IWF diktiert „Reformen“ – Es brodelt wieder in Ägypten

Am 3. November löste die ägyptische Zentralbank die Bindung der Landeswährung an den US-Dollar und gab ihren Wechselkurs frei. Daraufhin stürzte das ägyptische Pfund um 50 Prozent auf 14 Pfund pro US-Dollar ab.

Als Nächstes kündigte das Ölministerium eine 50-prozentige Erhöhung des Benzinpreises und eine 30-prozentige Erhöhung des Heizölpreises an. Beide werden seit Jahrzehnten subventioniert. Auch die Lebensmittelpreise dürften steigen. Ägypten importiert mehr als die Hälfte seiner Grundnahrungsmittel, es ist der weltweit größte Importeur von Weizen. Zusammen mit den Subventionskürzungen und der Einführung einer Mehrwertsteuer werden diese Maßnahmen die Lebenshaltungskosten erhöhen und könnten eine Hyperinflation auslösen.

Die Inflation liegt bereits bei 16,4 Prozent jährlich, während die Reallöhne gesunken sind und 40 Prozent der Bevölkerung offiziell unterhalb oder nur knapp über der Armutsgrenze leben.

Anfang letzter Woche genehmigte der Oberste Investitionsrat eine ganze Reihe von wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen, um das Investitionsklima zu fördern. Unter anderem wurde eine zeitweilige Aussetzung der Kapitalertragssteuer auf Aktien verlängert, und in einigen Branchen wurden Steuererleichterungen für Unternehmen eingeführt.

Das ägyptische Pfund war bereits im letzten März um 13 Prozent abgewertet worden. Im Rahmen des Maßnahmenpakets, das der Internationale Währungsfonds (IWF) im August gefordert hatte, war eine weitere Entwertung bereits allgemein erwartet worden. Diese Maßnahmen, die nicht vollständig veröffentlicht wurden, sind die Gegenleistung für einen Kredit in Höhe von 12 Mrd. Dollar. Weitere 9 Mrd. Dollar sollen anderweitig beschafft werden. Mit diesem Geld soll das ägyptische Haushaltsdefizit für 2015-2016 gedeckt und der Devisenmangel ausgeglichen werden. Als Voraussetzung für die Gewährung des Kredits forderte der IWF letzten Monat die Freigabe des Wechselkurses, den Abbau von Subventionen, die Einführung einer Mehrwertsteuer und die Privatisierung staatlicher Unternehmen und Banken. Der Wert des Kredits ist jetzt deutlich niedriger als ursprünglich vereinbart.

Die Devisenbestände sind von 36 Mrd. Dollar im Jahr 2010 auf etwa 19,6 Mrd. Dollar im September dieses Jahres gesunken, obwohl Ägyptens Verbündete am Persischen Golf seit 2013 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern gezahlt haben. Anfang 2015 führten die Behörden Kontrollen ein, um die Kapitalflucht einzudämmen; daraufhin wichen die Importeure auf den Schwarzmarkt aus, wo für den US-Dollar das Doppelte des offiziellen Kurses gezahlt wurde. Im Juni erhöhte die Zentralbank den Leitzins auf zehn Prozent, den höchsten Wert seit zehn Jahren.

Viele kleine Firmen mussten schließen. Letzten Monat erklärten auch zwei der größten börsennotierten Unternehmen des Landes, sie müssten die Produktion einstellen, wenn der Dollarmangel nicht behoben würde. Andere sind dazu übergegangen, aus China zu importieren, wo Preise und Qualität niedriger sind.

Die Abwertung kam viel früher als erwartet, und ihr Ausmaß löste einen Schock aus. Sie spiegelt die tiefe wirtschaftliche, soziale und politische Krise wider, mit der General Abdul Fatah al-Sisis brutale Diktatur konfrontiert ist.

Aufgrund steigender Preise und periodischer Engpässe bei staatlich subventionierten Lebensmitteln musste die Regierung kostspielige Importe verstärken. Weil sich die Beziehungen zu Saudi-Arabien verschlechtert haben, beliefert das Land Ägypten vorläufig nicht mehr mit raffinierten Ölprodukten. Daher haben sich die monatlichen Ausgaben für Einfuhren um 500 Mio. Dollar erhöht.

Die Wut der Bevölkerung über den Mangel an Zucker war so groß, dass sich die Zentralbank gezwungen sah, 1,8 Mrd. Dollar für die Bildung von Lebensmittelvorräten für sechs Monate bereitzustellen. Teilweise wurde den im Besitz des Militärs befindlichen Unternehmen vorgeworfen, sie wollten den Handel mit Zucker ebenso monopolisieren, wie sie es bereits mit anderen Waren und Dienstleistungen getan haben. Das Militär stellte nun acht Millionen „Rationen“ Grundnahrungsmitteln bereit, die zum halben Preis verkauft werden sollen, vorwiegend in Kairo.

Als Interessenvertretung der westlichen Banken, die von der Kreditvereinbarung profitieren werden, begrüßte der IWF die jüngsten Maßnahmen. Er erklärte, die Wechselkursfreigabe werde den Devisenzufluss erhöhen und Ägyptens Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt verbessern, die Exporte und den Tourismus fördern und ausländische Investoren anlocken.

