„Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, brauchen Asylverfahren, die schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden“, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. „Deren Bearbeitung erfolgt künftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen… In ihnen sollen Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung (AnKER) stattfinden.“
Was der Charakter dieser sogenannten Anker-Einrichtungen sein wird, kann man derzeit in Bayern studieren. Es handelt sich um Lager, in denen Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht und grundlegender Rechte beraubt werden.
Die Bezirksregierung von Oberbayern hat unabhängigen Rechtsberatern, die Flüchtlinge im Asylverfahren juristisch unterstützen, den Zutritt zu Erstaufnahmeeinrichtungen untersagt. Betroffen ist auch das Transitzentrum in Manching/Ingolstadt, das als Vorbild für die Anker-Zentren dient. Hinzu kommt, dass der derzeitige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in der neuen Großen Koalition voraussichtlich als Innenminister für die Anker-Zentren verantwortlich sei wird.
Bereits Anfang Januar hatte die oberbayerische Bezirksregierung dem Infobus, der vom Münchener Flüchtlingsrat und Amnesty International betrieben wird, verboten, auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtungen zu parken. Auch den Beratern, die Flüchtlinge auf ihre Asylanhörungen vorbereitet haben, wurde der Zutritt zu den Einrichtungen untersagt.
Der bunt bemalte Infobus war zuvor 16 Jahre lang im Einsatz gewesen. Alleine im letzten Jahr konnten die ehrenamtlichen Helfer mehr als 2.500 Flüchtlinge bei ihren Asylverfahren beraten. Doch die lange Zeit geduldete Arbeit der Flüchtlingshelfer endete jäh, als der Infobus auch das Aufnahme- und Abschiebelager in Machning/Ingolstadt anfahren wollte.
Gegenüber der Presse begründete die Bezirksregierung das Verbot damit, dass sie in den Asylzentren „einen geschützten Wohnraum“ schaffen müsse. Man wolle „den Asylsuchenden einen Raum bieten, in dem sie zur Ruhe kommen könnten“, erklärte die Pressesprecherin. Zudem sei „aufgrund sicherheitsrechtlicher Aspekte der Zugang zu den Unterkünften der Aufnahmeeinrichtungen reglementiert“. Zugang habe nur, wer dort wohnt oder zum Betrieb der Unterkunft beiträgt.
Das sind zynische Vorwände. So müssen die Flüchtlinge in den Asylzentren ständig Zimmerkontrollen durch Heimmitarbeiter erdulden. Zudem sind sämtliche Flüchtlingsunterkünfte in Bayern seit dem 1. Januar 2017 per Gesetz als „gefährliche Orte“ definiert, wodurch anlasslose Kontrollen und Durchsuchungen durch die Polizei ohne richterlichen Beschluss jederzeit möglich sind. Flüchtlinge, die abgeschoben werden sollen, werden regelmäßig nachts aus den Betten geholt. Von „Ruhe“ im normalen Betrieb kann daher gar keine Rede sein.
Hintergrund der Entscheidung der oberbayerischen Bezirksregierung ist vielmehr, dass die Rechtsberater zu oft Sand ins Getriebe der Abschiebemaschinerie geworfen haben, indem sie Flüchtlinge über ihre Rechte aufklärten, die darauf einer drohenden Deportation entgingen oder ihren Asylantrag bewilligt bekamen.
Der Asylexperte und Rechtsanwalt der Infobusbetreiber, Hubert Heinhold, bezeichnet das Verbot für den Infobus als einen „eklatanten Verstoß“ gegen europäisches Recht und das Grundrecht auf ein faires Verfahren. Ohne unabhängige Informationen und Rechtsbeistand sind Flüchtlinge, die in den ersten Tagen mit Behördenschreiben geradezu bombardiert werden, völlig überfordert und behördlicher Willkür ausgesetzt.
In den Anker-Zentren hätte es verheerende Folgen, wenn den Flüchtlingen die Rechtsberatung verwehrt wird. Sie sollen in diesen Großlagern ihr gesamtes Verfahren durchlaufen und bis zu 18 Monate einkaserniert werden. Selbst Familien mit minderjährigen Kindern sind davon betroffen Auf Kommunen verteilt werden nur Flüchtlinge, bei denen eine „positive Bleibeprognose“ besteht, die also aus Staaten fliehen, deren Schutzquote in Deutschland über 50 Prozent liegt. Diese Kategorie ist jedoch nirgendwo rechtlich verankert und öffnet damit behördlicher Willkür Tür und Tor. „Alle anderen sollen“, heißt es im Koalitionsvertrag, „aus diesen Einrichtungen in ihre Heimatländer zurückgeführt werden.“
In Bayern wurden diese Zentren zunächst an Flüchtlingen aus so genannten sicheren Herkunftsstaaten erprobt und vor allem Asylbewerber vom Westbalkan ausgesondert und isoliert. Dieses menschenverachtende Konzept wird nun ausgebaut und auf alle Flüchtlinge angewandt, denen eine „negative Bleibeperspektive“ prognostiziert wird. Ziel ist die völlige Isolierung der Flüchtlinge, die keine Chance bekommen sollen, ihren Aufenthalt in Deutschland auf irgendeine Weise zu verfestigen.
In den bayerischen Flüchtlingslagern wird den Asylbewerbern jede Arbeitsaufnahme verwehrt, selbst den Kindern, die eigentlich der Schulpflicht unterliegen, wird der Besuch einer Regelschule verboten. Ihnen wird in den Lagern nur ein „jahrgangsübergreifender Übergangsunterricht“ angeboten.
Die Flüchtlingshilfsorganisation ProAsyl verurteilte die Anker-Lager als „Teil einer immer schärfer werdenden Abschottungspolitik“. Die strikte Isolierung der Flüchtlinge in diesen „Lagern der Perspektivlosigkeit“ führe unweigerlich zu „Verelendung, Gewalt und Stigmatisierung“. Mit der Internierung der Flüchtlinge geht deren völlige gesellschaftliche Ausgrenzung einher.
SPD und Union haben in der Flüchtlingspolitik ein klares Zeichen gesetzt, indem sie das Bundesinnenministerium der CSU übergeben haben. Horst Seeofer hat im Bayerischen Rundfunk erklärt, dass seine Priorität in der Abschottung gegen Flüchtlinge liegt.
„Ein Kontrollverlust würde mit mir nicht mehr stattfinden, so wie es 2015 war“, erklärte er. Er hätte damals die Grenze geschlossen. Weiter kündigte er an, dass zukünftig bereits an der Grenze entschieden werden solle, ob ein Flüchtling Schutzbedarf habe. Einem rechtsstaatliches Asylverfahren und dem Grundrecht auf Asyl würde dadurch endgültig der Garaus gemacht.
Seehofer hatte schon vor sieben Jahren in einer Aschermittwochsrede erklärt, er werde sich „gegen die Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone“. Dieser martialische Ausspruch brachte ihm eine Anklage wegen Volksverhetzung ein. Er hatte hinzugefügt, er lasse sich „die deutsche Leitkultur von niemanden ausreden“.