Perspektive

Mexiko: Landesweite Proteste gegen Benzinpreiserhöhung

Zehntausende Mexikaner gehen auf die Straße, nachdem Präsident Enrique Pena Nieto am 1. Januar entschieden hat, die Subventionen für Benzin zu kürzen. Die Verbraucherpreise werden dadurch im kommenden Jahr um 14 bis 20 Prozent steigen. Die Demonstrationen gegen el Gasolinazo, wie die Preiserhöhung genannt wird, sind mit jedem Tag weiter angewachsen und breiten sich auf alle Landesteile aus.

In der mexikanischen herrschenden Klasse haben die Proteste eine politische Krise ausgelöst. In einem Leitartikel der Zeitung Excelsior vom Dienstag heißt es dazu: „Aufgrund des Gasolinazo wächst sich der soziale Unmut zu einer allgemeinen Unzufriedenheit aus, die eskalieren könnte und dann nicht mehr einzudämmen wäre.“

Die Demonstrationen bestehen größtenteils aus spontanen Aktionen, die von Arbeitern, Jugendlichen und Teilen des Kleinbürgertums ausgehen. Am Mittwochabend blockierten LKW- und Taxifahrer sowie weitere Demonstranten erneut viele wichtige Autobahnen, nachdem die Polizei sie einen Tag zuvor geräumt hatte.

Mehrere Dutzend Demonstranten wurden verhaftet. Am Mittwoch kam es in Mexiko-Stadt zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten.

Der staatseigene Energiekonzern Petroleos Mexicanos (Pemex) gab am Mittwoch bekannt, dass Lastwagenfahrer und Demonstranten elf seiner Verarbeitungs- und Verteilzentren besetzt und damit, in den Worten des Unternehmens, in den Bundesstaaten Chihuahua, Durango, Morelos und Baja California eine „kritische Situation“ geschaffen hätten. Das Unternehmen warnte, wenn die Proteste weitergingen, müssten möglicherweise Flughäfen geschlossen werden. Es berichtete außerdem über Fälle von Sabotage an Pipelines.

Busfahrer in Guadalajara im Bundesstaat Jalisco riefen am Mittwoch zum ersten Streik gegen die Benzinpreiserhöhung auf und legten einen Großteil des öffentlichen Verkehrs in der Stadt lahm. In anderen Städten schlossen sich Delegationen von Ärzten und Lehrern den Demonstrationen an.

Derzeit sind Dutzende von Tankstellen im ganzen Land besetzt, zusätzlich haben die Betreiberfirmen Hunderte weitere geschlossen. Die größten Demonstrationen fanden in Mexiko-Stadt, dem dicht besiedelten Bundesstaat Mexiko, dem Öl produzierenden Bundesstaat Veracruz und dem Industriezentrum Puebla statt. In Ciudad Juarez blockierten Demonstranten einen Grenzübergang in die USA.

Für das kommende Wochenende wurde eine Reihe von Demonstrationen angekündigt, hauptsächlich von Gewerkschaften und Bauernverbänden. Diese Proteste treffen mit einem dramatischen Wendepunkt für die mexikanische Wirtschaft zusammen.

Am Dienstag erklärte der Autohersteller Ford, er werde vom geplanten Bau eines Autowerks in Mexiko im Wert von 1,6 Milliarden Dollar abrücken und stattdessen in ein bestehendes Werk außerhalb von Detroit investieren. Vorstandschef Mark Shields erklärte seine Entscheidung mit dem „verbesserten Geschäftsumfeld für das produzierende Gewerbe unter dem künftigen Präsidenten Trump“. Am gleichen Tag hatte Trump General Motors vorgeworfen, Teile seiner Autoproduktion nach Mexiko zu verlegen.

