Die führende konservative Zeitung Polens, Rzeczpospolita (Republik), sieht das Land nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten vor einer „tragischen Entscheidung“: Angesichts der rasant wachsenden Spannungen zwischen Washington und Europa muss Polen nun, so die Zeitung, eine „teuflische Entscheidung“ zwischen einer Allianz mit den USA und einer Allianz mit Deutschland treffen. Der Kommentar ist ein Indiz für die heftigen Auseinandersetzungen, die in der polnischen Bourgeoisie über die außenpolitische Orientierung des Landes stattfinden.
In dem Kommentar vom 19. Januar fasst Jędrzej Bielecki knapp die radikal veränderte Situation zusammen, in der sich die polnische Bourgeoisie seit der Trump-Wahl befindet: „Zum ersten Mal stehen die [Interessen der] USA und [von] Europa im Gegensatz zueinander. Sollen wir auf eine Allianz mit den USA oder eher Deutschland setzen? Was ist wichtiger, die Nato oder vielleicht doch die EU? Polen wird sicher sehr bald auf diese fundamentalen Fragen antworten müssen. Und all das wegen Donald Trump.“
Bielicki verweist auf das Interview, das Trump der Bild-Zeitung und der Times gegeben hat, in dem er als erster US-Präsident die EU in Frage stellte, offen Deutschland angriff und den Brexit begrüßte. Die Zeitung zitiert dann Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf die radikalen Töne Trumps antwortete: „Wir Europäer haben unser Schicksal selbst in der Hand.“
Er warnt vor einem möglichen Deal zwischen Washington und Moskau auf Kosten Europas und sieht die Ukraine, einen engen Verbündeten Polens, als erstes Opfer einer möglichen Umorientierung der US-Außenpolitik Richtung Kreml. Bieliecki konstatiert, dass die Wahl zwischen Deutschland und Europa auf der einen und den USA auf der anderen Seite die polnischen Eliten vor ein praktisch unlösbares Dilemma stellt. Die Situation sei, so Bielicki, „tragisch“.
Bielicki betont die Bedeutung der EU für Polen und schreibt, eine Entscheidung zwischen Washington und Berlin und Brüssel „ist nicht leicht und erfordert genaue Überlegungen“. Bemerkenswerterweise deutet Bielicki dann an, dass eine Allianz mit Deutschland mehr Sinn machen könnte.
Zwar seien die USA bisher als einziges Land in der Lage gewesen, Polen militärisch vor Russland zu schützen. Doch dazu könnte es unter Trump aus politischen Gründen nicht mehr bereit sein. Hingegen sei Deutschland, so Bielicki, viel weniger geneigt, sein Nachbarland Polen „Putin zu überlassen“. Seine Argumentation läuft darauf hinaus, dass Deutschland angesichts der massiven militärischen Aufrüstung und der Bemühungen zum Aufbau einer europäischen Armee bald in der Lage sein könnte, die Rolle der USA als Schutzmacht Polens zu übernehmen.
Er schließt, indem er die Monopolisierung aller außenpolitischen Entscheidungen unter der PiS-Regierung durch das Verteidigungsministerium von Antoni Macierewicz kritisiert. Das Außenministerium bleibe dabei, so Bielicki, außen vor. Er schließt mit den Worten: „Es ist durchaus realistisch, dass das Dilemma, vor dem Trump Polen stellt, [jetzt] für Jahrzehnte entschieden wird, für eine Zeit, in der PiS schon lange nicht mehr an der Macht sein wird. Daran muss man immer denken.“
Der Artikel legt offen, welche Spannungen in der polnischen Bourgeoisie zurzeit über die Außenpolitik existieren. Die polnische Bourgeoisie war historisch immer vom Imperialismus abhängig, insbesondere von den USA. Zwischen den beiden Weltkriegen versuchte das Regime von Józef Pilsudski zwischen den Großmächten, allen voran Deutschland, der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, zu lavieren. Dieser Versuch endete mit der Besatzung Polens durch Deutschland im Zweiten Weltkrieg, die, wenn man die zahlreichen Toten auf polnischem Boden aus anderen Ländern nicht mitzählt, rund 8 Millionen Todesopfer forderte.
Mit der Verschärfung der Konflikte innerhalb Europas und insbesondere zwischen Deutschland und den USA findet sich die polnische Bourgeoisie objektiv wieder in einer ähnlichen Lage. So bemerkte eine Abgeordnete der liberalen Oppositionspartei .Nowoczesna (Moderne), Joanna Scheuring-Wielgus: „Ich fürchte, die geopolitische Situation erinnert sehr an das, was in den 1930er Jahren geschehen ist“.
Seit der kapitalistischen Restauration herrschte in der Bourgeoisie Einigkeit über die Notwendigkeit einer engen Orientierung auf die USA. Im Jahr 1997 trat Polen der Nato bei. Im Jahr 2004 wurde es – nicht zuletzt auf Drängen der USA – Mitglied der EU. Washington hat das Land im vergangenen Vierteljahrhundert systematisch zu einem Bollwerk gegen Russland aufgebaut und militärisch aufgerüstet. Zuletzt erfolgte in diesem Monat die erste US-Truppenstationierung an der Türschwelle zu Russland im Osten Polens: insgesamt sollen 3500 Soldaten in der Region stationiert werden.
Vor diesem Hintergrund wäre ein möglicher Bruch mit den USA ein radikaler Schritt, der enorme Konsequenzen nicht nur für Polen, sondern für das gesamte Kräftegleichgewicht in Europa hätte.
