Das Regime von Zar Nikolaus II. befand sich im Winter 1916-1917 nach drei Jahren Krieg an der Ostfront am Rande des Zusammenbruchs. Die Opferzahlen des russischen Reiches waren horrend: Sechs Millionen Soldaten waren tot, verwundet, vermisst oder gefangen genommen worden. Die Armee litt an krasser Unterversorgung. Aufstände gegen das Offizierskorps häuften sich; es stand dem Leiden der hauptsächlich aus Bauern rekrutierten Armee gleichgültig gegenüber und war allgemein inkompetent. Ebenso wie in Deutschland und selbst den Vereinigten Staaten stiegen in Russland die Preise für Nahrungsmittel dramatisch an und wurden zu einem Hauptgrund für wachsende soziale Unruhen.
New York, 20. Februar: Hungeraufstände in Manhattan
Als Reaktion auf den rasanten Anstieg der Verbraucherpreise beginnt in den USA eine Welle von Hungeraufständen. Der Preisanstieg wird durch die riesigen Profite befeuert, die der amerikanische Kapitalismus aus dem Krieg in Europa zieht. In der East Side in New York protestieren tausende vor dem Rathaus. Frauen skandieren Losungen wie: „Wir wollen Essen für unsere Kinder“. In Brooklyn nehmen tausende an den Hungerunruhen teil. Die Proteste weiten sich rasch auf Philadelphia und Boston aus.
Petrograd, 23. Februar (10. Februar nach dem Julianischen Kalender): Die Bolschewiki rufen zum Generalstreik auf
Aus Protest gegen die Verhaftung der bolschewistischen Duma-Abgeordneten rufen die Bolschewiki zu einem Generalstreik in Petrograd auf. Auf den Appell reagieren jedoch nur wenige Fabriken, und auch diese Arbeiter gehen nur kurz in den Streik. Laut Viktor Tschernow, dem Vorsitzenden der Sozialrevolutionären Partei, die sich vor allem auf die Bauernschaft orientiert, habe der mäßige Erfolg des Streiks „die politische Polizei von ihrer eigenen Stärke und von der Hilflosigkeit der Arbeiter“ überzeugt.
Zarskoe Selo, Russland, 23. Februar (10. Februar im Julianischen Kalender): Duma-Chef besucht den Zaren
Michail Rodsjanko, der Präsident der Russischen Duma (Parlament), reist zum Zaren-Palast in Zarskoe Selo, um Nikolaus II. von der Notwendigkeit einer Regierungsumbildung zu überzeugen und die Duma zu stärken. Rodsjanko, ein Oktobrist und konstitutioneller Monarchist, hofft, auf diese Weise soziale Aufstände zu verhindern und das zaristische Regime vor sich selbst zu retten. Doch Nikolaus steht seinem Drängen „kühl“ gegenüber, wie Rodsjanko bemerkt.
In einem Bericht vom Februar 1917 warnt Rodsjanko den Zaren: „Die Situation in Russland ist jetzt katastrophal … Wir müssen für mindestens drei Monate mit einer extremen Verschärfung der Situation auf dem Lebensmittelmarkt rechnen, die an eine nationale Hungerkatastrophe grenzt. Die Situation bei der Energieversorgung ist nicht besser.“ Weiter schreibt er: „Wir stehen kurz vor Mitternacht, und allzu nah ist der Zeitpunkt, wo jeder Appell an die Vernunft des Volkes zu spät und vergeblich sein wird.“
Trotzki schrieb später über Nikolaus II.: „Seine Ahnen hinterließen Nikolaus II. als Erbschaft nicht nur das gewaltige Reich, sondern auch die Revolution. Sie bedachten ihn mit keiner einzigen Eigenschaft, die ihn befähigt hätte, ein Reich zu verwalten oder auch nur ein Gouvernement oder einen Kreis. Der historischen Brandung, die ihre Wogen immer näher an die Tore des Palastes heranwälzte, brachte der letzte Romanow eine dumpfe Teilnahmslosigkeit entgegen. Es war, als trenne sein Bewusstsein und seine Epoche eine durchsichtige, aber völlig undurchdringliche Sphäre …