Die Entscheidung von Ford dominierte die Schlagzeilen der mexikanischen Presse und schürte die Befürchtung, dass eine Trump-Regierung Zölle auf Importe aus Mexiko verhängen und Mexikos Bedeutung für die Lieferketten der amerikanischen Industrie drastisch verringern könnte. 81 Prozent aller Exporte von Industriegütern und Dienstleistungen aus Mexiko gehen in die USA.

Die gestrichene Ford-Investition und die wachsende Angst vor einem Handelskrieg treiben den Wert des Pesos noch weiter nach unten. Am Mittwoch verzeichnete er einen neuen Tiefststand von zuletzt 21,40 für 1 US-Dollar. Der schwächelnde Peso und der wachsende Inflationsdruck erhöhen die schweren wirtschaftlichen Risiken, die mit der Kürzung der Benzinsubventionen einhergehen. Finanzinstitute reagierten auf die Kürzung bereits mit der Anhebung ihrer Inflationsprognosen auf knapp fünf Prozent. Die mexikanische Zentralbank hatte schon im vergangenen Jahr mehrmals die Zinsen erhöht, mittlerweile liegen sie auf dem höchsten Niveau seit 2009.

Die bettelarme mexikanische Arbeiterklasse gerät dadurch in eine untragbare Lage. Die Inflation steigt schneller als die Löhne, während die Verbraucherpreise in die Höhe schießen. Laut einer aktuellen Studie der Autonomen Universität Mexiko (UNAM) ist die Kaufkraft des durchschnittlichen Mexikaners seit der Amtsübernahme von Präsident Pena Nieto im Jahr 2012 um 11,1 Prozent gesunken. Der Preisindex für Grundnahrungsmittel für eine vierköpfige Familie ist auf 218,06 Pesos (10,19 Dollar) pro Tag gestiegen, was fast dem Dreifachen des täglichen Mindestlohns entspricht.

Obwohl Mexiko einer der weltweit führenden Ölproduzenten ist, muss ein Mindestlohnempfänger für eine einzige Tankfüllung zwölf Tage arbeiten. Die Erhöhung der Benzinpreise wird außerdem zu einem starken Anstieg der Preise für Waren des täglichen Bedarfs führen. Der Börsenmakler Brokerage Finamex gab im Dezember bekannt, dass sich die Verbraucherpreise durch die geplante Benzinpreiserhöhung allein in den ersten zwei Wochen des Jahres 2017 um 0,8 Prozent erhöhen würden.

In den letzten zehn Jahren hat die mexikanische herrschende Klasse die Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte und ihrer natürlichen Rohstoffe rücksichtslos verschärft, wovon hauptsächlich amerikanische Banken und Konzerne profitieren. Die Demonstranten fordern, dass die Regierung ihre Privatisierungspläne für Pemex aufgibt. Das Unternehmen war 1938 nach einem massiven Streik der Ölarbeiter verstaatlicht worden. Im Jahr 2013 schaffte die Regierung formell das staatliche Ölmonopol ab.

Die Regierung von Pena Nieto hat Demonstrationen und Streiks gegen ihre wirtschaftsfreundlichen „Bildungsreformen“ gewaltsam unterdrückt. Im Jahr 2014 wurden in Ayotzinapa 43 Lehramtsstudenten durch lokale und staatliche Polizeibehörden und Soldaten entführt und ermordet. Letztes Jahr wurden in Noxichtlan im Bundesstaat Oaxaca während eines monatelangen Lehrerstreiks Dutzende von Dorfbewohnern und Lehrern umgebracht. Pena Nieto ist der unpopulärste Präsident der modernen mexikanischen Geschichte. Seine Zustimmungswerte liegen bei nur noch 25 Prozent.

Bisher hat die Regierung gezögert, die Protestbewegung gegen die Preiserhöhung mit Gewalt niederzuschlagen. Sie befürchtet, damit ein gesellschaftliches Erdbeben auszulösen. Der Gouverneur von Morelos Graco Ramirez warnte vor einer sozialen Explosion und schlug vor, die Regierung solle auf die Proteste mit einer Not-Erhöhung der Löhne für Geringverdiener reagieren.

