir nur fünf Minuten austreten. Wir können nicht viel Wasser trinken, obwohl es in unseren Werkshallen oft sehr heiß ist.“

Breyssa sagte über die Gefahr von Repressalien durch die Automobilzulieferer nach Bekanntgabe des Streiks:

„Viele Unternehmen drohen den Arbeitnehmern mit Massenentlassungen. In Unternehmen wie Kemet wurden Arbeiter ausgesperrt. In einer anderen Firma namens AFX werden die Arbeiter mit Gewalt bedroht, wenn sie ein Banner aufhängen, das den Streik anzeigt. In einem anderen Werk namens Autoliv wurde die Polizei gerufen und eingesetzt, um Arbeiter vom Gelände zu entfernen. Die Arbeiter wollen, dass diese Informationen weitergegeben werden, aber sie haben Angst. Es gab viele Jahre lang Ungerechtigkeiten und schlechte Behandlung, und wir sind müde.“

Die WSWS kontaktierte die AFX-Unternehmenszentrale in Port Huron, Michigan, und fragte, ob das Unternehmen die Arbeiter mit Gewalt bedroht. Der Sprecher sagte: „Ich habe dazu keinen Kommentar.“

Die internationale Bewegung der Arbeitnehmer gegen Stellenabbau, Lohnkürzungen und Zugeständnisse gewinnt an Dynamik. Am 9. Februar um 14.00 Uhr demonstrieren Autoarbeiter vor der GM-Zentrale in Detroit, um zu zeigen, dass sie den von den Unternehmen angekündigten Stellenabbau und Arbeitsplatzverlust nicht hinnehmen werden und keine Zugeständnisse machen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen sich in ganz Nordamerika zum gemeinsamen Kampf für soziale Gleichheit vernetzen.

Das WSWS ruft Arbeiterinnen und Arbeiter in Mexiko auf, Kontakt aufzunehmen und vom Streik zu berichten.

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