Das Ermittlungsverfahren zum Verbrennungstod von Oury Jalloh in einer Arrestzelle der Dessauer Polizei wird eingestellt. Das hat die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg am 29. November auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben. Mit Rückendeckung der Landesregierung von Sachsen-Anhalt schlägt sie damit sämtliche Beschwerden der Hinterbliebenen als „unbegründet“ nieder.
Oury Jalloh aus Sierra Leone wurde vor fast vierzehn Jahren, am 7. Januar 2005, von einer Polizeistreife aufgegriffen, auf die Wache geschleppt und im Keller an Händen und Füßen gefesselt. Wenige Stunden später war der junge Mann tot, verbrannt in einer Polizeizelle.
Von Anfang wiesen die staatlichen Behörden alle Verantwortung allein dem Opfer zu. Sie behaupteten, Oury Jalloh, der von den Polizisten zweimal durchsucht worden war, habe sich mit einem Feuerzeug selbst angezündet.
Von Anfang an wies der Fall massive Widersprüche und immer größere Ungereimtheiten auf. Eine Polizistin der Wache, welche ihre Kollegen anfangs belastet hatte, zog ihre Aussage zurück und veränderte sie. Eine gründliche Obduktion wurde erst dank der Hartnäckigkeit der Initiative „Im Gedenken an Oury Jalloh“ durchgeführt und durch Spendengelder finanziert. Erst durch sie wurde bekannt, dass der Asylbewerber schwer misshandelt worden war: Sein Nasenbein war gebrochen und sein Trommelfell geplatzt.
Schon die Tatsache, dass Oury Jalloh eingesperrt wurde, war rechtswidrig, da von keinem Richter angeordnet. Jalloh war zwar zum Zeitpunkt, als die Polizei ihn aufgriff, stark alkoholisiert, doch wurde er keiner Straftat beschuldigt. Spätestens nach Feststellen seiner Identität hätte er wieder freigelassen werden müssen.
Stattdessen wurde der 36-Jährige in der Arrestzelle 5 auf einer feuerfesten Matratze fixiert, indem seine Arme und Beine mit Handschellen an festen Metallbügeln am Boden und an der Wand angekettet wurden. Um kurz nach zwölf ging der Feueralarm im Dienstzimmer des Polizeireviers an, doch der diensthabende Polizist schaltete ihn aus. Eine Gegensprechanlage wurde auf Leise gestellt.
Erst nach über zwei Jahren kam es zum ersten Gerichtsverfahren, und 2008 wurden alle Beschuldigten vom Verdacht der fahrlässigen Tötung freigesprochen. 2012 verurteilte das Landgericht Magdeburg in einem Revisionsverfahren den Dienstgruppenleiter zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro, weil die Polizei das Feuerzeug „übersehen“ und den Feueralarm ignoriert hatte. Eine weitere Revision scheiterte 2014 vor dem Bundesgerichtshof.
Jallohs Familie sowie Flüchtlingsinitiativen und eine breite Öffentlichkeit zogen die Behauptungen von Polizei, Justiz und Staatsanwaltschaft dagegen von Anfang an in Zweifel. Tatsächlich tauchten immer mehr Indizien auf, die darauf hinwiesen, dass der Brand von Dritten – höchstwahrscheinlich von der Polizei selbst – gelegt worden war.
Zwei Brandgutachten, die 2013 und 2015 im Auftrag der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ durchgeführt wurden, kamen beide zum Schluss, dass sich Jalloh nicht selbst angezündet haben konnte. Die enorme Hitze, die sich bei dem Brand in kurzer Zeit entwickelt hatte, wies deutlich auf den Einsatz eines Brandbeschleunigers hin.
Im letzten Jahr wurde dann bekannt, dass der Dessauer Staatsanwalt Folker Bittmann zum Schluss gelangt war, dass Oury Jalloh ermordet worden sei. Er hatte in aller Stille ein weiteres Brandgutachten erstellen lassen, das im Wesentlichen ebenfalls zum Schluss kam, dass Jalloh mit Benzin übergossen und angezündet worden sei.
Im April 2017 verfasste Bittmann ein neunseitiges Dokument, in dem es heißt, dass „Oury Jalloh nicht mehr über die Handlungsfähigkeit verfügt haben kann, die es ihm erlaubt hätte, das Feuer selbst zu entzünden“. Auch schließe der niedrige Adrenalinspiegel, der bei der Leiche festgestellt wurde, ein „Erschrecken und Todesangst“ aus, was bedeute, dass er den Brand nicht mehr bewusst erlebt haben konnte.