Am Mittwoch musste der Präsident seinen Urlaub abbrechen, um sich zu der eskalierenden Krise zu äußern. In einer landesweit übertragenen Fernsehansprache bekräftigte er, die Subventionskürzung sei notwendig zur „Wahrung der Stabilität unserer Wirtschaft“ und werde daher nicht zurückgenommen.

In der gleichen Rede kündigte Pena Nieto an, dass der ehemalige Finanzminister Luis Videgaray auf den Posten des Außenministers zurückkehren werde. Dies soll Teil einer grundlegenden Kabinettsumbildung mit dem Ziel sein, die Beziehungen zur künftigen Trump-Regierung zu verbessern. Pena Nieto erklärte, die Ernennung sei ein Signal, dass „mit dem ersten Tag der Trump-Regierung“ der Dialog beginnen werde, „damit wir die Grundlage einer konstruktiven Arbeitsbeziehung schaffen können“.

Die unterwürfigen Äußerungen des Präsidenten werden weiteren Widerstand in der mexikanischen Arbeiterklasse hervorrufen. Dutzende Millionen mexikanische Arbeiter haben Angehörige in den USA, die unter Trump abgeschoben werden könnten. Videgaray ist in breiten Teilen der Bevölkerung unbeliebt, weil er das Treffen zwischen Trump und Pena Nieto während des amerikanischen Wahlkampfs arrangiert hat. Anfang September, nur eine Woche nach dem Treffen, war er als Finanzminister zurückgetreten.

Es ist noch unklar, ob die Demonstrationen weiterhin Zulauf erhalten oder ob sie, wie frühere soziale Bewegungen, von den Gewerkschaften und der Morena-Partei von Andres Manuel Lopez Obrador erstickt werden.

Die militanten Proteste gegen die Kürzung der Benzinpreissubventionen sind beispielhaft für das Wiederaufleben des Klassenkampfs auf der ganzen Welt, auch in den USA. Die brutalen Angriffe auf Sozialprogramme und den Lebensstandard der Arbeiterklasse, die Trump und seine Verschwörerbande aus Milliardären, ehemaligen Generälen und offen faschistischen Politikern derzeit vorbereiten, werden auch auf der anderen Seite der mexikanischen Grenze eine Welle des Widerstands auslösen und die Bedingungen für einen vereinten Kampf der amerikanischen und mexikanischen Arbeiter schaffen.

Mexikanische Arbeiter können die soziale Konterrevolution in ihrem Land nur aufhalten, wenn sie sich mit ihren Klassengenossen auf der ganzen Welt, vor allem in den USA und Kanada vereinen. Die Arbeiter in ganz Nordamerika sind an den gleichen grenzüberschreitenden Produktions- und Lieferketten beteiligt. Oftmals stellen sie nur andere Teile der gleichen Produkte her, die die Konzerne mit hohen Profiten verkaufen.

Die mexikanischen Arbeiter müssen erkennen, dass ihre eigene Bourgeoisie, während sie mexikanischen Nationalismus propagiert, mit dem US-Imperialismus zusammenarbeitet, um sich auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung zu bereichern. Solange Arbeiter gezwungen sind, um Arbeitsplätze und um Löhne zu konkurrieren, sei es unter dem NAFTA-Freihandelsabkommens oder durch Handelskriege, wird der Lebensstandard in der ganzen Region weiterhin sinken.

Die amerikanischen Arbeiter müssen die rassistischen und fremdenfeindlichen Lügen von Donald Trump, den amerikanischen Gewerkschaften und Leuten wie Bernie Sanders zurückweisen. Sie alle verpacken nationalistisches Gift in „linke“ Phrasen. Die Vereinigung der Arbeiterklasse der „Neuen Welt“, von Nord- über Mittel- bis nach Südamerika, ist eine zentrale strategische Aufgabe der Weltrevolution. Sie erfordert den Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in ganz Lateinamerika.

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