Eine neue Studie, der „World Inequality Report“ (Bericht zur weltweiten Ungleichheit), dokumentiert den Anstieg der globalen Einkommens- und Reichtums-Ungleichheit seit 1980. Veröffentlicht haben ihn die Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, Emmanuel Saez, Gabriel Zucman, Facundo Alvaredo und Lucas Chancel.
Der Bericht umfasst einen Zeitraum bis 2016 und berücksichtigt noch nicht das letzte Jahr, in dem die Aktien an den Börsen angetrieben von der Aussicht auf massive Steuersenkungen in den USA für die Reichen rasant angestiegen sind.
In dem Bericht wird festgestellt, dass zwischen 1980 und 2016 das Einkommen des reichsten Prozents mehr als doppelt so rasch gewachsen ist wie das der unteren Hälfte der Menschheit. Deutschland attestiert der Bericht so viel Ungleichverteilung wie zuletzt 1913.
Die Zahlen zeigen, dass die obersten 0,1 Prozent der Menschen weltweit so viel an Einkommenszuwachs erzielen konnten wie die untere Hälfte. Die obersten 0,001 Prozent, d.h. nur 76.000 Menschen auf der ganzen Welt, haben 4 Prozent des weltweiten Einkommenszuwachses erhalten. Währenddessen gab es für die Menschen im Bereich des 50sten bis 99sten Perzentils nur extrem geringe Wachstumsraten. In dem Bericht werden sie die „ausgepressten 90 Prozent in den USA und Westeuropa“ genannt. Dieser Bereich umfasst die Arbeiterklasse in der hochentwickelten Wirtschaft der Welt.
Der Bericht basiert auf Steuerdaten und Finanzinformationen, die für die „World Wealth and Income Database“ (Welt-Reichtums- und Einkommens-Datenbank) von mehr als 100 Forschern in 70 Ländern zusammengetragen wurden. Er zeigt, dass die Einkommensunterschiede in allen Ländern entweder gestiegen oder gleich geblieben sind.
Zusätzlich hat der Bericht herausgefunden, dass die Konzentration von Reichtum in den Händen des obersten Prozents stark angestiegen ist, speziell in den USA, Russland und China. In den USA stieg der Anteil des obersten Prozents am Vermögen von 22 Prozent im Jahr 1980 auf 39 Prozent letztes Jahr. In China verdoppelte er sich von 15 auf 30 Prozent, und in Russland stieg er von 22 auf 43 Prozent.
Bezogen auf das Einkommen erzielten in Europa die obersten zehn Prozent 37 Prozent des nationalen Einkommens. In China erzielten sie 41 Prozent und in den Vereinigten Staaten waren es zusammen mit Kanada 47 Prozent. Im Afrika südlich der Sahara erzielten die obersten zehn Prozent 54 Prozent, in Brasilien und Indien 55 Prozent und im Nahen Osten 61 Prozent.
Russland hatte 1980, als es noch Teil der Sowjetunion war, die geringste Ungleichheit. Die obersten zehn Prozent verfügten über 20 Prozent des Einkommens. Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 gab es einen extremen Anstieg der Ungleichheit. In weniger als fünf Jahren ging die Hälfte des gesamten nationalen Einkommens an die obersten zehn Prozent. Russland hat jetzt das Niveau der Vereinigten Staaten erreicht und ist zu einem Grad der Ungleichheit zurückgekehrt, wie es sie vor einem Jahrhundert unter der Herrschaft des Zaren gab.
Der Bericht zeigt außerdem, dass es seit 1980 eine erhebliche Abweichung beim Ausmaß der Ungleichheit zwischen den Vereinigten Staaten und Europa gibt. 1980 erzielte in beiden Regionen das oberste Prozent 10 Prozent des Einkommens. Im Jahr 2016 beanspruchte das oberste Prozent in Europa 12 Prozent des Einkommens, während sich in den USA ihr Anteil auf 20 Prozent verdoppelt hatte.
Das oberste Prozent und die untere Hälfte der amerikanischen Bevölkerung haben im Wesentlichen ihre Position getauscht. Während im Jahr 1980 die unteren 50 Prozent 20 Prozent des nationalen Einkommens erhielten, ging dieser Anteil stetig auf nur 13 Prozent im Jahr 2016 zurück. Umgekehrt vergrößerte das oberste Prozent im Verlauf von weniger als zwei Generationen seinen Anteil am nationalen Einkommen stetig von 10 auf 20 Prozent.
