Während die USA 3,500 Truppen in Ostpolen stationieren und damit offen die Kriegsvorbereitungen gegen Russland eskalieren, verschärft die herrschende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ihre Offensive gegen das Parlament.
Am 12. Januar beendeten Abgeordnete der liberalen Oppositionsparteien Bürgerplattform (PO) und Nowoczesna (Moderne) ihren fast einen Monat währenden Sitzprotest im Plenarsaal des polnischen Parlaments (Sejm).
Sie hatten ihren Protest am 16. Dezember begonnen, als zehntausende Menschen unter der Führung der liberalen Opposition gegen einen Gesetzesentwurf protestierten, der den Zugang der Medien zu parlamentarischen Sitzungen beschränkt hätte. Mehrere oppositionelle Abgeordnete unterstützten die Proteste, indem sie das Lesepult besetzten. Der Marschall des Sejms, Marek Kuchiński, der für die Organisation und Leitung von Sitzungen verantwortlich ist, reagierte darauf, indem er die Abstimmung über den Staatshaushalt für 2017 in einen anderen Raum verlegte. Sowohl Journalisten als auch einige Oppositionsabgeordnete wurden von der Sitzung ausgeschlossen. Damit wurde dem Sejm de facto sein Vorrecht auf die Kontrolle des Staatshaushalts entzogen.
Die Führung der Oppositionsbewegung, KOD (Komitee zur Verteidigung der Demokratie), rief daraufhin zu einer Blockade des Sejms auf, die bis zu ihrer gewaltsamen Auflösung durch die Polizei in die frühen Morgenstunde des 17. Dezember andauerte. Seitdem setzten rund ein Dutzend Oppositionsabgeordnete ihren Protest im Plenarsaal fort. Als sie das Ende ihrer Protestaktion verkündeten, wurde diese in Umfragen nur noch von 6 Prozent der Bevölkerung unterstützt.
Den Gesetzesentwurf zur Einschränkung des Zugangs der Medien zu Parlamentssitzungen hat PiS zwar zumindest vorläufig zurückgezogen. Doch die Regierung hat die Forderung der Opposition nach einer Wiederholung der Abstimmung über den Staatshaushalt strikt abgelehnt. Medienberichte legen dabei nahe, dass die Protokolle der Sitzung am 16. Dezember gefälscht wurden, damit die Abstimmung legitim aussieht.
Der PiS-Chef Jarosław Kaczyński machte die Forderung der Opposition nach einer Entlassung und Ersetzung des Sejm-Marschalls lächerlich und bezeichnete sie als „irrational, wenn nicht sogar kabaretthaft“. Er kündigte an, dass PiS die Regeln für das Verhalten im Sejm ändern will, damit sowohl eine Blockade als auch ein Sitzprotest in Zukunft nicht mehr stattfinden können. Zudem drohte er mit einer strafrechtlichen Verfolgung der Abgeordneten, die sich an der Protestaktion beteiligt haben.
In einem weiteren ominösen Auftritt vor dem Präsidentenpalast erklärte der PiS-Chef gegenüber Demonstranten: „Der Tag wird kommen, an dem Polen sich ein für alle Mal von all diesem, von dieser Krankheit, die wir hier sehen, befreit sein wird. Und weder Rufe, noch Schreie oder Sirenen werden dies ändern. Polen wird siegreich gegen seine Feinde und Verräter sein.“
Der Marshall des Sejms hat die nächste reguläre Sitzung des Parlaments auf den 25. Januar verschoben. Für die Sitzung wurden keine wichtigen politischen Fragen zur Diskussion angesetzt.
Die Reaktion von PiS auf die Parlamentskrise macht deutlich, dass die Partei nun entschlossen ist, in rasantem Tempo den Aufbau eines autoritären Staates voranzutreiben. Nachdem das Verfassungsgericht als unabhängiges Organ praktisch außer Kraft gesetzt wurde, bedeutet die sich abzeichnende Abschaffung des Sejms als mehr oder weniger funktionierendes Organ das Ende der Gewaltenteilung in Polen. Die Judikative und die Legislative würden dann de facto in den Händen der Regierung liegen.
Die Krise markiert den vorläufigen Höhepunkt von Maßnahmen, mit denen PiS in enormem Tempo bürgerlich demokratische Rechte und Institutionen abgeschafft hat. Im letzten Jahr hat Pis:
• gleich nach der Regierungsübernahme im Herbst 2015 die Regierungskontrolle über die Geheimdienste hergestellt.
• das Verfassungsgericht für mehr als ein Jahr gelähmt, bis im Dezember 2016 seine Verwaltungs- und Funktionsweise radikal geändert wurden, wodurch das Gericht nun im Wesentlichen ebenfalls von der Regierung kontrolliert wird.
• mit dem Mediengesetz vom Dezember 2015 das staatliche Fernsehen und Radio unter Regierungskontrolle gestellt, was allein in den ersten Wochen zur Entlassung von über 60 Reportern und Journalisten führte.