Neben der Furcht vor einem Deal zwischen Moskau und Washington auf Kosten Warschaus spielen handfeste wirtschaftliche Interessen und Abhängigkeiten eine wichtige Rolle bei den außenpolitischen Auseinandersetzungen. Die wichtigsten wirtschaftlichen Beziehungen unterhält Polen mit EU-Ländern, allen voran Deutschland, dem mit Abstand wichtigsten Handelspartner. Verglichen damit sind die Handelsbeziehungen mit den USA außerhalb des Militärsektors von sehr geringem Gewicht. Seit dem polnischen EU-Beitritt im Jahr 2004 hat sich das deutsch-polnische Handelsvolumen mehr als verdreifacht.
Ende 2015 betrugen die ausländischen Direktinvestitionen in die polnische Wirtschaft 159 Milliarden Euro. Davon fielen 30,3 Mrd. auf die Niederlande, 27, 3 Mrd. auf Deutschland, 19,3 Mrd. auf Luxemburg und 17,9 Mrd. auf Frankreich. Der größte Anteil ausländischer Direktinvestitionen geht an den Industriesektor (53,8 Mrd. im Jahr 2015), gefolgt vom Finanz- und Versicherungssektor (31,4 Mrd.). Laut dem Zentralen Staatlichen Statistikamt (GUS) gab es im Jahr 2015 26.464 Firmen mit ausländischem Kapital. Im Jahr 2014 kamen 89,7 Prozent des ausländischen Kapitals in Polen aus der EU. Im Industriesektor waren 45,8 Prozent aller Arbeiter in Firmen mit ausländischem Kapitalanteil angestellt.
PiS hat zwar durch ein neues Gesetz mit der „Re-Polonisierung“ der Banken begonnen, doch nach wie vor spielt im Bankensektor deutsches, italienisches und schweizerisches Kapital eine zentrale Rolle. Von besonderer Bedeutung sind hier die Commerzbank, die Raiffeisenbank und die italienische Bank Pekao. Auch im Pressewesen spielt Deutschland eine wichtige Rolle. So befinden sich zahlreiche einflussreiche Medien, darunter vor allem oppositionsnahe Journale wie die Newsweek Polska, in der Hand des Springer-Konzerns.
Hinzu kommen die umfangreichen Fördergelder der EU, die in Polen eine wichtige Rolle dabei spielen, minimale Standards in der sozialen Infrastruktur zu gewährleisten und so den sozialen Unmut in der verarmten Bevölkerung gering zu halten. Auch der freie Binnenmarkt ist für die polnische Bourgeoisie nicht nur für den Absatz ihrer Produktion von Bedeutung, sondern auch mit Hinblick auf die mehreren Millionen polnischen Arbeiter, die im EU-Ausland Geld verdienen und damit ihren Familien in Polen das Überleben erleichtern.
PiS setzt momentan offenbar als künftige außenpolitische Orientierung vor allem auf ein Bündnis mit einem aus der EU ausgetretenen Großbritannien und der US-Regierung unter Trump.
In den vergangenen Monaten hat die PiS-Regierung gezielte Anstrengungen unternommen, diese weiter auszubauen und gleichzeitig enge Verbindungen mit der Brexit-Regierung von Theresa May zu knüpfen. So fand im November zum ersten Mal ein bilateraler Gipfel in London statt, an dem hochrangige Vertreter beider Regierungen teilnahmen, um ein polnisch-britisches Bündnis zu diskutieren.
Marek Magierowski aus der Kanzlei des Präsidenten Andrzej Duda erklärte gegenüber dem Portal Wpolityce.pl: „Je besser die militärischen und politischen Beziehungen zwischen den USA und Großbritannien sind, desto bessere Beziehungen können wir zwischen Polen und den USA erwarten.“ Gleichzeitig hofft PiS, dass sich eine Verbesserung der Beziehungen der USA mit Russland nicht materialisieren wird, nicht zuletzt angesichts der massiven Opposition sowohl aus Reihen der Demokraten als auch der Republikaner gegen den Kurs von Trump in dieser Frage.
Das Portal zitierte außerdem Politiker, die darauf verwiesen, dass auch Barack Obamas Amtszeit mit dem Plan für einen „Reset“ der Beziehungen mit Russland begonnen hatte, diese sich aber sehr schnell verschlechtert hätten.
Doch PiS öffnet gleichzeitig nun auch langsam wieder die Türen für eine Annäherung an Deutschland, mit dem sich die Beziehungen unter der PiS-Regierung deutlich verschlechtert hatten. Der Parteichef Jarosław Kaczyński, der in der Partei als einer der schärfsten Gegner Deutschlands und Kritiker der pro-deutschen Orientierung der liberalen Opposition aufgetreten ist, hat, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich bemerkte, in letzter Zeit deutlich versöhnlichere Töne angeschlagen.
Führende Parteivertreter haben inzwischen wiederholt ihrer Hoffnung Ausdruck gegeben, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in diesem Jahr wiedergewählt wird. Präsident Andrzej Duda hat sich mit keinem anderen Staatsoberhaupt so oft getroffen, wie mit dem scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck.
Die FAZ kommentierte dazu, dass Deutschland auf einen Bündnispartner Polen angesichts des Auseinanderbrechens der EU und der Trump-Regierung ebenso angewiesen sei, wie Warschau auf einen Partner in Berlin. Die Bundesregierung arbeite daher daran, so die FAZ, die „Streitpunkte einzukapseln“. Mit dem Verweis auf ein anstehendes Treffen zwischen Merkel und Jarosław Kaczyński im Februar schreibt die FAZ, „pragmatische Fortschritte“ in den bilateralen Beziehungen seien möglich.