Die Arbeiter von Opel machen gegenwärtig dieselben Erfahrungen wie Arbeiter überall auf der Welt. Während die Konzernleitung einen massiven Arbeitsplatzabbau, eine Senkung der Löhne und eine drastische Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen verlangt, arbeiten die IG Metall und ihre Betriebsräte eng mit ihr zusammen und sabotieren jeden ernsthaften Widerstand. Sie spielen einen Standort gegen den anderen aus, drohen Arbeitern, die sich den Angriffen widersetzen, mit persönlichen Konsequenzen und organisieren die Entlassungen und den Sozialabbau.
Am vergangenem Dienstag fand in der Nähe von Paris das Aktionärstreffen von PSA statt. Der französische Konzern, zu dem auch die Marken Peugeot, Citroën und DS gehören, hatte Opel im vergangenen Sommer übernommen, um der Dominanz von VW auf dem europäischen Automarkt entgegenzutreten. Diese Übernahme war mit einem radikalen Spardiktat verbunden. Pro Jahr sollen 1,7 Milliarden Euro eingespart werden.
PSA-Chef Carlos Tavares erklärte den Aktionären, die Sanierungsverhandlungen für die deutschen Opel-Werke würden sich noch einige Wochen hinziehen, weil die IG Metall Zeit brauche, um Überzeugungsarbeit zu leisten. „Seien Sie nicht erstaunt, das wird noch etwas Lärm geben“, sagte Tavares. „Das ist ein Teil dessen, was man machen muss, um dieses Unternehmen wieder auf die Gewinnschiene zu bringen.“ Die Gespräche mit der IG Metall seien bereits weit fortgeschritten.
In Großbritannien, Polen, Spanien, Ungarn und Österreich gebe es bereits Vereinbarungen mit den Gewerkschaften, berichtete der PSA-Chef. Die Aktionäre belohnten ihn für seinen radikalen Sanierungskurs mit einem Sonderbonus von 1 Million Euro.
Parallel zur Aktionärsversammlung in Frankreich organisierte die IG Metall eine Protestaktion im Opel-Werk Eisenach. Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre kritisierten dort Tavares und den neuen Opel-Chef Michael Lohscheller lautstark und warfen ihnen Erpressung vor. Gleichzeitig betonten sie, es gäbe keine Alternative zum Sanierungsplan „Pace“, den sie mit Tavares vereinbart haben und auf dem der Angriff auf Arbeitsplätze und Löhne beruht. Nur durch die geplanten Einsparungen könnten die Arbeitskosten gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden.
Die Gewerkschaft unterstützt also den Arbeitsplatzabbau. Sie verlangt lediglich, dass er „sozialverträglich“ gestaltet wird. Jeder weiß, was damit gemeint ist. Der Arbeitsplatzabbau soll so organisiert werden, dass der Widerstand dagegen kontrolliert und unterdrückt werden kann. In Wahrheit ist die geplante Halbierung der heute noch 1790 Arbeitsplätze der erste Schritt, um den Standort Eisenach ganz stillzulegen. Der Abzug der Modelle Adam und Corsa macht das deutlich.
Auch in Rüsselsheim und Kaiserslautern wird scharf rationalisiert: Bis zum Jahresende sollen 4000 der bisher noch 18.600 Arbeitsplätze abgebaut werden. Im Entwicklerzentrum Rüsselsheim soll bis 2020 die Hälfte der 7700 Stellen gestrichen werden.
Schon im Dezember und Januar wurden die Verträge für mehrere hundert Leiharbeiter gekündigt. Seit Januar herrscht Kurzarbeit, und Vorstand und Betriebsrat haben ein aggressives Programm von Abfindungen, Altersteilzeit und Vorruhestand aufgelegt. Außerdem hat der Opel-Konzern sämtliche Verträge mit seinen 1600 Händlern in ganz Europa aufgekündigt.
Darüber hinaus fordert der PSA/Opel-Vorstand massiven Lohnverzicht. Die tariflich vereinbarte Lohnerhöhung soll bis auf weiteres nicht ausgezahlt werden, und auch das Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie übertarifliche Zulagen sollen gestrichen oder eingeschränkt werden. Andernfalls werde es keine neuen Investitionen in die bestehenden Standorte geben.
In den anderen europäischen Werken haben die Gewerkschaften bereits massiven Kürzungen zugestimmt.
In Frankreich beschäftigt der PSA-Konzern derzeit noch rund 26.000 Arbeiter in vier großen Autowerken: Sochaux (10.500), Mülhausen (7.500), Poissy bei Paris (4.500) und Rennes (4000). In Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften sind dort ältere Arbeiter, die über Tarifverträge mit sogenanntem Bestandschutz verfügen, in großer Zahl entlassen und durch Leiharbeiter ersetzt worden, von denen viele weniger als die Hälfte verdienen.
In den britischen Vauxhall-Werken in Ellesmere Port und Luton ist eine weitgehende Flexibilisierung der Arbeitszeit und eine drastische Steigerung der Arbeitsintensität vereinbart worden. Auch in Polen, Ungarn und Österreich einigte man sich auf deutlich schlechtere Bedingungen.
Nun werfen die Gewerkschaften dieser Länder, die auf europäischer und Betriebsratsebene eng mit der IG Metall vernetzt sind, dieser mangelnde Solidarität vor, weil sie die Angriffe in den deutschen Werken nicht schnell genug durchsetzt!
