Die hessischen Busfahrer führen seit zwei Wochen einen Streik, der in der arbeitenden Bevölkerung große Unterstützung und Sympathie genießt. Dennoch würgt ihn die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ab und tritt am Montag in die Schlichtung ein.
Verdi hatte ursprünglich nur einen zweitägigen Proteststreik geplant, musste den Streik aber von Tag zu Tag verlängern. Die Busfahrer hatten den Streik als Signal verstanden, den Kampf gegen Niedriglöhne und miese Arbeitsbedingungen aufzunehmen. Nun besteht der Zweck der Schlichtung darin, den Arbeitskampf abzubrechen.
Die Unternehmer haben seit dem letzten Angebot, das die Tarifkommission zurückgewiesen hat, nicht das geringste Zugeständnis gemacht. Anderslautende Meldungen, die in der Presse kursieren, sind falsch. So behauptete Volker Tuchan, Geschäftsführer des Landesverbandes Hessischer Omnibusunternehmer (LHO), der Verband habe „bis zu 13,78 Euro Stundenlohn“ angeboten. Darin ist einfach der Ballungszuschlag von 78 Cent für die Stadt Frankfurt mit eingerechnet – eine Zulage, die längst nicht alle Busfahrer erhalten.
Der Gießener Allgemeinen antwortete Tuchan auf die Frage: „Haben Sie mit einer so harten Auseinandersetzung gerechnet?“ mit den Worten: „Die Heftigkeit ist insofern erstaunlich, als sich dahinter Erwartungen verbergen, die nicht zu erfüllen sind. Sie werden jetzt über den Streik transportiert, aber sie sind nicht umsetzbar.“
Auf diese Sturheit reagiert Verdi mit der Ankündigung der Schlichtung. „Die Arbeitgeber haben uns weder ein neues Angebot vorgelegt, noch mit uns über inhaltliche Fragen wie Lohnhöhen und Arbeitsbedingungen gesprochen“, schreibt Jochen Koppel, Verdi-Verhandlungsführer (gleichzeitig im Aufsichtsrat der Frankfurter Verkehrsgesellschaft VGF). „So wurde uns klar, dass nur noch der Weg der Schlichtung bleibt.“
Mit der Schlichtung, die von Montag den 23. Januar bis zum 5. Februar laufen soll, ist Friedenspflicht verbunden. Eine Pressemitteilung von Verdi-Hessen liest sich wie eine Drohung an die Streikenden: „Die Schlichtung beginnt am kommenden Montag mit Schichtbeginn. Dann herrscht Friedenspflicht. Streiks sind während der Dauer der Schlichtung ausgeschlossen. Das heißt, dass ab Montag früh die Busse wieder fahren.“
Sowohl Verdi wie der LHO sollen je einen Schlichter benennen. Die Unternehmerseite hat als Schlichter Volker Sparmann (65) gewählt, den „Mobilitätsbeauftragten“ der hessischen Landesregierung. Er war vorher Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) und sitzt auch im Aufsichtsrat der Berliner Verkehrsbetriebe BVG. Verdi hat ihrerseits noch keinen Schlichter benannt.
Die Arbeiter reagieren unzufrieden auf die Nachricht von der Schlichtung. „Das sieht mir nach einer großen Verarschung aus“, kommentierte ein Arbeiter am Römerhof in Frankfurt. „Wie haben noch nichts erreicht, aber jetzt sollen wir schon wieder fahren.“ Von der Schlichtung erwarten sie nicht viel: „Voraussichtlich wird dabei nicht viel rauskommen. Freiwillig geben sie uns ja nichts, und mit der Schlichtung kriegen sie erst einmal den Streik vom Tisch – da ist auch kein Druck mehr dahinter.“
Der Busfahrer Christian bezieht sich auf das Angebot von dreizehn Euro Ecklohn und sagt: „Das sind gerademal 35 Cent mehr als das LHO-Angebot vor dem Streik. Und das sollen wir erst in zwei Jahren bekommen. Dafür haben wir in den zwei Wochen Streik rund tausend Euro in den Sand gesetzt. Der kleine Mann muss bluten.“
Er fährt fort: „Die ganze Privatisierung der letzten zwanzig Jahre ist eine Fehlentwicklung. Der städtische Nahverkehr gehört in städtische Hand. Er darf nicht auf Profit aus sein. Eine Profitwirtschaft beim Öffentlichen Nahverkehr – das ist Mumpitz, das sollte Null auf Null ausgehen. Die Konkurrenzsituation und die damit verbundene Ausschleifung ist absoluter Schwachsinn.“
Die Arbeiter ärgern sich darüber, dass die Frankfurter Zeitungen die falschen Angaben übernommen haben, die Alois Rautschka in die Welt setzte. Er ist Geschäftsführer der ICB, die in Frankfurt fünfzig Prozent der Busse betreibt. Rautschka hatte behauptet, die Busführer würden regulär 2500 bis 2700 Euro brutto verdienen.