Bittmann ging offenbar davon aus, dass die Polizisten mit dem Mord an Oury Jalloh gleichzeitig interne Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung, zum Teil mit Todesfolge, hatten vertuschen wollen. Er brachte zwei ältere Fälle auf, die mit derselben Polizeiwache Dessau-Roßlau in Verbindung stehen: Im Dezember 1997 hatten die Polizisten Hans-Jürgen Rose aufgegriffen, der nur Stunden später wenige Meter von der Wache entfernt mit tödlichen inneren Verletzungen aufgefunden wurde. 2002 wurde der obdachlose Mario Bichtemann in die gleiche Zelle gesperrt, in der später Oury Jalloh sterben sollte. Am nächsten Tag lag Bichtemann mit einem Schädelbasisbruch tot auf dem Boden. Beide Fälle wurden niemals aufgeklärt.
Wie Staatsanwalt Bittmann schrieb, setzten alle denkbaren Ursachen für Jallohs Tod „das Verursachen des Feuers von dritter Hand voraus“. Allerdings wurde Bittmann schon kurze Zeit später das Verfahren entzogen. Im Juni 2017 überwies der Generalstaatsanwalt von Sachsen-Anhalt, Jürgen Konrad, den Fall an die Staatsanwaltschaft Halle. Diese stellte wenig später, im Oktober 2017, alle Ermittlungen gegen Unbekannt im Fall Oury Jalloh ein.
Doch das Vorgehen des Justizministeriums von Sachsen-Anhalt hatte massive Proteste ausgelöst. Mehr als 100.000 Menschen unterschrieben in kürzester Zeit eine Petition, um gegen die Einstellung des Verfahrens zu protestieren. Dies veranlasste schließlich Justizministerin Anne-Marie Kedig (CDU), eine offizielle behördliche Prüfung anzuordnen, ob die Einstellung rechtmäßig sei. Kedig beauftragte damit ausgerechnet Jürgen Konrad, den Generalstaatsanwalt, der Bittmann den Fall entzogen und dessen Verdacht im Rechtsausschuss des Landes monatelang verschwiegen hatte.
Seither hat Konrad für seinen Prüfbericht ein Jahr Zeit gehabt. Am vergangenen Donnerstag stellte er nun den 200 Seiten starken Bericht in Naumburg auf einer Pressekonferenz vor und erklärte, damit seien die Ermittlungen ein- für allemal beendet. Der Prüfbericht, so Konrad, beseitige alle Zweifel. „Ein auf Tatsachen – und nicht nur auf Vermutungen – basierender Beweis für ein aktives Handeln Dritter, welches kausal zum Tode des Ouri Jallow [sic] geführt haben könnte, existiert nicht,“ so seine offizielle Presseerklärung.
Das neue Dokument geht von der These der Selbstverbrennung Oury Jallohs als feststehender Tatsache aus. Die Verfasser drücken sich selbst da, wo es offensichtlich um ihre eigenen Vermutungen geht, im Indikativ aus. Sie schreiben über Oury Jalloh: „Er entschloss sich deshalb, drastischere Maßnahmen zu ergreifen, um das Lösen der Fesseln und möglicherweise seine Freilassung zu erzwingen […] Die mit seinem Verhalten verbundene Lebensgefahr für sich selbst erkannte er dabei aufgrund seiner alkohol- und betäubungsmittelbedingten Beeinträchtigung nicht oder unterschätzte sie völlig und nahm sie deshalb in Kauf.“
Im Bericht wird die abenteuerliche Behauptung aufgestellt, Oury Jalloh sei „trotz der Fixierung seiner Arme und Beine mit Hand- und Fußfesseln an den Metallbügeln“ in der Lage gewesen, „das Herausholen eines versteckten Feuerzeuges, ein Eröffnen des feuerhemmenden Matratzenüberzuges und ein Anzünden des brennbaren Matratzenkerns ohne größere Schwierigkeiten“ zu bewältigen.
Die Verfasser des Berichts versuchen kaum, die offensichtlichen Widersprüche, beispielsweise um das Feuerzeug, schlüssig aufzulösen. Der verkohlte Feuerzeugrest war ja nicht etwa bei der Spurensicherung aufgefunden worden, sondern tauchte erst drei Tage später, am 10. Januar 2005, unter den gesicherten Schuttresten auf. Eine Videoaufnahme, welche die Bergung der verbrannten Überreste filmen sollte, enthält keine Stelle, die das Auffinden des geschmolzenen Feuerzeugs zeigt, und bricht stattdessen mitten in der Untersuchung ab. Dazu heißt es im Prüfbericht, man habe erst am 10. Januar festgestellt, dass die Kamera zu der Zeit nicht mehr aufgezeichnet habe: „Das Band sei, was diese Passage betreffe, einfach leer gewesen“, übernimmt der Bericht die Behauptungen der beteiligten Polizisten.
