Am Donnerstagabend erzielten die katalanischen Nationalisten eine knappe absolute Mehrheit von 70 Sitzen der 135 Sitze im katalanischen Parlament. Die spanische Regierung hatte angesichts der Krise durch das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober zu der vorgezogenen Wahl aufgerufen.
Das Wahlbündnis „Zusammen für Katalonien“ (JxCat) gewann 34 Sitze, die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) 32 Sitze und die Kandidatur der Volkseinheit (CUP) vier Sitze. Im Lager der Separatismus-Gegner gewann die Bürgerpartei (Ciudadanos) 36 Sitze, die Sozialistische Partei Kataloniens (PSC) siebzehn und die Volkspartei (PP) drei Sitze. Der katalanische Ableger von Podemos, „Gemeinsames Katalonien“ (CeC) gewann acht Sitze. Er hatte zuvor seine Neutralität gegenüber dem spanischen und katalanischen Nationalismus erklärt. Die Wahlbeteiligung war hoch und erreichte 82 Prozent.
Dieses Ergebnis zerstört die Hoffnung der spanischen herrschenden Elite, der Konflikt zwischen der Zentralregierung und der katalanischen Regionalregierung ließe sich durch die Wahl lösen. Stattdessen wird er bestehen bleiben und sich noch verschärfen, während die politische Zukunft weiterhin völlig unsicher ist.
Der Aufruf zur Wahl war Teil der repressiven Strategie von Ministerpräsident Mariano Rajoy (PP), und er hatte dafür die Unterstützung der Europäischen Union. Am 1. Oktober entfesselte die Regierung mit Billigung der Ciudadanos und der Sozialistischen Partei Spaniens (PSOE) brutale Polizeiaktionen gegen friedliche Teilnehmer am Unabhängigkeitsreferendum der katalanischen Separatisten. Sie entmachtete die katalanische Regierung durch den Einsatz des Verfassungsartikels 155. Anschließend rief sie zu einer Wahl am 21. Dezember auf, um eine PP-freundliche Mehrheit zu erlangen.
Rajoys Strategie ging jedoch nicht auf. Trotz der Drohungen der PP und der Verhaftung vieler katalanischer Nationalisten konnten diese die Mehrheit halten. Die PP, die in Katalonien traditionell sehr schwach ist, erlitt einen demütigenden Einbruch ihrer Stimmen.
Bereits am Donnerstagabend begannen in der PP-nahen Presse die Schuldzuweisungen. Die Kolumnistin der rechten Zeitung ABC erklärte in einem Artikel mit dem Titel „Dafür also die Wahl?“: „Mariano Rajoy hat einen Fehler gemacht, als er so schnell wie möglich Wahlen ansetzte.“
Die genaue Zusammensetzung des katalanischen Parlaments ist noch unklar. Acht der 70 gewählten nationalistischen Abgeordneten können nicht persönlich im Parlament erscheinen. Fünf sind vor spanischen Haftbefehlen ins Ausland geflohen (nämlich der abgesetzte katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont, Clara Ponsati, Toni Comin, Lluis Puig und Meritxell Serret). Drei weitere (der abgesetzte Vizepremier Oriol Junqueras, Jordi Sanchez und Joaquin Forn) sitzen im Gefängnis. Damit fehlen den katalanischen Nationalisten sechs Stimmen zur notwendigen Mehrheit von 68 Stimmen.
Diese Personen könnten ihre Sitze an rangniedere JxCat- oder ERC-Mitglieder abgeben, um die notwendige Parlamentsmehrheit zu erreichen. Allerdings könnte Puigdemont auch versuchen, nach Katalonien zurückzukehren. Er könnte versuchen, den Sieg der katalanischen Nationalisten, zu dem seine Partei am meisten beigetragen hat, als Argument für seine Wiedereinsetzung zu nutzen.
Die erste Reaktion der PP bestand aus Hinweisen darauf, dass sie eine verstärkte Repression vorbereitet. Am Donnerstagabend bekräftigte Rajoy seine Drohung, die katalanische Regierung durch den Einsatz von Artikel 155 aufzulösen, sollte sie Madrid nicht gehorchen. Er drohte: „Haltet euch an das Gesetz, sonst wisst ihr, was passiert.“
Die spanische Polizeieinheit Guardia Civil brachte neue Anklagen gegen weitere katalanische Nationalisten vor das Oberste Gericht. Sie klagte Junqueras' Stellvertreterin als ERC-Vorsitzende, Marta Rovira, und die CUP-Sprecherin Anna Gabriel an. Sie behauptete außerdem, eine friedliche Protestkundgebung am Nationalfeiertag Diada, die sie als „Landesverrat“ bezeichnete, biete die Grundlage für weitere Anklagen.
Die Guardia Civil behauptete, die Proteste hätten einen „gefährlichen Keim für ein Gefühl der Auflehnung oder sogar des Hasses auf den spanischen Staat und dessen tragende Institutionen“ propagiert. Bei diesen Bürgerprotesten sei „die Umsetzung einer dauerhaften Strategie bewusst geplanten Ungehorsams“ gefordert worden.