Das durchschnittliche jährliche Einkommen der unteren Hälfte der amerikanischen Bevölkerung stagniert inflationsbereinigt seit 40 Jahren bei 16.500 Dollar, während das Einkommen des obersten Prozents sich von 430.000 Dollar auf 1,3 Millionen Dollar verdreifacht hat.
Die Verfasser des Berichts erklären in einem Kommentar im Guardian, dass die Vereinigten Staaten ein Ausreißer unter den hochentwickelten Volkswirtschaften sind, weil der steile Anstieg der Ungleichheit bei Einkommen und Reichtum über die letzten vier Jahrzehnte hinweg sich zu einem zweiten „vergoldeten Zeitalter“ (Blütezeit der US-Wirtschaft von 1870 bis 1900) entwickelt hat.
Die Autoren führen den dramatischen Unterschied zwischen den USA und Europa auf den „perfekten Sturm radikaler politischer Veränderungen“ in den USA zurück. Sie argumentieren, das Anwachsen der Ungleichheit in den USA sei durch eine Reihe von Faktoren verschärft worden. Dazu gehören das Steuersystem, das im Laufe der Zeit immer weniger progressiv wurde, ein bundesweiter Mindestlohn, der mit der Inflation nicht Schritt gehalten hat, schrumpfende Gewerkschaften, die Liberalisierung der Finanzindustrie und einen zunehmend ungleichen Zugang zu Hochschulbildung. Im Zusammenhang mit den Steuersenkungen der Republikaner prophezeien sie einen „Turboantrieb“ für den weiteren Anstieg der Ungleichheit.
Trotz seines explosiven Inhalts haben die Medien den jüngsten Bericht über Ungleichheit regelrecht versteckt. Die New York Times hat ihn unter einer kleinen Überschrift in den Börsenteil verbannt. Der Guardian brachte ihn in den Nachrichten aus aller Welt. Das enorme und ständig wachsende Ausmaß der sozialen Ungleichheit auf der ganzen Welt ist nichts, worüber die herrschende Klasse in den USA, Europa und anderswo reden wollen.
Die Politik der USA ignoriert und vertuscht die soziale Ungleichheit. Die Demokraten sind völlig auf die Sexismus-Debatte und auf die antirussische Kampagne konzentriert, obwohl die Republikaner ihre Bemühungen energisch vorantreiben, die Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche bis zum Ende des Jahres zu verabschieden.
Unter der Oberfläche des öffentlichen Lebens wachsen jedoch die Klassenkonflikte an. Der World Inequality Report deckt die Widersprüche des kapitalistischen Systems schonungslos auf.
Zum Abschluss ihres Berichts empfehlen die Autoren politische Maßnahmen, die man ergreifen könnte, um das Anwachsen der sozialen Ungleichheit rückgängig zu machen. Sie verbreiten die Illusion, man könne im Kapitalismus durch diverse liberale Reformmaßnahmen und Appelle an die kapitalistischen Regierungen, progressive Steuermaßnahmen verabschieden und eine gerechte Verteilung der Reichtümer durchsetzen.
In der herrschenden Klasse gibt es jedoch keine Fraktion, die für „Reformen“ eintritt. Die zunehmende Ungleichheit in den USA wurde sowohl unter den Demokraten als auch den Republikanern, mit dem Segen und der Mithilfe der Gewerkschaften vorangetrieben. In Europa ist sich die herrschende Klasse dabei, mit den USA gleichzuziehen. Sie setzt Maßnahmen zur Arbeits-„Reform“ durch, zerstört soziale Programme und sorgt für die Umverteilung des Vermögens an die Reichen.
Die Reaktion der herrschenden Klasse auf die wachsende soziale Opposition ist nicht Reform, sondern Unterdrückung. Der Kampf gegen Ungleichheit erfordert den Aufbau einer Bewegung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Sie muss den Reichtum der Wirtschafts- und Finanzoligarchie beschlagnahmen, die Banken und die riesigen Konzerne in demokratisch kontrollierte öffentliche Einrichtungen verwandeln und das Wirtschaftsleben auf der Grundlage der sozialen Bedürfnisse neu organisieren.