Im Zuge der Ermittlungen von 2012 hatte das Landgericht Magdeburg das geschmolzene Feuerzeug, das angeblich unter der Leiche gelegen haben soll, auf Textilreste der Kleidung, Reste des Schaumstoffkerns, der kunstledernen Matratzenhülle oder auch der DNA von Oury Jalloh untersucht, aber absolut nichts davon feststellen können. Obwohl die Sachverständigen „Faserhaufen“ feststellten, ergab sich keinerlei Übereinstimmung mit den Vergleichsspuren aus der Zelle. Dies tut der Prüfbericht mit folgenden Worten ab: „Auch wenn er [der Feuerzeugrest] als Teil des Materialpaketes unter dem Körper des Ouri Jallow [sic] gefunden wurde, bedeutet dies nicht, dass er mit dem Leichenkörper oder mit DNA-haltiger Leichenflüssigkeit in Berührung gekommen sein muss“.
Mit solchen nichtssagenden Behauptungen versucht der Prüfbericht unablässig, die Version zu „beweisen“, dass Oury Jalloh sich selbst angezündet habe. Diese Version hatten die Beamten von der ersten Minute an in die Welt gesetzt, wie auch die abgebrochene Videoaufnahme beweist. Schon am Tag von Jallohs Tod sprach der mit der Tatort-Untersuchung beauftragte Kriminalbeamte Jens W. in das laufende Mikrophon: „Ich begebe mich jetzt in den Keller, in dem sich ein schwarzafrikanischer Bürger in einer Arrestzelle angezündet hat. Wir befinden uns jetzt in dem Arrestzellentrakt, gleich die erste Zelle rechts wurde durch den Schwarzafrikaner belegt, und hier hat er sich auch angezündet“, etc. Dies wird vom Prüfbericht kommentarlos wiederholt.
Für die Verfasser ist dies alles kein Hinweis auf Voreingenommenheit. In der Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft vom 29. November 2018 heißt es: „Ebenso ist die Unterstellung eines ‚institutionellen Rassismus‘ aus der Luft gegriffen. Irgendgeartete Hinweise darauf, Ouri Jallow [sic] könnte aus rassistischen Gründen getötet worden sein, liegen evident nicht vor.“
Das alles sind Lügen. Das Thema Rassismus ist gerade bei der Polizei in Sachsen-Anhalt breit dokumentiert. Erst vor kurzem sagte Antje Arndt, eine Mitarbeiterin der mobilen Opferberatung, dem Mitteldeutschen Rundfunk (mdr): „Was uns Rassismus-Betroffene (schwarze Menschen) immer wieder erzählen: dass sie im Alltag vermehrt das Racial Profiling erleben, dass sie im Raum Halle, im innerstädtischen Bereich und am Bahnhof sehr, sehr viele Kontrollen erleben.“ Immer wieder komme ihr die Klage von Betroffenen zu Ohren: „Wir werden als einzelne herausgegriffen.“
Mit der Niederschlagung der Ermittlungen zum Fall Oury Jalloh werden nicht nur die Vertuschungen, Verharmlosungen und Lügen fortgesetzt, mit denen Politiker und Justizbeamte seit fast 14 Jahren die Öffentlichkeit abspeisen. Die Entscheidung ist gleichzeitig Teil einer breiteren, reaktionären Kampagne der Landesregierung von Sachsen-Anhalt. Die so genannte Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen, die eine rassistische, flüchtlingsfeindliche und unsoziale Politik durchsetzt, ist aktiv dabei, die Polizei aufzurüsten. Deshalb ist es ihr wichtig, die Polizeiarbeit weißzuwaschen und alle Zweifel an ihr zu unterdrücken.
Mit dem Prüfbericht möchte das Land Sachsen-Anhalt alle weiteren Ermittlungen im Fall Oury Jalloh beenden. Aber die offenen Fragen bleiben. Die Mutter des Opfers, die 2012 verstorbene Mariama Djombo Diallo, äußerte sich sehr klar: „Jemanden, der an Händen und Füßen gefesselt ist, lebendig zu verbrennen – das gibt es nur bei euch.“