Vertreter der PP hatten im Wahlkampf den Vorwand fallengelassen, die Justiz betreibe völlig unabhängige Ermittlungen. In Wirklichkeit benutzt die PP die Justiz, um Rechnungen mit ihren Gegnern zu begleichen. Das gab die stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Saenz de Santamaría bei einer Veranstaltung in Girona offen zu. Sie rief aus: „Wer hat dafür gesorgt, dass die ERC und die PDECat enthauptet wurden und führerlos blieben? Mariano Rajoy und die PP. Wer hat die Missachtung des Gesetzes beendet? Mariano Rajoy und die PP … Wer verdient also die Stimmen, um den Separatismus aus der Welt zu schaffen? Mariano Rajoy und die PP.“
Die Wähler enttäuschten jedoch nicht nur die PP, sondern auch die Koalition aus nationalistischen katalanischen Parteien. Das Ergebnis der Wahl war zwar eine Niederlage für die PP, aber keine wirklich starke Mehrheitsentscheidung für den katalanischen Nationalismus. Sein reaktionäres Programm strebt eine unabhängige katalanische Republik an, setzt seine Hoffnungen auf die EU und verhält sich Spanien gegenüber offen feindlich. Es ist ein Programm, das die Arbeiter in den katalanischen Städten seit jeher ablehnen.
Die katalanischen Nationalisten konnten weder die meisten Stimmen erringen, noch ihren Stimmanteil deutlich vergrößern. Die Bürgerpartei erhielt mit 25,36 Prozent die meisten Stimmen, gefolgt von der JxCat mit 21,68 Prozent und der ERC mit 21,4 Prozent. Zusammen mit den 4,45 Prozent der CUP haben die katalanischen Separatisten nur 47,53 Prozent der Stimmen erhalten.
Dass sie eine Mehrheit im Regionalparlament erzielten, ist das unbeabsichtigte Ergebnis einer Manipulation der Wahlbezirke, die auf das spanische faschistische Regime zurückgeht. Ende der 1970er Jahre hatte das Regime während des Übergangs zur parlamentarischen Demokratie diese Manipulationen vorgenommen. Sie begünstigen ländliche Bezirke gegenüber den Städten, weil in den Städten damals eher sozialdemokratische oder kommunistische Kandidaten gewählt wurden. Dies hat sich seither zum Vorteil für die katalanischen Nationalisten ausgewirkt, deren Anhänger sich in ländlichen Gebieten konzentrieren.
In den beiden größten Städten Barcelona und Tarragona gewannen die separatistischen Kräfte nur 44 bzw. 49,5 Prozent der Stimmen. In Girona und Lleida gewannen sie jedoch 63,7 bzw. 64,2 Prozent.
Die Wähler hegen durchaus ein Misstrauen gegenüber dem Versuch, das Programm der katalanischen Separatisten als „revolutionär“ darzustellen. Ein weiteres Anzeichen dafür war der deutliche Rückgang der Stimmen für die CUP von 8,2 Prozent im Jahr 2015 auf 4,45 Prozent. Die Zahl der CUP-Mandate sank von zehn auf vier.
Der traditionell antiseparatistische „rote Gürtel“ um Barcelona, d.h. die Arbeitervororte, die in der Zeit nach der Transition für die Sozialdemokraten oder die Kommunistische Partei gestimmt hatten, stimmten diesmal eher für die rechte Bürgerpartei (Ciudadanos), statt für die PSC oder für Podemos. Die Ciudadanos pflegt enge Beziehungen zur PP, kritisierte sie aber im Wahlkampagne und trat für eine rationalere und weniger aggressive Strategie zur Lösung der Krise ein. Sie konnte die Zahl ihrer Sitze von 25 auf 36 erhöhen.
Die Wahl war auch ein deutlicher Rückschlag für die kleinbürgerliche Podemos. Ihr katalanischer Ableger CeC sank von elf auf acht Sitze. Auf diese Weise reagieren die Wähler darauf, dass Podemos trotz der Millionen Stimmen bei der letzten landesweiten Wahl keinerlei Widerstand gegen die diktatorische Politik der PP organisiert, sondern selbst den Sparkurs fortsetzt.
Die Bürgermeisterin von Madrid, Manuela Carmena, die von Podemos unterstützt wird, beschloss vor kurzem Haushaltskürzungen in Millionenhöhe, um die Sparforderungen des spanischen Finanzministeriums zu erfüllen. Podemos-Generalsekretär Pablo Iglesias erklärte zur Verteidigung der Kürzungen, es sei „logisch“, dass sich die Städte ans Gesetz halten müssten, denn es gebe „Regeln für die Ausgaben“. Er fügte hinzu: „Der Stadtrat von Madrid ist beispielhaft für sein gutes Management und wird es auch weiterhin sein.“