Am Samstag haben erneut etwa 10.000 Menschen in der ungarischen Hauptstadt Budapest bei eisigen Temperaturen gegen die rechte Regierung von Ministerpräsident Victor Orbán demonstriert. Bereits in den letzten Wochen hatten Tausende gegen das sogenannte „Sklaven-Gesetz“ protestiert.
Auslöser der Proteste in Budapest und anderen Städten des Landes war eine Verschärfung des Arbeitsrechts, die es Unternehmen ermöglicht, bis zu 400 Überstunden im Jahr von allen Beschäftigten zu verlangen. Orbáns Regierungspartei Fidesz, die über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügt, hatte das Gesetz Mitte Dezember verabschiedet.
Inzwischen richtet sich der Protest gegen die gesamte rechte, unsoziale Politik der Regierung, die seit Amtsantritt vor neun Jahren gezielt die Pressefreiheit und demokratische Rechte beseitigt. Der jüngste Umbau des Justizsystems soll der Regierung die völlige Kontrolle über die Gerichte sichern. Die Menge skandierte am Samstag unter anderem: „Wir werden keine Sklaven sein“, „Dreckige Fidesz“ und „Orbán hau ab“.
So war es kaum verwunderlich, dass die regierungsnahen Medien in Ungarn die Proteste entweder kaum erwähnten oder unkritisch die Reaktionen von Regierungsvertretern wiederholten. Fidesz erklärte wie bereits zuvor, man werde keinesfalls auf die Forderungen der Demonstranten eingehen. Gleichzeitig setzt die Regierung ihre antisemitische Kampagne fort, indem sie behauptet, der US-Milliardär George Soros stecke hinter den Protesten. Vor den Europawahlen im Frühjahr mobilisiere Soros überall Kräfte, die migrationskritische Regierungen wie die ungarische angriffen, erklärte ein Fidesz-Sprecher am Samstag.
Inzwischen haben sich nahezu sämtliche Oppositionsparteien und die Gewerkschaften den Protesten angeschlossen. Sie versuchen, sie unter ihre Kontrolle zu bringen und in eine poltische Sackgasse zu führen. Die Sozialisten (MSZP), deren rechte Politik den Weg für Orbán geebnet hatte, die hysterisch antikommunistischen Grünen (LMP) und die Gewerkschaften haben sich mit der neofaschistischen Partei Jobbik verbündet, die die fremdenfeindliche Regierungspolitik Orbáns wiederholt aktiv unterstützt hat.
Die MSZP, die aus der ehemaligen stalinistischen Staatspartei hervorgegangen ist, hat die Proteste genutzt, um ein rechtes Bündnis mit Jobbik zu schmieden. Aus einem monatelangen heftigen Flügelkampf in der MSZP ist Bertalan Tóth als Sieger und neuer Parteichef hervorgegangen. Er hat seine Partei auf einen radikalen Rechtsschwenk und die Kooperation mit der ultrarechten Jobbik eingeschworen. Bei den Kommunalwahlen in diesem Jahr wollen die Oppositionsparteien in jeder Region nur einen Kandidaten aufstellen, der dann gegen den Kandidaten der Regierungspartei antritt.
Die Gewerkschaften drohen sogar mit Generalstreik, sollte die Regierung nicht auf vier Forderungen reagieren, die sie aufgestellt haben. Laut der Tageszeitung Nepszava verlangen sie, dass das Gesetz zur Überstundenregelung zurückgenommen wird. Außerdem sollen der Mindestlohn angehoben, die Renten verbessert und das Streikrecht geändert werden. Laszlo Kordas vom Gewerkschaftsdachverband erklärte: „Wir bereiten uns auf Streik vor.“
Der Vorsitzende eines weiteren Gewerkschaftsverbandes, Andras Földiak, sagte gegenüber Inforadio, dass er bereits für Anfang Februar landesweite Streiks erwarte. Für den 19. Januar ist bereits ein weiterer landesweiter Protest geplant.
Gewerkschaften und Opposition fürchten, dass die Proteste gegen die Regierung sich ausweiten und eine unabhängige Richtung einschlagen, wenn sie sie nicht unter ihre Kontrolle bringen. Das diese Furcht nicht unbegründet ist, zeigt das Anwachsen von Protesten auf internationaler Ebene. Seit Wochen protestieren die „Gelbwesten“ in Frankreich gegen Präsident Emmanuel Macron. Die Protestwelle hat bereits bis nach Spanien und Portugal ausgestrahlt. Nun entwickeln sich auch immer mehr Proteste im Süden und Osten Europas.
Seit mehreren Wochen demonstrieren Tausende Serben gegen Präsident Aleksandar Vučić. Er und die regierende Fortschrittspartei (SNS) setzen ein brutales Spardiktat um und gehen dabei immer gewalttätiger gegen Oppositionelle vor.
Als sich Anfang Dezember 10.000 an einer Demonstration beteiligten, erklärte Vučić verächtlich: „Marschiert, so viel ihr wollt. Ich werde euch keine Forderung erfüllen, auch wenn fünf Millionen kommen sollten.“ Ende des Jahres hatte sich die Teilnehmerzahl dann vervierfacht.
Auch an diesem Samstag kamen bei Schnee und eisigen Temperaturen über 15.000 Menschen zur Demonstration in die Hauptstadt Belgrad. Kleinere Proteste gab es in den Städten Novi Sad, Niš und Kragujevac. Während die Menge „Vučić, du Dieb“ ruft, steht auf den Transparenten „Es hat begonnen“.
In Albanien kommt es erneut zu Protesten von Studenten. Diese hatten schon im Dezember zwei Wochen lang den Unterricht boykottiert und angekündigt, die Proteste im Januar wieder aufzunehmen. Sie wenden sich gegen die katastrophalen Bedingungen, unter denen Schüler und Studenten in dem bettelarmen Balkanstaat leben. Das Bildungssystem ist chronisch unterfinanziert und marode. Mittlerweile sei die Proteststimmung auch auf andere Teile der Bevölkerung übergesprungen, sagte Walter Glos von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Deutschlandfunk.
Auch „Bosnien ist in Aufruhr“, wie die Süddeutsche Zeitung unlängst titelte. Seit dem Tod eines Studenten vor acht Monaten protestieren hier immer mehr Menschen gegen die Regierung.
Ausgelöst wurde die Bewegung durch den Tod des 21-jährigen Studenten David Dragičević. Während die Polizei den Tod als Unfall darstellte, deutet alles auf Folter und Mord hin. Für seinen Vater, einen Kellner und Kriegsveteran, ist der Sohn Opfer eines Komplotts, in das Kriminelle, Polizisten und Politiker verstrickt sind.
Dies war der Auslöser für Tausende, gegen die rechte, nationalistische Regierung auf die Straße zu gehen. In sozialen Netzwerken werden die Proteste von Zehntausenden unterstützt. Während die Regierung in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet die ethnischen Spannungen gezielt anheizt, solidarisieren sich Muslime, Serben und Kroaten in den Protesten gegen die Regierung.