Die Worte Goethes: ‚Vernunft wird Unsinn‘ enthalten den gleichen Gedanken von dem unpersönlichen Jupiter der historischen Dialektik, der überlebten historischen Institutionen den Sinn raubt und deren Verteidiger zu Misserfolg verurteilt. Die Rollentexte der Romanows und der Capets waren durch die Entwicklung des historischen Dramas vorgeschrieben. Den Akteuren blieben höchstens die Nuancen der Interpretation übrig. Das Missgeschick Nikolaus’ wie Ludwigs wurzelte nicht in ihrem persönlichen Horoskop, sondern in dem historischen Horoskop der ständisch-bürokratischen Monarchie. Sie waren vor allem Letztgeborene des Absolutismus. Ihre moralische Nichtigkeit, die sich aus ihrem dynastischen Epigonentum ergab, verlieh diesem einen besonders unheilvollen Charakter.“ (Aus: „Geschichte der Russischen Revolution“, Band 1, S. 48, S. 84)
Berlin, 23. Februar: SPD stimmt neuen Kriegskrediten zu
Die SPD stimmt im Reichstag einem neuen Kriegskredit für die Regierung zu. Mit einem Gesamtwert von fünfzehn Milliarden Reichsmark handelt es sich um den bisher größten Kriegskredit, den der Reichstag der deutschen Regierung gewährt. Insgesamt belaufen sich die Kriegskredite seit 1914 nun auf 79 Milliarden Reichsmark.
Die Entscheidung erfolgt inmitten des katastrophalen „Steckrübenwinters“, der zehntausende Todesopfer fordert und der schlimmste Hungerwinter in der deutschen Geschichte sein sollte. Am nächsten Tag werden in Berlin wegen massiver Versorgungsprobleme mit Energie und Holz alle Schulen geschlossen.
Der SPD-Abgeordnete Georg Ledebour, der in der Partei einer Minderheitsfraktion vorsitzt, die sich zunehmend gegen den Kriegskurs stellt, lehnt die Kredite in der Reichstagsdebatte als „Vertrauensvotum“ für die Regierung ab. Wie Ledebour argumentiert, übernimmt eine Partei, die den Krediten zustimmt, „damit auch die Mitverantwortung für die Kriegsziele der Regierung und für die Maßnahmen, die die Regierung für die Durchsetzung ihrer Kriegsziele für gut befindet.“
Mit ihrer Zustimmung zu den ersten Kriegskrediten im August 1914 hatte die SPD als größte und einflussreichste Partei der Zweiten Internationale wesentlich dazu beigetragen, den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu ermöglichen. Rosa Luxemburg hatte in ihrer Junius-Broschüre von 1916 diesen historischen Verrat als „tiefsten Fall, den gewaltigsten Zusammenbruch“ bezeichnet und konstatiert: „Nirgends ist die Organisation des Proletariats so gänzlich in den Dienst des Imperialismus gespannt …“
Lenin schreibt in der Schweiz gegen den so genannten „Sozialpatriotismus“:„Es ziemt einem Bourgeois, dem Volke, den Ausgebeuteten, Vertrauen zur Bourgeoisie einflößen zu wollen, die wirkliche imperialistische Politik ‚seiner‘ Bourgeoisie durch plausible Redensarten zu verdecken zu suchen.
Einem Sozialisten ziemt etwas ganz anderes. Nämlich: Diese wirkliche Politik ‚seiner‘ Bourgeoisie ohne Illusion und unbarmherzig zu entlarven.“ („Der Schutz der Neutralität“, Januar 1917, Lenin Werke, Band 23, S. 272).
London, 24. Februar 1917: Das Zimmermann-Telegramm bringt die USA an den Rand des Krieges
Das geheime, entschlüsselte Zimmermann-Telegramm wird Walter Hines Page, dem amerikanischen Botschafter in Großbritannien, gezeigt. Aus dem Telegramm geht hervor, dass Deutschland versucht, Mexiko in einen Krieg gegen die USA hinzuziehen, die zu dem Zeitpunkt zwar offiziell neutral sind, aber zunehmend im Bündnis mit Großbritannien und Frankreich agieren. Im Gegenzug verspricht Deutschland Mexiko, dass der amerikanische Südwesten wieder an Mexiko fallen soll.