Die Arbeiter bestätigen, dass die meisten von ihnen ohne Überstunden und Sonderschichten gerademal zweitausend Euro verdienen. „Damit kommst du als Alleinverdiener nicht zurecht“, sagt Christian. „Wie bringe ich meine Familie durch? Wie kann ich meine Miete bezahlen? Die Mietpreise in Frankfurt sind schweineteuer. Die Ballungszulage, das sind ein paar Kröten, ein Tropfen auf den heißen Stein. Früher haben die Busfahrer gutes Geld verdient.“
Christian erklärt, dass die Busfahrer heute ihren Führerschein überwiegend selbst bezahlen müssen. „Das kostet acht- bis zehntausend Euro, um den Busführerschein nur zu erwerben. Früher wurde es bezuschusst. Ich habe vor zehn Jahren angefangen, damals habe ich die Hälfte selbst bezahlt.“
Er fügt hinzu, dass die Busfahrer diesen Führerschein alle fünf Jahre verlängern müssen, „mit mehreren Fahrmodulen, einer ärztlichen Untersuchung, Führerscheingebühren plus Fahrerkarte – dafür müssen wir auch mindestens fünf- bis siebenhundert Euro bezahlen.“
Dazu passe einfach nicht, was man als Busfahrer verdiene. „Das ist einfach ein Witz in der heutigen Zeit. Wir transportieren doch Menschen, keine Backsteine. Ich fahre junge, alte, auch behinderte Menschen, ich muss auf alles Rücksicht nehmen.“
Die Busfahrer diskutieren darüber, dass sich jetzt viele Kollegen bei Verdi als Mitglied eingetragen haben: „Der Köder war, dass sie rückwirkend Streikgeld bekommen. Als Mitglied müssen sie für mindestens ein Jahr unterschreiben und monatlich ein Prozent vom Bruttogehalt abdrücken, das sind auch jedesmal zwanzig Euro.“
Auch am Busdepot der DB Busverkehr in Frankfurt-Griesheim diskutieren die Kollegen darüber, was bei der Schlichtung herauskomme. „Der LHO ist extrem stur“, sagt einer. „Schau dir an, was sie in der Frage der Pausenregelung angeboten haben: Sie wollen die Pausenzeiten nur durchbezahlen, wenn sie weniger als zehn Minuten betragen.“
Die so genannten „gesplitteten Arbeitszeiten“ seien ihr größtes Problem. „Dadurch entstehen lange Pausenzeiten, die wir nicht bezahlt bekommen. Es kann also sein, dass wir 22 Tage arbeiten und nur zwanzigeinhalb Tage bezahlt bekommen.“ Die Pausenregelung sei fast noch wichtiger als der Ecklohn, bestätigen die Kollegen: „Als Stundenlohnerhöhung bekommen wir doch nur Peanuts.“
An dem Streik fallen zwei Dinge ins Auge.
Erstens die Unterstützung, die die Streikenden von andern Arbeitern erfahren. Immer wieder kommen Besucher vorbei, die Kuchen oder irgendetwas Anderes vorbeibringen und sagen, dass sie die Busfahrer unterstützen. Ein Fahrzeug der städtischen Nahverkehrsgesellschaft VGF hält am Tor an, der Fahrer kurbelt die Scheibe runter und ruft: „Wann dürfen wir endlich mitstreiken?“ In einem kurzen Gespräch sagen er und zwei Kollegen: „Schon aus Solidarität sollten wir doch längst mit draußen sein.“
Das ist genau das Thema, das auch vielen streikenden Busfahrern im Kopf rumgeht. So konstatiert Dasos, ein griechischer Fahrer: „Der Streik ist ohne Einheit. Warum streiken nicht alle Busfahrer? Und die Tramfahrer, die U- und S-Bahn-Fahrer? Wir sind doch in der gleichen Lage, wir haben alle die gleichen Probleme. Warum streiken wir nicht alle gemeinsam?“
Zum zweiten fällt die Bereitschaft der streikenden Busfahrer auf, diesmal für eine echte Verbesserung zu kämpfen und sich nicht mit „Peanuts“ zufrieden zu geben. Die Busfahrer haben diesen Streik nicht leichtfertig begonnen, sondern sie kämpfen gegen Ausbeuterbedingungen, unter denen sie schlicht nicht weiterleben können.
Für Verdi dagegen ist die Schlichtung „der einzige Weg“, wie Koppel sagte. Der Streik war für sie nur ein Ventil, um die Unzufriedenheit in den Betrieben unter Kontrolle zu bringen. Eine Ausdehnung auf andere Arbeiter kam für Verdi von vorneherein nicht in Betracht – im Gegenteil. Mit der Schlichtung und der damit verbundenen Friedenspflicht versucht die Gewerkschaft verzweifelt, den Busfahrerstreik abzuwürgen, ehe sich andere Schichten des öffentlichen Dienstes solidarisieren.
Seit gestern laufen bundesweit Tarifverhandlungen für 2,2 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Länder. Hessen ist aus diesem Verband ausgetreten, aber in Hessen beginnen die Verhandlungen für die etwa 45.000 Landesbeschäftigten am 27. Januar ebenfalls. In Frankfurt beginnen am 14. Februar Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen bei der Frankfurter Verkehrsgesellschaft.
Überall sind Arbeiter wütend und unzufrieden mit ihren Bedingungen. Aber Verdi isoliert alle Konflikte sorgfältig voneinander und würgt sie ab.