• ein Gesetz zur Änderungen der Kriterien für den Beitritt zur Polizei durchgesetzt, das vorsieht, dass sowohl der Polizeichef als auch einzelne Polizisten auf Grundlage ihrer politischen Ansichten und ihres Verhaltens von der Regierung entlassen und ersetzt werden können.
• das Amt des Staatsanwalts Anfang 2016 dem Justizministerium unterstellt.
• ein neues „Anti-Terror-Gesetz“ erlassen, das unter anderem ermöglicht, öffentliche Veranstaltungen unter Bedingungen von erhöhter Terrorgefahr zu verbieten, Menschen ohne Prozess im Gefängnis festzuhalten, ausländische Bürger auszuweisen und einen massiven Ausbau der inländischen Überwachung erlaubt.
• paramilitärische Milizen aufgebaut und ausgerüstet, die sich hauptsächlich aus der extremen Rechten rekrutieren und als Bestandteil der Kriegsvorbereitungen gegen Russland und eines möglichen Bürgerkriegs in Polen selbst in den Staatsapparat integriert werden.
Darüber hinaus hat PiS ihre bereits engen Verbindungen zur Katholischen Kirche ausgebaut. Im November 2016 ging dies so weit, dass Präsident Andrzej Duda gemeinsam mit den polnischen Bischöfen Jesus Christus zum „König Polens“ ernannte.
Hinter dem aggressiven Vorgehen von PiS gegen den Sejm liegt eine wachsende Nervosität der polnischen Bourgeoisie angesichts einer möglichen Änderung der außenpolitischen Orientierung der US-Regierung unter Trump und die Aussicht auf den Ausbruch gewaltiger Klassenkämpfe in Polen und weltweit. PiS hat aus dem Zusammenbruch der Nachkriegsordnung und der wachsenden sozialen Krise in Polen und Europa den Schluss gezogen, dass sie sich mit allen Mitteln auf Krieg an zwei Fronten vorbereiten muss: nach außen, allen voran gegen Russland, und nach innen, gegen die Arbeiterklasse.
Die Parlamentskrise in Polen fällt mit der Ankunft der US-Truppen in Ostpolen zusammen, die zum ersten Mal seit 1989 praktisch an der Türschwelle von Russland stationiert werden. Die ersten 2,700 Truppen der insgesamt 3,500 geplanten wurden am Samstag in einer offiziellen Zeremonie in der Stadt Żagań vom Verteidigungsminister willkommen geheißen. Kurz davor hatte der polnische Senat eine massive Steigerung der Verteidigungsausgaben für 2017 um 3,4 Prozent beschlossen. Bereits im letzten Jahr waren sie um 9,3 Prozent gestiegen.
Sowohl die Steigerung der Verteidigungsausgaben als auch die US-Truppenstationierung machen Polen, ein Land, das in höchstem Maße von den vergangenen beiden Weltkriegen betroffen war, zu einem Frontstaat in einem möglichen militärischen Konflikt zwischen den USA und Russland. Dennoch findet keinerlei öffentliche Debatte über die Kriegsfrage in Polen statt. Die liberale Opposition begrüßt sowohl die US-Truppenstationierung als auch die massive militärische Aufrüstung in Polen selbst.
Nur vor diesem Hintergrund kann man die politische Impotenz der liberalen Opposition angesichts des Aufbaus eines autoritären Polizeistaates durch PiS verstehen.
Es ist bemerkenswert, dass die Abschaffung des Sejms als wesentliches politisches Organ in Polen in liberalen Medien als fast vollendeter Fakt angesehen wird.
Im liberalen Journal Polityka gab der bekannte Kommentator Rafał Kalukin einen relativ kritischen Überblick der Geschichte des Sejms seit 1989 und argumentierte, dass der „Haupttrumpf der Opposition die Möglichkeit“ sei, „Verfassungsänderungen zu blockieren“. Diese „Möglichkeit“ falle jedoch weg, wenn weder der Sejm noch das Verfassungsgericht irgendeinen Einfluss auf das politische Geschehen haben.
Kalukin endet seinen Artikel mit einer düsteren rhetorischen Frage, die im Wesentlichen andeutet, dass am weltweiten Aufstieg autoritärer Regimes und rechter Politik nichts geändert werden kann: „Vielleicht ist das [gute] Wetter für demokratische Liberale und andere Legalisten wirklich zu Ende und die Welt tritt in eine neue Epoche ein?“
Die politische Impotenz der liberalen Opposition ist in ihrer Klassengrundlage angelegt. Sie spricht für einen Teil der Bourgeoisie und oberen Mittelschicht, der taktische Differenzen mit PiS über die Orientierung der Außenpolitik hat und für eine engere Zusammenarbeit mit dem deutschen Liberalismus und der EU eintritt. Die liberale Opposition fürchtet auch, dass die Regierungspolitik das Land destabilisieren und seine Bedeutung auf internationaler Ebene verringern könnte. Doch wie auch PiS fürchtet die Opposition nichts mehr als eine Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Ursprung der Gefahr von Diktatur und Krieg: das kapitalistische System.