Im Telegramm des Außenministers Arthur Zimmermann heißt es, dass Deutschland für den 1. Februar die Aufnahme eines uneingeschränkten U-Boot-Krieges geplant habe, um die britische Kriegsmaschinerie von amerikanischen Lieferungen abzuschneiden. Die amerikanische Neutralität ist nun wenig mehr als eine Fiktion, und die Wilson-Regierung bewegt sich offen auf die Alliierten zu, nachdem sie diese lange finanziert und ausgerüstet hat.
Wie Zimmermann schreibt, hofft Berlin immer noch auf eine anhaltende Neutralität der USA. Doch wenn dies nicht der Fall sein sollte, würde Deutschland ein militärisches Bündnis mit Mexiko finanzieren. Mexiko, das noch bis vor kurzem von US-Truppen unter General John Pershing besetzt worden war, die den Revolutionär Pancho Villa verfolgt hatten, sollte dann einen Großteil des Territoriums zurückfordern, das es im mexikanisch-amerikanischen Krieg von 1846–1848 verloren hatte. Das Telegramm legt auch die Möglichkeit einer Allianz mit Japan nahe.
Berlin, 25. Februar, 1917: Deutsche Industrielle fordern Rücktritt des Kanzlers
In Deutschland fordern führende Industrielle den Rücktritt von Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg. Sie werfen ihm Unfähigkeit bei der Kriegsführung vor.
Der Aufruf ist Ausdruck von wachsendem Widerstand im Militär und der Bourgeoisie gegen den Kurs von Bethmann-Hollweg. Dieser geriet mit dem Generalstab und wichtigen Teilen des Bürgertums zunehmend in Konflikt über den U-Boot-Krieg, weil er einen offenen Krieg mit den USA vermeiden wollte. Anfang Februar 1917 hatte Deutschland den uneingeschränkten U-Boot-Krieg gegen die USA aufgenommen, ein Schritt, gegen den sich Hollweg lange gestellt hatte. Die Konflikte drehten sich auch darum, wie weit die Regierung Zugeständnisse an die kriegsmüde und hungrige Bevölkerung machen sollte.
Berlin, Dortmund, Hamburg, 26. Februar 1917: Hungeraufstände in Deutschland
Die New York Times berichtet von zunehmenden Hungeraufständen und Streiks in den drei wichtigen Industriestädten Berlin, Dortmund und Hamburg. Eine Quelle der Times berichtet, dass in Hamburg „hunderte Arbeiter in den großen Werften und Munitionsfabriken vor Unterversorgung krank werden“. In Dortmund werden Geschäfte von hungernden Massen überfallen. In Berlin fordern rund 8000 Arbeiter der AEG höhere Löhne. Nur wenige Tage zuvor hatte eine Streikwelle von Berg- und Metallarbeitern das Ruhrgebiet erschüttert. In den Worten der New York Times ist die Situation „im wahrsten Sinne des Wortes verzweifelt“. Im Winter 1916–1917 deckte die offizielle Lebensmittelration, die den Arbeitern durch die Regierung zugeteilt wurde, nur rund fünfzig Prozent des täglichen Kalorienbedarfs.
New York City, 26. Februar, 1917: Die erste Jazz-Aufnahme der Geschichte
Die Original Dixieland Jass Band nimmt bei dem Schallplatten-Hersteller Viktor Talking Machine Company in New York City ihrenSong „Livery Stable Blues“ auf. Der Song wird mit mehr als einer Million verkaufter Platten zur Sensation. In New York und Chicago entsteht eine enorme Nachfrage nach Jazz-Musikern. Aufgenommen wird die Platte von einer Gruppe von Jazz-Musikern aus New Orleans: Nick LaRocca am Horn, Eddie Edwards an der Posaune, Larry Shields auf der Klarinette, Henry Ragas am Klavier und Tony Spargo am Schlagzeug. Eine andere Gruppe von Jazz-Musikern aus New Orleans mit Ray Lopez und Alcide Nunez veröffentlicht eine konkurrierende Version des Songs.