Im Jahr 2014 arbeitete mehr als jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland für einen Niedriglohn von weniger als 10 Euro pro Stunde, mit steigender Tendenz. Das geht aus dem neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor, über den Anfang letzter Woche mehrere Zeitungen berichteten. Die Veröffentlichung des vollständigen Berichts ist für das Frühjahr 2017 geplant.
In Ostdeutschland liegt die Niedriglohn-Quote sogar über 33 Prozent. Spitzenreiter ist Mecklenburg-Vorpommern mit 35,5 Prozent.
Nach den Daten des Arbeitsministeriums, die alle vier Jahre erhoben werden, steigt der Anteil der Niedriglohnempfänger aber auch in Westdeutschland. In Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten stieg die Niedriglohnquote zwischen 2006 und 2014 von 16,4 auf 18,4 Prozent. Sie schwankt zwischen 15,5 Prozent in Hamburg und 20,4 Prozent in Nordrhein-Westfalen. In Ostdeutschland war der Anteil der Niedriglohnempfänger dagegen im selben Zeitraum leicht rückläufig. Er sank von 36,8 auf immer noch hohe 34,6 Prozent.
Nach der offiziellen OECD-Definition liegt die Grenze zum Niedriglohn bei zwei Dritteln des mittleren Lohns. In Deutschland entsprach dies 2014 einem Bruttolohn von 10 Euro in der Stunde.
Die Ausdehnung des Niedriglohnsektors in Deutschland ist schockierend. Angesichts der weltweiten Verschärfung der kapitalistischen Krise muss man davon ausgehen, dass das wirkliche Ausmaß des Niedriglohnbereichs weiter anwachsen wird. Allein in den letzten Jahren wurden in vielen Betrieben in enger Zusammenarbeit von Management und Gewerkschaften Zehntausende von Arbeitsplätzen abgebaut. Bei Neueinstellungen werden überwiegend zeitlich befristete Arbeitsplätze zu schlechteren Konditionen angeboten.
Viele junge Leute erhalten keine Jobs mit unbefristeten Verträgen und angemessenen Löhnen mehr. Auch wer älter ist und seinen Arbeitsplatz verliert, hat keine Chance, einen vergleichbaren Job zu finden, und endet oft im Niedriglohnbereich oder in Hartz IV. Teilzeitbeschäftigte, Leiharbeiter und Beschäftigte mit befristeten Verträgen arbeiten überdurchschnittlich oft zu Niedriglöhnen und in unsicheren Arbeitsverhältnissen.
26 Jahre nach der Wiedervereinigung leben Millionen Menschen in Deutschland in bitterer Armut, während eine reiche Oberschicht in Saus und Braus Millionen verprasst und die Politik bestimmt.
Politisch verantwortlich für diese Verhältnisse ist vor allem die rot-grüne Bundesregierung von Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Grüne). Sie senkte den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent und schuf mit den Hartz-Gesetzen die Voraussetzungen für einen riesigen Niedriglohnsektor. Immer mehr Menschen sind gezwungen, zu Niedriglöhnen zu arbeiten. Sie kommen trotz Arbeit nicht über die Runden und müssen mit Hartz IV aufstocken – eine zeitaufwändige und nervenaufreibende Angelegenheit.
Eine Hauptverantwortung für dieses schikanöse System tragen auch die Gewerkschaften, die es mit ausgearbeitet und verwirklicht haben. Der überdurchschnittlich große Niedriglohnsektor in Ostdeutschland ist auch eine vernichtende Anklage gegen die Linkspartei und ihre Vorgänger, die während der Wende den Ausverkauf der Staatsbetriebe organisierten und dabei Millionen Arbeitsplätze und die sozialen Errungenschaften der Arbeiter vernichteten.
Mit dem Niedriglohnsektor ist auch die Zahl verschuldeter Privatpersonen gewachsen. 2015 waren in Deutschland über 2 Millionen Haushalte überschuldet. Das sind 4,2 Millionen Personen, die nicht mehr in der Lage waren, n Verpflichtungen wie regelmäßigen Mietzahlungen nachzukommen und ihre Schulden zurückzuzahlen. Besonders alleinlebende Männer und alleinerziehende Frauen sind davon betroffen. Etwa 650.000 Menschen suchten im Jahr 2015 Schuldnerberatungsstellen auf.
Zu den Gründen, die besonders stark zu Verschuldung und Überschuldung beitragen, zählen Arbeitslosigkeit, Trennung, Krankheit und gescheiterte Selbständigkeit. Immer häufiger ist Einkommensarmut der Grund dafür, dass Menschen Schulden anhäufen und diese dann nicht mehr abbezahlen können.
Matthias Bruckdorfer von der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Wohlfahrtsverbände sagte der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: „Wir haben einen sehr breiten Niedriglohnsektor. Je niedriger das Einkommen ist, desto höher ist das Risiko, sich zu überschulden.“
Ähnlich äußerte sich Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in derselben Zeitung: „Die Anzahl der überschuldeten Menschen steigt, weil der Anteil derer steigt, die keinerlei Reserven haben. Immer mehr Menschen leben von der Hand in den Mund.“