Die Auto-Gewerkschaften in Spanien, Frankreich und Großbritannien hätten die „mangelnde Bereitschaft der IG Metall, den geforderten Kürzungen und Lohnverzicht zuzustimmen“, scharf kritisiert, berichtete die Online-Plattform Europe-autonews.com Anfang der Woche. Die Haltung der IGM habe zu deutlichen Spannungen zwischen den europäischen Gewerkschaften geführt.
Das Magazin zitiert einen Funktionär der britischen Gewerkschaft Unite, die Arbeiter in Luton seien „bestürzt“, wenn die deutschen Kollegen nicht auch ähnliche Beiträge leisteten, damit das Unternehmen wieder floriere. Die bisherige Weigerung der IG Metall, den geforderten Sanierungsmaßnahmen zuzustimmen, untergrabe die gewerkschaftliche Solidarität. Auch ein Vertreter der französischen FO erklärte: „Die französischen Gewerkschaften werden nicht zulassen, dass ihre Arbeiter die Hauptlast eines dritten Competitiveness-Planes tragen.“
Deutlicher kann man die Rolle der Gewerkschaften kaum beschreiben. Sie verstehen unter Solidarität nicht die Mobilisierung der Arbeiter aller Standorte gegen die Angriffe des Konzerns, sondern die Zusammenarbeit der Gewerkschaftsfunktionäre bei der Umsetzung der Angriffe.
Die Kritik an der IG Metall ist allerdings unberechtigt. Sie arbeitet ebenso intensiv mit der Konzernleitung zusammen, wie Unite in Großbritannien oder Force ouvrière (FO) in Frankreich. Sie hatte bereits vor der Übernahme von Opel durch PSA intensive Gespräche mit der Konzernleitung geführt und dabei die schrittweise Stilllegung von ganzen Werken wie in Eisenach ins Auge gefasst, das über eine lange Geschichte und Tradition verfügt.
So lief das bereits von neun Jahren bei der Schließung des Werks in Antwerpen und vor fünf Jahren bei der Stilllegung von Opel-Bochum. Damals hatten sich IG Metall, Betriebsrat und Management regelrecht gegen die Beschäftigten verschworen. Die IG Metall arbeitete die Stilllegungspläne selbst mit aus und beriet die Konzernleitung, mit welchem Vorgehen sie ernsthaften Widerstand verhindern konnte.
Heute setzt sie ihren Apparat ein, um die Arbeiter in Europa zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Die Gewerkschaften stellen Arbeitsplatzabbau, Kurzarbeit, Lohnsenkungen und Werksschließungen als Umstrukturierungsmaßnahmen dar, die unvermeidlich seien, um Überkapazitäten abzubauen und die europäische Autoindustrie wieder wettbewerbsfähig zu machen.
In Wirklichkeit werden die Autoarbeiter gezwungen, für die Krise des kapitalistischen Profitsystems zu zahlen. Nicht nur die Autokonzerne, auch alle anderen Unternehmen wälzen die Krise auf die Arbeiter ab, indem sie die Rechte und Errungenschaften rückgängig machen, die sich Generationen von Arbeitern erkämpft haben.
Seit der Wiedereinführung des Kapitalismus in Osteuropa und China werden die Hungerlöhne in diesen Ländern systematisch eingesetzt, um auch im Rest der Welt die Lohnkosten zu senken. In den USA hat die Obama-Regierung die Autoindustrie schon vor Jahren umstrukturiert, indem sie zehntausende Arbeitsplätze vernichtete, Rentenansprüche annullierte und die Einstiegslöhne um die Hälfte senkte. Seit einigen Jahren findet nun in Europa dasselbe statt.
Gleichzeitig verschärfen sich die wirtschaftlichen und militärischen Konflikt zwischen den Großmächten. Die Gewerkschaften reagieren darauf, indem sie sich noch enger als bisher auf die Seite der Regierung stellen und ihre Politik der militärischen Aufrüstung unterstützen.
Die Verteidigung aller Arbeitsplätze, Löhne und sozialen Rechte gewinnt unter diesen Umständen große politische Bedeutung. Sie erfordert einen Bruch mit den Gewerkschaften. Arbeiter, die die Arbeitsplätze ernsthaft verteidigen wollen, müssen sich in unabhängigen Komitees zusammenschließen. Diese Arbeiterkomitees müssen den Widerstand gegen die geplanten Entlassungen und Werksschließungen vorbereiten, leiten und den Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen der anderen Standorte herstellen. Sie müssen Streiks, Protestaktionen und Betriebsbesetzungen vollständig unabhängig von den Gewerkschaften organisieren.
Die Verteidigung der Arbeitsplätze muss zum Ausgangspunkt für eine breite politische Mobilisierung für ein revolutionäres sozialistisches Programm werden. Die Bereicherung einer winzigen Elite, die den Hals nicht voll genug kriegen kann, während sie gleichzeitig die Existenzgrundlage von Millionen Arbeitern zerstört, ist der klarste Beweis für das Scheitern des kapitalistischen Systems. Und das nicht nur in Deutschland. In den USA besitzen inzwischen drei Milliardäre – Jeff Bezos (Amazon), Bill Gates (Microsoft) und der Investor Warren Buffett – gleich viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. In Deutschland leben 114 Milliardäre.
Wer unter diesen Umständen behauptet, man könne die Arbeitsplätze erhalten und gleichzeitig den Kapitalismus verteidigen, wie es die Gewerkschaften, die SPD oder die Linkspartei tun, belügt die Arbeiter. Die Arbeitsplätze können nur im Rahmen eines sozialistischen Programms verteidigt werden, dass die Enteignung der Banken und Konzerne und ihre Überführung in gesellschaftliches Eigentum zum Ziel hat.