In Wirklichkeit wird sie nichts dergleichen bewirken. Ihr einziger Zweck besteht darin, ägyptisches Eigentum zu verschleudern und den transnationalen Konzernen und internationalen Banken die hemmungslose Ausbeutung der ägyptischen Arbeiterklasse zu ermöglichen.

Da die brutalen Diktate des IWF die ägyptische Bevölkerung in die Armut treiben werden, können sie nur mit Gewalt umgesetzt werden. Al-Sisi hat bereits sehr deutlich gemacht, dass er bereit ist, diese Gewalt anzuwenden.

Als das Abkommen letzten August ausgehandelt wurde, erklärte al-Sisi, er werde im Gegensatz zu früheren Herrschern nicht aus Angst vor Aufständen vor Reformen zurückscheuen. Er erklärte: „1977 wurden erstmals wirkliche Reformen versucht.“ Damals kam es zu Unruhen, nachdem der damalige Präsident Anwar al-Sadat angekündigt hatte, er werde als Gegenleistung für einen Kredit der Weltbank die Subventionen für Weizen abschaffen.

Al-Sisi fügte hinzu: „Der Staat musste aufgrund der Reaktion der Bevölkerung einen Rückzieher machen. Seither wurden die Reformen immer weiter vertagt. Ich werde nicht eine Sekunde zögern, alle schweren Entscheidungen zu treffen, vor denen über die Jahre so viele zurückgescheut sind.“

Im Juli 2013 hatte al-Sisi die von Mohammed Mursi geführte Regierung der Muslimbruderschaft in einem blutigen Putsch gestürzt. Seither hat er im Auftrag des Militärs, der Polizei und des Geheimdiensts, die seit dem Putsch der Freien Offiziere 1952 das politische und wirtschaftliche Leben Ägyptens bestimmen, eine brutale Diktatur errichtet. Er ging rücksichtslos gegen die von der Muslimbruderschaft dominierten wirtschaftlichen Rivalen, andere bürgerliche politische Gegner, liberale Aktivisten und vor allem gegen die Arbeiterklasse vor.

Die Junta hat Proteste verboten, mindestens 60.000 politische Gegner verhaftet, Hunderte zum Tode verurteilt und ein umfassendes Antiterrorgesetz verabschiedet, das die Befugnisse der Behörden stark ausweitet. In Massenprozessen, hauptsächlich gegen Anhänger der Muslimbruderschaft, wurde keinem Angeklagten eine individuelle Schuld nachgewiesen. Mehrere Tausende wurden von Militärgerichten verurteilt. Folter und Entführungen sind alltäglich, viele Häftlinge sterben durch Misshandlungen.

Gleichzeitig ordnete al-Sisi umfangreiche Militäroperationen gegen islamistische Aufständische auf der Halbinsel Sinai an, die den Unmut der verarmten Beduinen ausnutzten. Das Regime hat den Ausnahmezustand verhängt, Hunderte Zivilisten getötet, Hunderte Häuser zerstört und Tausende Einwohner umgesiedelt. Die Sicherheitskräfte verhängten Ausgangssperren, nahmen Verhaftungen ohne Prozess oder Anklage vor, legten Mobilfunk- und Internet-Netze still und gingen dabei mit ungeheurer Brutalität vor.

Die Klassenspannungen, die sich in den revolutionären Ereignissen im Januar 2011 entluden und zum Sturz des langjährigen Diktators Hosni Mubarak führten, brechen sich wieder Bahn, diesmal als Reaktion auf die wirtschaftliche Katastrophe und die Unterdrückung durch die Junta.

Letzte Woche kam es zu Demonstrationen gegen die Unfähigkeit der Regierung, eine schnelle und angemessene Hilfe für die Überschwemmungsgebiete zu organisieren, in denen Ende Oktober 29 Menschen getötet und mindestens 73 verwundet wurden. In Ras Gharib im Süden des Sinai, wo Hunderte Häuser überschwemmt wurden und vor allem die großen Zufahrtsstraßen der Stadt geschlossen wurden, musste Premierminister Scherif Ismail seinen geplanten Besuch aufgrund wütender Proteste gegen die Einstellung der Strom- und Wasserversorgung absagen.

Vor zwei Wochen demonstrierten in der nordostägyptischen Hafenstadt Port Said Tausende gegen die steigenden Kosten für Wohnungen. Sie riefen „Gebt uns Wohnungen oder tötet uns“ und forderten den Rücktritt von al-Sisi.

Im September veröffentlichten soziale Netzwerke einen Appell mit dem Titel Thawra el-Ghalabiya (Revolution der Mehrheit), in dem zu einer regierungsfeindlichen Massenkundgebung gegen die steigenden Lebenshaltungskosten am 11. November aufgerufen wird. Die Sicherheitskräfte reagierten darauf, indem sie acht Menschen fünfzehn Tage lang festhielten. Ihnen wurden Straftaten im Zusammenhang mit dem Demonstrationsaufruf vorgeworfen.

Letzten Monat verbreitete sich im Internet in Windeseile ein Video, das einen wütenden Motor-Rikschafahrer in einem Arbeiterviertel in Kairo zeigt. Der Fahrer steht inmitten einer Menschenmenge und geißelt die Regierung für ihre üppigen Ausgaben Staatsfeiern, während die Armen leiden müssen.

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